Gianotti, BABEL-PROJEKT

1992     M / S / D

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Pieter Bruegel der Ältere, 1563 (Wiener Version)

Gian Gianotti,  BABEL – Projekt

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Produktion: Gian Gianotti, Matthias Weilenmann
Im Barocksaal Schloss Fürstenau, als Gäste von Edith und Peter Calonder:

Premiere: Sonntag, 27. September 1992, Uraufführung

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Weitere Vorstellungen:
Freitag, 27. November 19.30 Uhr im Grossen Saal, Musikkonservatorium Florhofgasse Zürich
Samstag, 28. November 20.00 Uhr im Restaurant Neuhof Bachs ZH

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Das Projekt war eine Fortsetzung des letzten Wintersemester-Kurses über “theatralische Raumfragen im konzertanten Auftritt” am Musikkonservatorium in Zürich (Studiengang für neue Musik von Matthias Weilenman). Die ganze Gruppe wollte sich über den regulären Kurs hinaus noch weiter mit den aufgeworfenen Fragen beschäftigen.

 

Gian Gianotti

Musik von:Urs Peter Schneider, Babel (1961 – 1967)

Giacinto Scelsi, Stücke für Klarinette
Cathy Berberian, Stripsody (1966)
Luciano Berio, Gesti (1966)

Musikalische Leitung: Matthias Weilenmann
Ausstattung und Inszenierung: Gian Gianotti

 

NOCH KEINE GRENZEN, KEINE
noch kein Ende, nirgends …

Mitspielende  Musiker/innen:

Remo Arpagaus, Querflöte
Andrea Bissig, Blockflöte
Fides David, Gesang
Christine Fringeli, Blockflöte
Anna-Maria Locher, Gesangn
Hans-Christoph Maier, Blockflöte
Valentin Marti, Saxophon
Evi Mohr, Klavier
Imelda Natter, Orgel
Petra Roderburg-Eimann, Blockflöte
Margreth Schlör, Blockflöte
Thomas Schudel, Gesang
Jeremias Schwarzer, Blockflöte
Erich Strehler, Saxophon

Schauspielerin – Leontina Lechmann

 

 

Text nach verschiedenen Bibelübersetzungen und Kommentaren
zum Thema Kommunikation, Sprache und Sprachzersetzung: Gian Gianotti

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Der Text
>>>   Gian Gianotti, BABEL     pdf, 4 Seiten

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BABEL war das Vorprojekt zur Definition der Idee für das      >>>   theaterforum.ch

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Steinmann, DAS WEITE SUCHEN

1992     S / de / D / U

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Plakat: Ruth Schürmann

Paul Steinmann: DAS WEITE SUCHEN
Spielleute Luzern, Gaskessel, Projektleitung: Thomy Büchler

Premiere: 8. August 1992, Uraufführung

 

Inszenierung: Gian Gianotti
Ausstattung: Ruth Schürmann
Musik: dodo Luther

 

Besetzung:

Die Ausreisenden
Anna: Mascha Altermatt
Jgor: Stefan Kelz
Appolonia Reymann: Silvia Bachmann
Christina Soder: Ruth Egli
Michael Metzger: Beat Reichlin
Fridolin Müller: Franz Koch
Josef Ulrich: Sandra Wüthrich
Wendel: Heinz Küng

Die Bleibenden
Maria: Ursi Brun-Weiss
Franz Kym: Otmar Müller
Salome: Mage Brun
Teresia: Rita Maeder-Kempf
Fischinger: Hans Eggermann

Musiker: Adrian Blum (Akkordeon)

 

Mit der grosszügigen Mitarbeit und Unterstützung der Mitglieder des Vereins Spielleute Luzern.

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Ein Stück
über die Sehnsucht und über das Heimweh
über den Mut und über die Hemmung einen Schritt zu wagen
über Auswanderung, über Einwanderung
Heimat, Fremde
Erinnern und Vergessen, Haben und Sein

über Leben und Tod.

 

“Das Weite suchen” ist ein historisches Drama, das die Auswanderungswelle nach Amerika zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand hat.
Der Staat zwingt die Auswanderungswilligen, sich zu Auswandervereinen zusammenzuschliessen. Im Dorf kommt es zu einer Gründungsversammlung.
Kurz darauf gründet der reiche Ulrich einen zweiten Auswandererverein. Es kommt zu Konflikten.

 

 

Wie viel Weite braucht der Mensch?

Weit- und Dreispringerinnen schütteln die Köpfe, Kugelstösserinnen jammern, Speer-, Diskus-, und Hammerwerfer ärgern sich. Ein paar Zentimeter zu wenig weit. Enttäuschte Gesichter. Welten brechen zusammen.

In den Weiten der Prärie zogen die Indianer von Jagdgrund zu Jagdgrund. Bis die Bleichgesichter kamen mit Feuerwasser und Donnerbüchsen. Weg da! Wir brauchen das Land! Es hat noch immer genug Platz für eure Zelte.

Wie viel Weite braucht der Mensch? Ich brauche so viel Nähe, wie ich nur kriegen kann, meint G. und streichelt ihre rote Katze. Und so viel Weite, wie ich nur bekommen kann, brauche ich auch.

E. hat eine Reise gebucht. Wohlverdiente Ferien nach anstrengender Arbeit. Weites Meer. Weiter Strand. Weite Himmel. Frei sein. E. erlitt am 2. Tag in seinem Bungalow einen Herzinfarkt. Die Grundfläche von E.s Grab misst zwei Quadratmeter. Wie viel Weite braucht der Mensch?

In seinem Vaterland hatte man Mutter und Vater verfolgt, gefoltert, getötet. Sie hatten sich für Freiheit und eine eigene Meinung eingesetzt. Wollte T. sein Leben retten, musste er das Weite suchen. Er floh und lebt heute vorübergehend in einem Durchgangsheim in der Schweiz, das schon zweimal Ziel von Brandanschlägen geworden war. T. sagt zur Reporterin, er fürchte sich nicht. Die Schweiz sei schön. Dabei lächelt er nur mit dem Mund. In den Augen Angst.

Ich brauche alle Weite, die ich kriegen kann. Freiheit, Unabhängigkeit, Abenteuer sagt F., man lebt schliesslich nur einmal. Soll’s doch jeder so machen. Hab’ ich nichts dagegen. Und lärmt. Und braust davon. Und stinkt. Wie viel Weite braucht der Mensch?

S. hatte mehr gewollt vom Leben als sitzen und tippen und warten und lächeln und Kind und TV und CD und neue Frisuren. Der stündliche Cognac macht sie fröhlicher, als sie sich fühlt. Beschwingt füllt sie den Lottozettel aus. Das Horoskop auf drei Zeilen versichert ihr, alles sei gut. Seit sie diese Tabletten nimmt, kann sie wieder schlafen. Traumlos zwar und schwer. Aber immerhin. Wie viel Weite?

Ein Fenster haben, das man immer wieder aufstossen kann. Eine Tür, die man nicht abzuschliessen braucht. Ein weites Herz und einen weiten Geist. Und dreimal täglich einen Blick auf mich selbst werfen. Dann geht’s mir gut, schreibt M. und klebt einen Vogel auf das Briefpapier.

B. guckt gespannt zu. Der Zug verschwindet im Schuhschachteltunnel. Als er wiederauftaucht, jauchzt B., Ihre Backen sind rot. Sie ist Bahnhofsvorstand und Lokomotivführerin und Passagierin in einem. Sie reist mit dem Holzzug nach Merika. Wie viel Weite braucht der Mensch?

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Paul Steinmann, Juli 1992

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Das Sprichwort sagt

Man sucht oft etwas in der Weite
Und hat’s an seiner Seite.

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Der Autor Paul Steinmann und sein Stück:  “Ich möchte in mir selbst das Weite suchen”

Von der Aargauer zur Luzerner Fassung

Das Stück “Das Weite suchen” hat Paul Steinmann im Auftrag des Lehrertheaters Möhlin AG geschrieben, dort wurde es 1990 uraufgeführt. Das Thema Auswanderung war ihm vorgegeben und hatte historischen Bezug zur Gegend des Fricktals, von wo um 1817 viele Menschen ausgewandert waren. In einer Dissertation über die Auswanderung im Kanton Aargau, erzählt der Autor, habe er nicht nur Aufschluss gefunden über den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergrund der damaligen Situation, sie habe ihm auch den ersten “dramatischen Knoten” geliefert. Aus dem Bericht, dass in einem kleinen Ort damals zwei Auswanderer-Vereine gegründet wurden, liess sich eine Geschichte machen. Natürlich sei bei dem Thema die soziale, menschliche Frage im Vordergrund gestanden, sie erhalte dem Stoff auch seine Aktualität. Fragen wie “Was ist die Weite?” – “Welche Gründe gibt es, fortzugehen?” – “Was macht ein Land zum Traumland?” stellen sich immer wieder neu.

Für die Spielleute hat Paul Steinmann, zusammen mit Regisseur Gian Gianotti, eine Luzerner Fassung des Stücks erarbeitet. Dabei sei es vor allem darum gegangen, das an die Region gebundene Stück geographisch zu neutralisieren. Neu geschrieben hat Steinmann auch den Anfang des Stücks, denn in Möhlin hatte man den Einstieg ins dortige Heimatmuseum verlegt, die Folge spielte man in einer Scheune. Den Unterschied zwischen einer Innenraum- und einer Freilichtaufführung zu erleben, sei für ihn jetzt besonders spannend, meinte der Autor. Eine Neuerung sind auch die <Monolog-Fensteo, diJ er aul Wunsch von Gianotti ins Stück eingebaut hat. “Monolog-Fenster”, die er auf Wunsch von Gianotti ins Stück eingebaut hat. “Es sind Reflexionen der einzelnen figuren über ihre individuellen Erfahrungen, Erinnerungen und Utopien. Sie geben dem Text zusätzliche Tiefe”, kommentiert Paul Steinmann diesen Teil der Bearbeitung.

Aus dem Interview von Eva Roelli für die LNN, Schaufenster

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Zur Musik: Fenster-Klänge

Die ‘Fenster’ – ein wichtiges Stilmittel dieses Theaters – bilden den Rahmen für das Umkippen von 13 handelnden Personen in eine subjektiv-intime Ebene ihrer Rolle. Als Grundlage für diese Dimension wählte ich das alte Guggisberglied, 13 Variationen darüber charakterisieren die jeweilige Sicht nach innen, komponiert für modernes Akkordeon.

Dass dafür dieser allseits bekannte Ohrwurm herhalten muss, hat nicht mit Nostalgie oder gar Sentimentalität am Hut. Bewunderung ja, einerseits für eine Melodie, die zwar nicht bodenständig-schollenverbunden daherkommt, vielmehr abstammt von den evangelischen Chorälen, die im 16. Jahrhundert in den bernischen Kirchgemeinden bekannt waren. Vorerst mündlich überliefert, wird das Guggisberglied erstmals 1741 erwähnt, ein ‘echtes’ Volkslied also, wenn auch mit fremdem Einfluss. ein Hauch von Internationalität, daher auch der Reiz, den die Melodie heute noch ausübt, vergleichbar mit gängigen Kirchenlieder-Hits, ein Berner Oberland-Plakat im Flughafen Terminal.

Bewunderung auch für den Text: In den 12 Strophen wird die Chronik einer Liebe und ihr Versiegen aus der Sicht der Frau ohne jedes Ressentiment nacherzählt. “S’ esch äbe ne Mönsch of Ärde” eröffnet auch das Theater, Weite wird exponiert, denn Liebe versetzt Berge: Das Vreneli in Guggisberg liebt den Simon “änet am Bärg”. “Ha di no nie vergässe, ha immer a di dänkt” beschliesst die Handlung des Stückes: Weite nurmehr im Kopf, als Sehnsucht. Von nostalgischem Schwärmen über eine vergangene Zeit ist zu spüren.

Das Lied suggeriert Sehnsucht und vermag, Distanzen zu überwinden, war doch sein Absingen bei den Berner Regimentern in Frankreich und im Piemont bei Todesstrafe verboten “damit unter den Soldaten nicht die Krankheit des Heimwehs veranlasst werde …”

Auswanderer aller Zeilen und Nationen bedienen sich der Volksmusik, um ihren Gefühlen des Exils Ausdruck zu geben. Dass es sich dabei um Heimweh nach der realen Heimat handelt, ist nicht anzunehmen, werden die Betroffenen doch grundsätzlich durch Not zur Migration veranlasst. Erinnert die Musik an die Utopie einer heilen Heimat?

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dodo Luther, Juli 1992

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fotos  ©  by  sylvia hüsler switzerland

 

 

 

 

 

 

 

 

 

fotos  ©  by  sylvia hüsler switzerland

Weitere 44 Fotos von    >>>  Sylvia Hüsler

 

 

 

 

Pressestimmen: 

>>>  ‘Das Weite suchen’ vor dem Gaskessel  LNN, Eva Roelli  12.7.92
>>>  Der Traum vom Sein, Erfüllung und Freiheit  Luzerner Zeitung, Flavian Cajacob  10.8.92
>>>  Wem es nicht passt, der soll nach Amerika – Gespräche  LNN Schausfenster  10.8.92
>>>  Gian Gianotti inszenierte in Luzern  Bündner Zeitung, Urs Bugmann  14.8.92
>>>  Eine Handvoll Menschen zeigt ihre Träume  LNN, Urs Bugmann  14.8.92
>>>  Wieviel Weite brauchen wir?  LNN, Hugo Bischof  14.8.92
>>>  Sorgen, Angst und Träume um Heimat und Auswanderung  Information Szene, Hansueli W. Moser-Ehinger  29.8.92
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Nestroy, HÄUPTLING ABENDWIND Rostock

1992     S / M / D

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Grafik: Feliks Büttner

Johann Nepomuk Nestroy: HÄUPTLING ABENDWIND
Volkstheater Rostock, Intendanz Bernd Renne

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Nestroy: HÄUPTLING ABENDWIND

Operette von Jacques Offenbach
Volkstheater Rostock

Premiere: 13. Juni 1992

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Inszenierung – Gian Gianotti
Ausstattung – Feliks Büttner
Musikalische Leitung – Wolfgang Bretschneider
Dramaturgie – Verona Knüdeler

Regieassistenz – Sigrid Hoelzke
Inspektion/Souffleuse – Elvira Beran

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Ausstattung und Fantasie: Feliks Büttner

Mitspieler:

Abendwind der Sanfte, Häuptling der Gross-Lulu – Egon Brennecke
Atala, seine Tochter – Dorothée Reinoss
Biberhahn der Heftige, Häuptling der Papatutu – Jürgen Kaczmarek
Arthur, ein Fremdling – Jens Knospe
Ho-Gu, Koch bei Abendwind – Manfred Gorr
Erster Gross-Luluerer – Erhardt Schmidt
Zweiter Gross-Luluerer – Günther Kornas

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Musiker:
Anne von Hoff (Violine)
Ariane Spiegel (Violoncello)
Annett Ulrich (Oboe)
Torsten Weishaupt (Schlagzeug)

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Technischer Direktor – Peter Juhnke
Leiter der Werkstätten – Wolfgang Böhler
Bühnentechnik – Thomas Pretzsch
Beleuchtung – Günther Hennig
Ton – Guido Thomä
Requisite – Barbara Henneberg
Kostümdirektor – Hermann Hennig
Anfertigung der Kostüme – Kornelia Junge, Jürgen Timm
Chefmaskenbildner – Harry Patzer
Maske – Annemarie Erlich, Ursula Linke

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Werdegang dieser Produktion:

Über Peter Kleinschmidt (Chefdramaturg am Staatstheater Stuttgart bei  >>>  PERIKLES und  >>>  ENDE GUT ALLES GUT)  hatte ich Bernd Renne kennen gelernt, der nach der Wende zum Intendanten in Rostock gewählt wurde. Mein Interesse für das Theater der DDR, mir insbesondere jenes von Bertolt Brecht, Benno Besson, Manfred Wekwerth und das Deutsche Theater Berlin unter Wolfgang Langhoff und Heinar Kipphardt seit meiner Zeit an der Schaubühne 1974 bekannt. In den Wochen und Monate nach der Wende suchte in den Kontakt mit Bernd Renne und wir vereinbarten diese Inszenierung. Ich wollte der Machart des Theaters nachgehen und die mir (mit der Churer Inszenierung) bekannte Operetten-Komödie von Nestroy dort nach dem gleichen Konzept wieder einrichten. Mich interessierte die Fantasie und Spielfreude der Vorlage mit der breiten Möglichkeit der Extemporierung – und ich wollte sehen wie die zum Teil noch alten Schauspieler in Rostock damit umgehen würden. Dabei lernte ich Feliks Büttner kennen, der grosse Künstler-Fantast, und schlug ihn für die Ausstattung vor. Alles schien perfekt für diese Annäherung zu sein. Die Realität schlug dann als die radikalste Ernüchterung ein: in der deutsch-deutschen Kommunikation schien ’nach und nach’ alles unverständlich und unerreichbar zu werden. Die ersten Zeichen wurden von mir im Nachhinein betrachtet zu sehr verharmlost, das Festhalten des Ensembles an (mir dann noch weitgehendst unbekannten) ‘Traditionen’ und ‘Kompetenz-Hierarchien’, ‘Texttreue’ und dann auch ‘Operetten-Erwartung’ entwickelte sich zum Produktionsgraus – mir schienen die ‘Theateranliegen’ des Ensembles zu lange nachvollziehbar, aber die “Phantom-kommunikation” und die theatertechnischen Ein- und Vorwände verstand ich erst Jahre später mit meiner Arbeit am  >>>  Theater Winterthur  und über die vielen Kontakte in die neuen Bundesländer, die ich dann aus anderer ‘Hierarchie’ pflegen konnte.

 

Trotz allem will ich die Bilder einer Hauptprobe hier aufschalten, sie zeigen zumindest einige Chancen der Spielmöglichkeiten … wer die Fotos aufgenommen hat entzieht sich meiner Kenntnis, mir wurden sie von der Pressestelle des Theaters noch vor der Premiere ausgehändigt, also:

Fotos:   ©  Pressestelle Volkstheater Rostock, 1992

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Pressestimmen: 

>>>  Wiener Schmankerl in der Südsee  Rostock EXPRESS  3.6.92
>>>  Premieren im Juni  Mecklenburger Aufbruch  5.6.92
>>>  Premieren  piste Rostock  Juni 92
>>>  ‘Theaterschmankerl’-Premiere im Kleinen Haus  Rostock Extra  11.6.92
>>>  ‘Häuptling Abendwind’ im Kleinen Haus des Volkstheaters  NNN, Wolfgang Dalk  12.6.92
>>>  Vergnügen total bei mörderischem Schmaus  Ostseezeitung, G. Richardt  16.6.92
>>>  Ein laues Lüftchen  Kurier Warnow, Sabine Hilliger  17.6.92
>>>  Ein kannibalisches Vergnügen  Mecklenburgischer Aufbruch, D. Harner  19.6.92
>>>  Urkomisch und äusserst bissig  NEPTUM-WARNOW-KURIER, Schwo  2.7.92
>>>  Der Witz hält sich in sehr engen Grenzen  NNN, Horst Prignitz  7.7.92
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>>>  Nestroy  HÄUPTLING ABENDWIND  in der Klibühni Chur, 1986

 

Finzi Pasca, GRENZGANG

1992     S / D / de / DEA

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Daniele Finzi Pasca:  GRENZGANG

Produktion des Mo Moll Theater Wattwil
Originaltitel: VIAGGIO AL CONFINE
Uraufführung: 1985 in Lugano

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MoMoll Theater Wattwil, Leitung: Jordi Vilardaga

Rohübersetzung:  Claudia Rüegsegger, Jordi Vilardaga
Spielfassung:  Gian Gianotti ..

 

Besetzung:

Sie: .  . Claudia Rüegsegger
Er: . . . .Jordi Vilardaga

Inszenierung und Bühne:  Gian Gianotti

 

Premiere:  18. März 1992 im Chössi-Theater Wattwil
Deutschsprachige Erstaufführung

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Bühnenbild und Kostüme: Ensemble nach einer Idee von Gian Gianotti
Bühnenmusik: Edward Grieg, Peer Gynt-Suite, Op.23

Requisiten, Bühnentechnik
sowie Betreuung der Vorstellungen:  Michael Oggenfuss

Plakat:  Thomas Freydl
Illustrationen im Programmheft:  Gabrielle Gern

Produktionsleitung:  Claudia Rüegsegger

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Es gibt Völker, die träumen; denen aber, die nicht träumen, bleibt das Theater.
(Jean Giraudoux)

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Zum Spiel im Grenzgang
Personen: ER, ein Mann, Angestellter und SIE, eine Frau, eventuell Kindergärtnerin

ER spiel ihn, SIE spielt sich.
Dazu ist ER sie, wenn SIE ihn nicht versteht
und ER ihr etwas über den Weg sagt, denn
dann spielt ER CHARON und SIE SELENE,
wenn SIE nicht gerade LIVIA vertritt.
Denn die ist in seinem Kopf, vor und nach der Vorstellung
und tritt nicht auf
aber ist ständig da und flattert herum
wie eben, und ER als CHARON ihr als SELENE von CARLA spricht
über das ER gerade fast gestolpert wäre, in der totalen Dunkelheit,
denn CARLA, so heisst das Huhn,
hätte ER, auch als Hecke verwandelter ISAAC,
eh nicht töten können, denn es hatte so schöne Augen.
Aber so kam das Publikum ums Essen,
denn zum Wein wollten sie doch etwas offerieren,
wenn es sich ihn doch bereits vorstellen konnte in den leeren Gläsern,
da er schon ausgetrunken war
bevor es, das Publikum,
auch nur von ihren jeweiligen LIVIAS oder anderen
hätte aufgefordert werden können
doch wenigstens einmal diese Theatergrenze,
die unsichtbare,
zu überschreiten …

das ist, das war  Daniele Finzi Pasca  … 1986 in seinem  VIAGGIO AL CONFINE,
und mit dieser Welt wollten wir uns einmal abgeben, im “grossen” Theater mit nichts als allem.

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ZUR  INSZENIERUNG  IN  DEN  KÖPFEN

These: Ich will wieder meine Klassiker sehen, sehen was ich sah, was für mich das Eigentliche war, was war, wahr war. Ich. Für mich.
Antithese: Mein Theater ist die Kunst der Anderen.

GRENZGANG.

Das Stück ist eine Reise in die Fantasie, in die Erinnerung. Bilder werden kaum gezeigt, Stimmungen entstehen, werden zugelassen, geben einen individuellen Sinn ab, wahr für den, der sich Ich nennen kann, der sich eine Assoziationsfähigkeit entwickeln, der sich selber Publikum und Zuschauer sein kann … und besonders für jenen, der das Stück zum ersten Mal sieht, hört, und offen ist für ganz Anderes.

Es wird von einer Erfahrung erzählt, wie einer ins Theater kam und gar kein Theater gesehen hat, sondern verführt wurde in einen weiteren Raum, den wir als Raum der Erinnerungen bezeichnen können, ins Requisitenlager oder in sich hinein. Dorthin jedenfalls, wo man gewöhnlich Erinnerungen, alte Beziehungen, nicht mehr Bewusstes hin- und ablegt … Und da findet er im Chaos eine Ordnung, unter dem Staub der Zeit findet er seine sehr lebendigen “déjà vues”, er findet seine Beziehung zu den Dingen, die daliegen, erfindet seine Dinge, seine Vergangenheit, seine Grossmutter, alte Regeln, kindliche Fragen.

Das Theater wird zum Erlebnis, Unterhaltung suchend wird der Zuschauer mit seiner eigenen Sensibilität konfrontiert. Anstatt sich den Alltag verdrängen zu können, taucht er ein in eine neue Art der Lebendigkeit – lässt sich gehen, ist neugierig, offen, assoziativ, ist sich selber in seinen Geschichten.

Eine Inszenierung? Eine Geschichte. Eine Reise in die grösste Dimension, die wir Menschen überhaupt erreichen können – in unsere eigene Fantasie. Und das Theater ist die Einladung dazu, die Brücke. Es sind einige Einstiegsflächen da, und dort einige Schwingungen, eine kleine gesicherte Ordnung für die Gestaltung des gemeinsamen Spiels und Erzählens. Aber sonst suche ich die grösstmögliche Offenheit für die Individualität und arbeite gegen die Idee, dass Theater nur auf der Bühne stattfinden kann, und dass alles, was auf der Bühne passiert, auch “das Theater” sei – Ich suche die Unterebene, das Fundament, und erdenke mir die Konstruktion darauf, erdichte, erfinde, erstelle. Ich. Meine. Von diesen Aussagen natürlich unterstützt, aber ich suche meine Geschichte: Ich, der Zuschauer.

Gian Gianotti, Januar 1992

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Texte aus der Schatulle “Dramaturgie”, die uns während der Inszenierung, bei der Suche nach den Übergängen zwischen “Realität, Theater, Fantasie und Traum” begleiteten und anspornten:

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Das Theater, ein Traum  von Robert Walser

Das Theater gleicht einem Traum. Im griechischen mag es anders gewesen sein; unseres ist von einem dachbedeckten, dunklen Haus geheimnisvoll und fremdartig eingeschlossen. Man tritt hinein, tritt nach ein paar Stunden wie aus einem merkwürdigen Schlaf wieder heraus, in die Natur, in das wirkliche Leben, und ist dann dem Traum entflohen.

Im Traum haben die Bilder, die einem vor dem Auge entstehen – es mag das Auge der Seele sein -, etwas Scharfes, Festgezeichnetes. Raumhaft natürliche Perspektiven, einen realen Erdboden, frische Luft gibt es da nicht. Man atmet Schlafstubenluft, während man über Berge schreitet wie der Mann mit den Siebenmeilenstiefeln. Es ist alles verkleinert, aber auch verschrecklicht im Traum; ein Gesicht hat meistens einen erschütternd bestimmten Ausdruck: furchtbar süss, wenn es ein süsses und wohlwollendes, furchtbar abstossend, wenn es ein, Furcht und Entsetzen einflössendes ist. Im Traum haben wir die ideale dramatische Verkürzung. Seine Stimmen sind von einer entzückenden Schmiegsamkeit, seine Sprache ist beredsam und zugleich besonnen; seine Bilder haben den Zauber des Hinreissenden und Unvergesslichen, weil sie überwirklich, zugleich wahr und unnatürlich sind. Die Farben dieser Bilder sind scharf und weich zugleich, sie schneiden mit ihrer Schärfe ins Auge wie geschliffene Äpfel und sind einen Moment nachher schon wieder zerflossen, so dass man oft, träumend sogar, bedauert, dieses und jenes so schnell verschwinden zu sehen.

(…) Wir sind so gern in dunklen, nachdenklichen Löchern. Nicht diese Vorliebe ist eine Schwäche; unsere Schwäche besteht vielmehr darin, uns solcher Vorlieben zu schämen.

Sind nicht auch die Dichtungen Träume, und ist denn die offene Bühne etwas anderes als ihr grossgeöffneter, wie im Schlaf sprechender Mund? Während des anstrengenden Tages treiben wir in den Strassen und Lokalen unsere Geschäfte und nützlichen Absichten vor uns her, und dann finden wir uns in den engen Sitzreihen wie in engen Betten zum Schauen und Hören ein; der Vorhang, die Lippe des Mundes, springt auf, und es brüllt, zischt, züngelt und lächelt uns befremdend und zugleich herzensvertraulich an; es setzt uns in eine Erregung, deren wir uns nicht bemeistern mögen und können, es macht uns krümmen vor Lachen oder erbeben vor innerlichem Weinen. Die Bilder flammen und brennen vor den Augen, die Figuren des Stückes bewegen sich übernatürlich gross, wie nie gesehene Gestalten, vor uns. Das Schlafzimmer ist dunkel, nur der offene Traum glänzt in dem starken Licht, blendend, redend, dass es einen zwingt, mitoffenem Munde dazusitzen.

Wie melodiös sind Farben im Traum! Sie scheinen Gesichter zu werden, und plötzlich droht, schluchzt oder lächelt eine Farbe; ein Fluss wird zu einem Pferd, und das Pferd will mit seinen behuften Füssen eine enge Treppe emporsteigen, der Reiter zwingt es, man verfolgt ihn, man will ihm das Herz aus dem Leib reissen, man kommt näher, aus der Feme sieht man die Mörder herstürmen, namenlose Angst packt einen an – der Vorhang sinkt.

(…) O, wie der Traum göttlich schauspielert! Er gibt vom Entsetzlichen das unanfechtbar reine Bild wie vom Süssen, Beklemmenden, Wehmutvollen oder Erinnerungsbangen. Zu den Empfindungen, Personen und Tönen malt er sofort Schauplätze, zu dem süssen Geplauder einer edlen Frau deren Gesicht, zu den Schlangen die seltsamen Kräuter, worunter sie grauenhaft hervorkriechen, zu dem Geschrei von Ertrinkenden die schwermutvolle abendliche Fluss- und Uferlandschaft, zum Lächeln den Mund, der es ausdrückt.

Manchmal sehen wir nur Züge, Linien, manchmal nur Augen; dann kommen die blassen Züge und umrahmen die Augen, dann die wilden, schwarzen Haarwellen und begraben das Gesicht; dann ist es wiederum nur noch eine Stimme, dann geht eine Tür auf; es stürzen zweie herein, man will erwachen, aber unerbittlich dauert das Hereinstürzen fort. Momente gibt es im Traum, deren Erinnerung wir im Leben nie vergessen können.

So wirkt auch das Theater mit seinen Gestalten, Worten, Lauten, Geräuschen und Farben. Wer möchte zu einer holdseligen Liebesszene den üppig verwachsenen Garten vermissen, zu einem Mord die dunkle Wand der Gasse, zu einem Schrei das Fenster, durch welches er ausgestossen werden kann, zum Fenster, die zärtlich und frauenhaft weisse Gardine, die es verfenstert und verzaubert und wieder vernatürlicht? Schneelandschaften, nächtliche, liegen auf der Bühne, dass man glauben sollte, sie erstrecken und dehnen sich meilenweit; ein Eisenbahnzug mit rötlich schimmernden Waggonfenstern zieht vorüber, ganz langsam, als zöge und winde er sich in weite Feme, wo das Schnelle dem Auge nicht schnell entfliehen will. Feme und Nähe sind im Theater dicht nebeneinander. Zwei Schurken flüstern immer zu laut; der edle Herr hört alles, und er stellt sich doch ahnungslos. Das ist das Traumhafte, das wahre Unwahre, das ergreifende und zu guter Letzt das Schöne, Wie schön ist es, wenn zwei Kerle laut brüllend miteinander flüstern, während des anderen Gesichtszüge sagen: wie still ist es rings umher!

Solches ähnelt den grausigen und schönen Geschichten im Traum. Die Bühne setzt alles daran, zu erschrecken; sie tut gut daran, das zu beabsichtigen, und wir tun gut, das Etwas in uns zu hüten, das uns den Genuss und den Schauder dieses Schreckens noch empfinden lässt.

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Eine Predigt!  von Federico Garcia Lorca

Ja, eine Predigt! Warum sollen wir immer ins Theater gehen, um zu sehen, was geschieht? Der Zuschauer ist zufrieden, weil er weiss, dass sich das Stück um ihn nicht kümmert; aber wie schön wäre es, wenn man ihn plötzlich von den Brettern aus anriefe und ihn zum Sprechen brächte und die Sonne der Bühne dem hinterhältigen Kerl in sein bleiches Gesicht schiene!

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Der Schmetterling  von Tschuang Tse

Ich, Tschung Tse, träumte einst, ich sei ein Schmetterling, ein hin und her flatternder, in allen Zwecken und Zielen ein Schmetterling. Ich wusste nur, dass ich meinen Launen wie ein Schmetterling folgte, und war meines Menschenwesens unbewusst. Plötzlich erwachte ich, und da lag ich: wieder “ich selbst”. Nun weiss ich nicht: war ich da ein Mensch, der träumt, er sei ein Schmetterling, oder bin ich jetzt ein Schmetterling, der träumt, er sei ein Mensch? Zwischen Mensch und Schmetterling ist eine Schranke. Sie überschreiten ist Wandlung genannt.

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(…) Eines Tages, …  von Michael Ende

… vor einigen Jahren, schneit mir ein Brief vom Duttweiler Institut ins Haus, ein sehr schön gelegenes Institut, in dem Tagungen über alle möglichen sozialen, politischen und sonstigen Themen veranstaltet werden. Die Tagung, von der ich jetzt spreche, lief unter dem Thema “Die Rationalisierungsfalle”. Zu dieser Tagung waren etwa zweihundert Top-Manager aus ganz Europa eingeladen, auch Gewerkschaftsleute und einige vom Club of Rome. Es ging bei der ganzen Sache um die Microprozessoren, die damals gerade aufkamen und die praktisch als dritte industrielle Revolution gewertet wurden.

Ich war einigermassen erstaunt, dass die Veranstalter gerade mich einluden, an dieser Tagung teilzunehmen. Wie sie mir schrieben, brauchten sie jemand, der Gretchenfragen stellt, also als Nichtfachmann ganz unbefangen und sozusagen naiv den Problemen gegenübersteht.

An der Tagung wurde zuerst schwer über alle möglichen Fragen des Wirtschaftswachstums diskutiert. Es war eine heftige und ziemlich groteske Diskussion. Nach dem Abendessen sollte der gemütliche Teil kommen, und da war ich endlich an der Reihe. Ich las erstmal den Managern zur allgemeinen Verblüffung ein Kapitel aus der Momo vor, die Stelle mit Herrn Fusi, dem Friseur. Danach herrschte Ratlosigkeit im Saal. Man wusste nicht so recht, was das sollte, dass ihnen da einer plötzlich ein Märchen vorliest. Also fingen die Leute an, über den literarischen Wert oder Unwert der Sache zu diskutieren. Ich sagte: Meine Herren, ich glaube nicht, dass man mich aus diesem Grund zu Ihrer Tagung eingeladen hat. Die vorgelesene Stelle aus meinem Märchenroman sollte nur eine Anregung sein. Mir fällt auf, dass in unserem ganzen Jahrhundert kaum eine positive Utopie mehr geschrieben worden ist. Die letzten zumindest positiv gemeinten Utopien stammen aus dem vorigen Jahrhundert. Denken Sie etwa an Jules Verne, der noch glaubte, dass der technische Fortschritt den Menschen tatsächlich glücklich und frei machen könnte, oder an Karl Marx, der dasselbe von der Perfektion des sozialistischen Staates erhoffte. Beide Utopien haben sich inzwischen selbst ad absurdum geführt. Sieht man sich aber die Utopien an, die in unserem Jahrhundert geschrieben worden sind, angefangen von der “Zeitmaschine” von Wells über “Brave New World” von Huxley bis zu “1984” von Orwell, so finden wir nur noch Alpträume. Der Mensch unseres Jahrhunderts hat Angst vor seiner eigenen Zukunft. Er fühlt sich dem, was er selbst geschaffen hat, offenbar hilflos ausgeliefert. Es wird nur noch in Sachzwängen gedacht. Und Zwänge machen Angst. Das Gefühl der Hilflosigkeit ist so gross, dass wir nicht einmal mehr wagen, uns zu überlegen, was wir uns eigentlich wünschen.

Und deshalb möchte ich Ihnen, die Sie ja nun den ganzen Tag über Zukunftsfragen diskutiert haben, folgenden Vorschlag machen: Setzen wir uns doch einmal alle gemeinsam auf einen grossen Teppich und fliegen hundert Jahre in die Zukunft. Und jetzt soll jeder sagen, wie er sich denn nun wünscht, dass die Welt dann aussehen soll. Mir scheint nämlich, solange immer nur innerhalb der Sachzwänge argumentiert wird, wie heute den ganzen Tag, dann stellt man überhaupt nicht mehr die Frage, was wir überhaupt für wünschenswert halten. Wenn wir alle gemeinsam etwas Bestimmtes wollen, dann finden sich auch Mittel und Wege, es zu verwirklichen. Wir müssen nur wissen, was! Jeder soll sagen, wie er sich die zukünftige Welt wünscht

Fünf Minuten Schweigen – peinliches Schweigen. Schliesslich stand einer auf und sagte: Was soll der Quatsch? Das hat doch überhaupt keinen Sinn, wir müssen auf dem Boden der Tatsachen bleiben, und die Tatsachen sind eben die, dass wir, wenn wir nicht mindestens drei Prozent Wachstum im Jahr haben, nicht mehr konkurrenzfähig sind und wirtschaftlich zugrunde gehen. Ich sagte, das haben Sie jetzt den ganzen Tag über diskutiert, Sie werden morgen und übermorgen weiter darüber diskutieren, jetzt wollen wir das einen Augenblick vergessen und dieses Zukunftsspiel spielen. Aber das war nicht zu machen, im Gegenteil! Die Situation wurde so prekär, so mulmig, dass die Veranstalter den Versuch nach einer halben Stunde von sich aus abbrechen mussten, weil die Leute anfingen, mich zu beschimpfen und aggressiv zu werden.

Dieses Erlebnis hat mir viel zu denken gegeben. Ich glaube, es sind nicht nur diese Wirtschaftsleute, die heutzutage in einem ganz bestimmten Kreislaufdenken regelrecht gefangen sind, und dieser Kreislauf wird angetrieben durch Vorstellungen der Macht und der Angst, das heisst entweder überwältigen uns die anderen, dann sind wir verloren, oder wir überwältigen die anderen, dann gewinnen wir einen kleinen Vorsprung in diesem Wettlauf. (…)”

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Der Traum des Träumers  von Gabriel García Márquez

Vor Jahren schon wollte ich die Geschichte eines Mannes schreiben, der sich für immer in den Träumen verirrte. Der Mann träumte, er schliefe in einem Zimmer, welches dasselbe war, in dem er in Wirklichkeit schlief, und in diesem zweiten Traum träumte er auch, dass er schlief und denselben Traum in einem dritten Zimmer träumte, das den beiden vorhergehenden glich. In diesem Augenblick ertönte der Wecker auf dem Nachttisch der Wirklichkeit, und der Schlafende begann zu erwachen. Hierzu musste er natürlich aus dem dritten in den zweiten Traum erwachen, doch liess er dabei so viel Vorsicht walten, dass der Wecker im Zimmer der Wirklichkeit aufgehört hatte zu wecken, als er erwachte.

Als er nun vollständig erwacht war, zweifelte er einen Augenblick an seinem Verlorensein: Das Zimmer war den andern aus seinen überlagerten Träumen so ähnlich, dass er keinen Grund finden konnte, nicht daran zu zweifeln, dass auch dieser ein geträumter Traum war. Zu seinem grossen Unglück beging er deshalb den Irrtum, wieder einzuschlafen, begierig darauf, das Zimmer des zweiten Traums zu erforschen, um zu sehen, ob er dort ein sicheres Indiz der Wirklichkeit finden würde, und als er es nicht fand, schlief er wieder im zweiten Traum ein, um die Wirklichkeit im dritten zu suchen und danach in einem vierten und in einem fünften.

Schon mit den ersten Anzeichen begann er, von dort aus rückwärts aufzuwachen, vom fünften Traum in den vierten und vom vierten in den dritten und vom dritten in den zweiten, und in seinem sinnlosen Drang erinnerte er sich nicht mehr an die überlagerten Träume und befand sich lange Zeit in der Wirklichkeit. In Zimmern, die nicht mehr vor, sondern hinter der Wirklichkeit lagen. Verloren auf dem endlosen Gang mit denselben Zimmern, schlief er für immer ein und wanderte von einem Ende seiner unzähligen Träume zum anderen, ohne dass er die Tür zum Ausgang in das wirkliche Leben fand, und der Tod war seine einzige Erlösung in einem Zimmer, dessen genaue Nummer niemals mit Sicherheit festgestellt werden konnte.

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Alle Vorhänge im Theater …  von Hans Weigel

… fallen um Bruchteile von Sekunden zu spät. Der Rest fällt zu früh. Dem Vernehmen nach soll in den zwanziger Jahren einmal in einem Theater der Vorhang dank einer Kettenreaktion von Missverständnissen im richtigen Moment gefallen sein, aber das glaube ich nicht.

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Everything and Nothing  von Jorge Luis Borges

In ihm war niemand; hinter seinem Gesicht (das auch auf den schlechten Gemälden seiner Zeit wie kein anderes aussieht) und hinter seinen Wörtern, die zahlreich, phantastisch und wildbewegt waren, gab es nicht mehr als ein wenig Kälte, einen von niemandem geträumten Traum. Am Anfang glaubte er, alle Personen seien wie er, aber das Befremden eines Kameraden, mit dem er auf diese Leere zu sprechen kam, enthüllte ihm seinen Irrtum und hinterliess ihm für immer das Gefühl, dass ein Individuum nicht von der Gattung abweichen dürfe. Manchmal glaubte er, dass er in Büchern das Heilmittel für seine Leiden fände, und so erwarb er sich das geringfügige Latein und das noch geringfügigere Griechisch, von dem ein Zeitgenosse sprechen sollte; dann kam er auf den Gedanken, dass in der Durchführung eines urtümlichen Ritus der Menschheit das, was er suchte, sehr wohl enthalten sein möchte, und liess sich von Anne Hathaway einweihen im Laufe einer langen Juni-Siesta. Als er einige zwanzig Jahre alt war, ging er nach London. Instinktiv hatte er sich schon angewöhnt, so zu tun, als sei er jemand, damit seine Niemandsverfassung nicht entdeckt würde: in London fand er den Beruf, für den er prädestiniert war, den des Schauspielers, der auf einer Bühne so tut, als sei er ein anderer, vor einer Ansammlung von Leuten, die so tun, als hielten sie ihn für jenen anderen. Die Gauklerpflichten lehrten ihn eine einzigartige Fröhlichkeit, die erste vielleicht, die er kennenlernte; wenn jedoch der letzte Vers beklatscht und der letzte Tote von der Szene weggetragen war, suchte ihn der verhasste Geschmack von Unwirklichkeit aufs Neue heim. Er hörte auf, Ferrex zu sein oder Tamerlan und wurde wiederum zu niemand. In seiner Bedrängnis begab er sich daran, andere Helden und andere tragische Fabeln zu ersinnen. Während so der Körper seinem körperlichen Geschick oblag, in Freudenhäusern und Schänken Londons, war die Seele, die ihn bewohnte, Caesar, der auf die Weissagung des Auguren nicht hört, und Julia, die die Lerche verabscheut, und Macbeth, der sich auf der Heide mit den Hexen bespricht, die gleichzeitig die Parzen sind. Niemand war so viele Menschen wie dieser Mensch, der gleich dem Agypter Proteus alle Erscheinungen des Seins zu erschöpfen vermochte. Zuweilen hinterliess er in einem versteckten Winkel des Werks ein Bekenntnis, überzeugt, dass es unenträtselt bleiben würde; Richard behauptet, dass er in der Einzahl seiner Person die Rolle vieler spielt, und Jago tut den sonderbaren Ausspruch: ‘Ich bin nicht, der ich bin’. Die grundsätzliche Identität von Dasein, Träumen und Darstellen inspirierte ihn zu Stellen, die berühmt geworden sind.

Zwanzig Jahre lang verharrte er in dieser planmässigen Halluzination, aber eines Morgens überkamen ihn Überdruss und Grauen, so viele Könige zu sein, die durch das Schwert umkommen, und so viele unglückliche Liebende, die zueinander finden und auseinander streben und melodisch dahinsterben. Noch am gleichen Tag beschloss er, sein Theater zu verkaufen. Vor Ablauf einer Woche war er in seinen Geburtsort zurückgekehrt, wo er die Bäume und den Fluss seiner Knabenzeit wieder in Besitz nahm und sie nicht mit jenen anderen verknüpfte, die seine Muse gerühmt hatte, und die im Widerschein mythologischer Anspielung und lateinischer Worte standen. Irgendwer musste er nun einmal sein; so war er ein Impresario im Ruhestand, der zu Vermögen gekommen ist, und der sich für den Geldverleih, die Händel und die kleinen Wuchergeschäfte interessiert. Als solcher setzte er das dürre Testament auf, das wir kennen, und aus dem er geflissentlich jeden poetischen oder literarischen Zug verbannte. Freunde aus London besuchten ihn gelegentlich in seiner Zurückgezogenheit, und ihnen zuliebe griff er auf die Rolle des Poeten zurück.

Die Geschichte weiss übrigens zu vermelden, dass er sich vor oder nach dem Sterben im Angesicht Gottes wusste und zu ihm sprach: “Ich, der ich vergebens so viele Menschen gewesen bin, will nur einer und Ich sein.” Die Stimme Gottes sprach zu ihm aus einem Wirbelsturm: “Auch Ich bin nicht; ich habe die Welt geträumt, wie du, mein Shakespeare, dein Werk geträumt hast, und unter den Gebilden meines Traums bist du, der du wie ich viele und niemand bist.”

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Aus: Warten auf Godot  von Samuel Beckett

(…) Estragon schläft ein. Wladimir bleibt vor Estragon stehen.

WLADIMIR Gogo… Stille. Gogo… Stille. GOGO!

ESTRAGON Fährt aus dem Schlafe auf und wird so wieder in seine schaudervolle Situation zurückversetzt: Ich schlief. Vorwurfsvoll. Warum lässt du mich nie schlafen?

WLADIMIR Ich fühlte mich einsam.

ESTRAGON Ich hatte einen Traum.

WLADIMIR Erzähl ihn nicht.

ESTRAGON Ich habe geträumt…

WLADIMIR ERZAHL IHN NICHT!

ESTRAGON auf das Universum zeigend: Genügt dir dieser? Schweigen. Es ist nicht nett von Dir, Didi. Wem soll ich denn meine privaten Alpträume erzählen, wenn nicht Dir?

WLADIMIR: Sie sollen privat bleiben. Du weisst gut, dass ich das nicht vertrage.

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Traum und Realität  von Christoph Wulf

Die Fähigkeit, zwischen Traum und Realität unterscheiden zu können, ist eine, die erst mit einem gewissen Entwicklungsstand des Bewusstseins erreicht wird und über die, der am 26. Mai 1828 auf dem Marktplatz in Nürnberg gefundene Kaspar Hauser noch nicht verfügt hat. Von ihm berichtete Anselm Ritter von Feuerbach folgende Äusserung: “… das Bett sei das einzige Angenehme, das ihm noch auf dieser Welt vorgekommen, alles Übrige sei gar schlecht. – Erst seit er in einem Bette schlief, hatte er Träume, die er aber anfangs nicht für Träume erkannte, sondern beim Erwachen seinem Lehrer als wirkliche Begebnisse erzählte, indem er zwischen Wachen und Träumen erst später einen Unterschied zu machen lernte.”

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Ideale  von Federico Fellini

Der Verfall der Mythen ist vielleicht nur ein vorübergehender Spuk, aber man spürt, dass die reine Energie über sie hinweggeht. Wenn man Masken und Monstren an sich vorüberziehen lässt, sieht man einige verblassen, andere stürzen; es sind die, von denen man nichts mehr weiss. Die Moralisten jammern und finden, es sei ein Skandal, aber etwas wenigstens ist dabei gewonnen: eine gewisse Ordnung hat sich überlebt.

Wir projizieren auch weiterhin idealisierte Bilder über die Dinge, die wir sehen. Die Ideale kaschieren die Wirklichkeit. Es gibt nichts Ideales, keine ideale Frau, kein ideales Paar, keine ideale Stätte, keine ideale Situation: bei allem kommt es darauf an, dass man mit seinen Problemen zu leben lernt.

Wir respektieren auch weiterhin Werte und allgemeine Prinzipien, die uns zu nichts mehr nützen. Im Leben gibt es nur Einzelfälle, nach denen man sich nach Möglichkeit richten muss.

Der gegenwärtige Zersetzungsprozess der Gesellschaft erscheint mir durchaus normal: für mich ist er kein Zeichen des Untergangs, sondern ein Zeichen von Leben. Das Leben besteht aus Umwandlungen. Man sollte diese hier sogar beschleunigen, sie so vollziehen, wie man es mit der Nahrung macht. Revolte ist immer fruchtbar. Nur die Revolte trägt die organische Notwendigkeit, sich Ausdruck zu schaffen, in sich. Billigung hingegen führt zu Indifferenz. Man schläft dabei ein.

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Was ist denn ein Künstler  von Federico Fellini

Nichts anderes als ein Provinzler, der sich zwischen einer physischen und einer metaphysischen Wirklichkeit befindet. Vor einer metaphysischen Wirklichkeit sind wir alle Provinzler. Wer ist denn schon Bürger der Transzendenz, wer? … Heilige. Und diese Grenzlinie des Zwischenreichs möchte ich Provinz nennen, diese Grenze zwischen der Welt des Wahrnehmbaren und der Welt des übersinnlichen – die eben ist das Reich des Künstlers.

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Pressestimmen: 

>>>  Neues Programm auf neuer Bühne  Der Toggenburger, ms  20.3.92
>>>  Premiere – doch der Vorhang blieb zu  St.Galler Tagblatt, Liliane Schär  20.3.92
>>>  ‘Grenzgang’ Mo Moll Theater  Klibühni Schnidrzumft Chur  24. & 25. 9.92
>>>  Reise ins Reich der Phantasie  Bündner Zeitung, gu.  26.9.92
>>>  Eine Rumpelkammer voller Träume  St.Galler Tagblatt, Peter Surber  29.9.92
>>>  Phantasien und Träume  Schaffhauser Nachrichten, Ursula Noser  28.11.92
>>>  Zwischen Fiktion und Realität  Der Landbote, Esther Reutimann  30.11.93

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Strindberg, FRÄULEN JULIE

1990     S / D

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Strindberg: FRÄULEIN JULIE
Stadttheater Chur, Direktion Albrecht Eckle.

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August Strindberg: Fräulein Julie
In der Übersetzung von Peter Weiss
Stadttheater Chur, Direktion: Georg-Albrecht Eckle

Premiere: 25. Oktober 1990

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Inszenierung und Bühnenbild: Gian Gianotti
Kostüme: Simone Girardin
Dramaturgie: Christine Lemke

Technik: Peter Broersen
Beleuchtung: Hans Schittenhelm
Grafik/Plakat: Daniel Rohner

Rechte: Suhrkamp

Bühnenmusik:  Einspielungen aus Ali Bain and friends (Irische Volksmusik) und Pierre Favre und Tamia (Schlagzeug und Gesang)

 

Besetzung:

Fräulein Julie: Leontina Lechmann
Jean: Beat Knoll
Krystin: Katharina Kronberg

Volk:
Marco Luca Castelli, Claudio Cathomen, Beda Frei,
Serena Fueter, Sara Haas,
Ursina Lardi, Mara Melcher,
Paul Schmed, Jos Schmid, Rolf Schmid,
Ariane Senn, Orit Teply, Ursina Trautmann,
Curdin Vincenz, Gion-Duri Vincenz

 

 

Die Inszenierung wurde am 13. und 14 März 1992 im Kurtheater in Baden in einer angepassten Einrichtung gezeigt. Die Volksszene wurde mit 14 Mittelschüler und Mittelschülerinnen aus der Region neu eingerichtet, die Musik wurde live gespielt von David May (Geige, irische Volksmusik).

In einem Rahmenprogramm von Gian Gianotti mit Texten von und über Strindberg fand am 12. März 1992 eine Einführung für die Mitglieder des Theatervereins Baden stattÜber die Heftigkeit des Einbruchs.

Jeanne Roth (Gesang)
Javier S. Miguel (Klavier)

Leontina Lechmann, Beat Knoll, Katharina Kronberg, Gian Gianotti

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Besetzung:

Fräulein Julie: Leontina Lechmann
Jean: Beat Knoll
Krystin: Katharina Kronberg

dazu als Volk: Mittelschüler und Mittelschülerinnen der Kantonsschule Baden

Florence Girod, Eva Maurer, Thomas Strässle, Claudia Winkler,
Marion Steiger, Katharina Kuhn, Marianne Fernández, Caroline Moor,
Georg Gindely, Laura Meyer, André Sandmann, Myriam Spörri,
Susanne Stevanovic, Nataša Hadžimanović

Chorführer: David May (Geige, irische Volksmusik)

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Stadttheater Chur, FOYER, Ein Magazin, zweite Ausgabe / Oktober 1990
Redaktion: Felix Benesch, Christine Lemke

STRINDBERG
FRAULEIN  JULIE

Wird einer gefragt, ob er in Graubünden einen Theaterregisseur kenne, so wird sein Name als erster fallen: Gian Gianotti war und ist wohl noch immer der initiativste Theatermann unserer Gegend. Doch so nachhaltig seine Wirkung auf die Bündner Kulturlandschaft ist, so verkannt wurde er immer wieder. Als unruhiger Geist, der sich nicht mit Wasser und Brot abspeisen lassen wollte, suchte et das Weite. Die letzten Jahre arbeitete er hauptsächlich an Theatern in der übrigen Schweiz und im Ausland. Nun inszeniert er endlich wieder in Chur. Zum ersten Mal überhaupt am Churer Stadttheater.

Die Churer Freilichtspiele sind hauptsächlich sein Kind, mit unkonventionellen Projekten hat er die Theaterbegeisterung in die Täler getragen, das Riesenfestspiel “Bündner Wirren” letzten Sommer in Davos war sein bislang letzter Streich in Graubünden. Gianotti ist ein eigenwilliger Regisseur. In den grossen Kulturbetrieben hat er zwar auch gearbeitet, doch ging es ihm immer wieder um anderes: sein Anliegen ist ein Theater, das in der Bevölkerung verankert ist und aus regionaler Geschichte und regionalem Brauchtum schöpft. Produktionen in verschiedenen Dörfern und Regionen des Kantons, wie “Das Walserschiff” in Splügen, “Adam da Chamues-ch” in La Punt, “Il Crap fess” in Bergün zeigten auf, wie Gianotti das meint. Es waren Pionierleistungen, die mittlerweile vielerorts Nachahmung finden, wenn auch selten so fundiert. Die Proben zu Strindbergs “Fräulein Julie” laufen auf Hochtouren. Wir haben uns mit ihm über seine Arbeit, seine Beziehung zu diesem Stück, zu Chur und zum hiesigen Stadttheater unterhalten.

EIN  STÜCK  IM  SPANNUNGSFELD  ZWISCHEN  “EMANZIPATION”  UND  “KONFRONTATION”

Foyer: Warum hat Gian Gianotti bisher noch nie am Churer Stadttheater gearbeitet?
Gian Gianotti: Es kam bisher nicht dazu’ Die Umgebung für das Gespräch war nicht gegeben und es musste ja auch nicht sein. Jetzt darf es sein und soll es auch sein dürfen.
Foyer: Warum Strindberg, warum “Fräulein Julie” in Chur?
Gian Gianotti: “Fräulein Julie” ist ein komplexes, ein gutes, ein grosses Stück, das mit einer kleinen Gruppe verwirklicht werden kann. Gewissermassen ein Studiostück für die grosse Bühne, eine Theaterform, die ganz bestimmte Qualitäten und Sensibilitäten zeigen kann. Die Grundthemen der Strindbergschen “Julie” wären meiner Ansicht nach am besten mit “Tabu und Intimität” zu umschreiben – so nennen wir ja auch die Einführungsveranstaltung in die Inszenierung. Es geht dabei sicherlich um Sexualität, um Abhängigkeit, um Bindungen und um Befreiung von Bindungen. In meinem Umgang mit diesen Begriffen spielt dann der Bezug zu Graubünden noch eine gesonderte Rolle. Das Stück ist sehr stark anzusiedeln im Spannungsfeld von “Emanzipation” und “Konfrontation”, es sind Machtstrukturen im Bereich der Gefühle und der Sexualität, die vom Autor wie mit einem groben Pinselstrich – ganz genial – im Grunde nur angedeutet, nur markiert werden. Stindbergs Figuren stellen diese Strukturen bis in den Tod hinein in Fra€ge, sie sind mit einer Verletzbarkeit auf der Suche nach Wahrheit, die ganz ungeheuer ist. Da prallen Menschen aufeinander, und so fliegen die Fetzen, wie es auch sein soll, damit Neues gedacht werden kann. vielleicht ergibt sich daraus sogar eine neue Perspektive im Leben oder eine Bestätigung für die alte unter neuen Vorzeichen – sicher aber eine Kraft, auf die wir angewiesen sind. “Fräulein Julie” ist ein Kampf, den jeder mal im Leben durchzukämpfen hat, jeder für sich und mit sich. Je nach Mut und Radikalität könnte dieser Kampf Konsequenzen haben.

ES  LÄUTET  UND  TÖNT  AUS  ALLEN  RITZEN

Foyer: Ist “Fräulein Julie” im Sinne dieser erstarrten Strukturen zwischen den sozialen Ständen wie zwischen den Geschlechtern ein Stück für das Tälerland Graubünden, mit seinem so ausgeprägten Eigensinn?
Gian Gianotti: “Julie” ist nicht unbedingt eine Bündnerin. aber es gibt sicher sehr ähnliche Abhängigkeiten und sehr ähnliche Tabus. Das Verhältnis, zwischen dem adeligen “Fräulein Julie” und dem Kammerdiener Jean könnte man auch übersetzen in Selbstfindung gegen Profit oder Neugier gegen Berechnung. Und das sind Gegensätze, die uns hier und heute alles andere als fremd sind.

WAS  KANN  ICH  MEHR  WÜNSCHEN?

Foyer: Das klingt jetzt alles sehr psychologisch. Worin liegt für Dich das so viel beredte Politische in diesem Stück?
Gian Gianotti: Ich glaube nicht, dass man das eine vom anderen in dieser Weise trennen kann. Aber um zu antworten: Profitgier ist natürlich eine politische Grösse. Auch die Kirchengläubigkeit in ihrer Unantastbarkeit. Vor allem aber die ungeheure Neugier der Julie am Anfang, ihre masslose Gier nach dem Fremden, dem Andersartigen, dem Verbotenen auch. Und das alles verlangt auch von uns eine Hinterfragung von Strukturen, ein Neubeginn nach einer starken Irritation. Symbolmaterial ist da genügend vorhanden. Es kann gedacht werden…

Foyer: Wie fühlst Du Dich am Churer Stadttheater?
Gian Gianotti: Ich inszeniere ein wichtiges Stück, mit Menschen, die in einer ähnlichen Form Ehrlichkeit und Tiefe suchen, kann im Aufführungsraum proben, im Publikum sitzen Leute. denen ich etwas von mir sagen und zeigen möchte, ich habe die Ruhe zum Arbeiten, die finanzielle Rechnung geht für diese Arbeit auf – und ich kann das Ganze auch noch von zuhause aus machen. Was kann ich mir denn da mehr wünschen?

Interview: Christine Lemke

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Fotos: Peter de Jong und Florence Girod

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Pressestimmen:

>>>  Fräulein Julie,  Gian Gianotti inszeniert erstmals am Stadttheater  MOI 6, KulturMagazin,  6.10.90
>>>  BZ-Thema,  Aus der Isolation in die Einsamkeit  Bündner Zeitung,  25.10.90_0001
>>>  Jetzt ist wieder Theaterzeit  Bündner Woche,  31.10.90
>>>  Auftakt nach Mass  Bündner Zeitung,  27.10.90
>>>  Churer Theatersaison geht los  Bündner Tagblatt,  20.10.90
>>> 
Premiere eines Eingenwilligen  Bündner Tagblatt,  23.10.90
>>>  Ein fast volles Stadttheater  Bündner Zeitung,  27.10.90
>>>  Fräulein Julie fand Anklang  Bündner Tagblatt,  27.10.90
>>>  Strindberg im Kurtheater / Fräulein Julie  Theaterkurier 1992,  Februar 1992
>>>  
Fräulein Julie, Eine Theaterprobe  Badener AV, 12.3.92
>>>  Begeistender Mittsommernachtstraum  Aargauer Verbund,  18.3.92
>>>  Fall ins Bodenlose  Badener Tagblatt,  16.3.92
>>>  Machtkampf in Schwarz-Weiss  Aargauer Volksblatt,  16.3.92

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Cechov, DER KIRSCHGARTEN

1990     S / D

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Plakat: Heinz Jost

Cechov: DER KIRSCHGARTEN
Stadttheater Bern, Direktion: Philipp de Bros

Anton Cechov: Der Kirschgarten
In der Übersetzung von Peter Urban

Stadttheater Bern
Direktion: Philippe de Bros

Premiere: 22. Februar 1990

Inszenierung – Gian Gianotti
Bühnenbild und Kostüme – Werner Hutterli
Bühnenmusik – Klaus Sonnenburg
Regieassistenz – Christian Probst
Bühnenbildassistenz – Thomas Ziegler, Edwin Triggs
Kostüm-Mitarbeit – Inge Borisch
Grafik – Heinz Jost

 

 

Besetzung:

Ljubov Andreevna Ranevskaja, Gutsbesitzerin: Heidi Maria Glössner
Anja, ihre Tochter, 17 Jahre alt: Bettina Hamel
Varja, ihre Pflegetochter, 24 Jahre alt: Veronika Wolff
Leonid Andreevic Gaev, Bruder der Renevskaja: Klaus Degenhardt
Ermolai Alekseevic Lopachin, Kaufmann: Klaus Hirche
Pëtr Sergeevic Trofimov, Student: Gerhard Hermann
Boris Borisovic Sermeonov-Piscik, Gutsbesitzer: Sigfried Meissner
Sarlotta Ivanovna, Gouvernante: Charlotte Renner
Semen Penteleevic Epichodov, Kontorist: Thomas Balou Martin
Dunjasa, Zimmermädchen: Birgit Oswald
Firs, Lakai, ein Greis von 87 Jahren: Hatto Hirsch
Jasa, ein junger Lakai: Markus Wille / Oliver Krättli
Ein Mann: Otto Kucis
Der Postbeamte: Adriano Vasella

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Fotos: Michael von Graffenried

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Programmheft
>>>   Der Kirschgarten     pdf, 21 Seiten, darin u.a.:  Hans Weiss, Landschaft auf Abbruch, Seite 17-25

 

Diese Inszenierung war für mich eine Nachbeschäftigung mit jener von Giorgio Strehler 1974, bei der ich am Piccolo teatro di Milano assistieren durfte. Als dank dafür überreichte ich ihm diese kleine interne Dokumentation     >>>  IL GIARDINO DEI CILIEGI,   pdf. 23 Seiten

 

Einige Gedanken zur Produktion und Arbeit finden Sie unter
>>>  RÜCKSCHAU

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Pressestimmen: 

>>>  Der Kirschgarten – Radiokritik DRS2, Michel Schär  23.2.90
>>>  Ein Tschechow fast ohne Bilder  Der Bund, C.C.  24.2.90
>>>  dito C.C. Ins Karge, Leere, Bildlose ausgewichen  Der Bund, C.C.  24.2.90
>>>  Nur die Erinnerung treibt Blüten  Berner Oberländer, Svebnd Pernell  26.2.90
>>>  Offenbarung der russischen Seele  NZZ, B.En.  26.2.90
>>>  Verfall einer Gesellschaft  Bieler Tagblatt u.a., Irmel Rohrer-Lüthi  26.2.90
>>>  Von Einsamen, Spinnern, Visionären  Vaterland u.a. Beatrice Eichmann-Leutenegger  26.2.90
>>>  Tschechow verkommt zu bleierner Langeweile  Berner Zeitung BZ, Hans-Ueli Gwunder  27.2.90
>>>  Gastspiel in Winterthur:  Ende einer Epoche, Anfang einer neuen Zeit  Der Landbote, Stefan Busz  28.4.90
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Shakespeare, ROMEO & JULIET

1989     S / F / D / E

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Plakat: Jean-François Zehnder

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S h a k e s p e a r e
R & J
Beluard Fribourg, Direktion Klaus Hersche

 

William Shakespeare: Romeo&Juliet
Englische Originalsprache für Escalus
Deutsch nach B. K. Tragelehn für die Familie der Montagues
Französisch nach Jouve/Pitoëff für die Familie der Capulets
Theater Belluard/Bollwerk Fribourg/Freiburg, Projektleitung Klaus Hersche

Premiere: 7. September 1989

 

Inszenierung: Gian Gianotti
Bühnenbild und Kostüme: Alex Müller
Dramaturgie, deutsche Fassung: Klaus Hersche
Dramaturgie, französische Fassung: Gabrielle Gawrysiak
Bühnenmusik: Bernard Schwendter

Kostüm-Atelier: Jean Duntz, Reni Boll, Gisele Progin
Beleuchtung: François Hommel
Technik: Urs Amann, Stefan Colombo, Alois Lindenmann, Simone Winiger
Presse: Rachel Brulhart, Annette Michel
Grafik: Jean-François Zehnder
Produktionsleitung: Klaus Hersche

 

Besetzung:

 

Escalus, Prince of Verona: Martin Hale

Prologue/Suite – Prolog/Gefolge: Isabelle Ade / Eva Kramer, Nathalie Bouschbacher, Muriel Bourquard, Nathalie Fragnère, Sara Keel, Sacha Zimmermann

Capulet, chef de famille: André Galley
Lady Capulet, sa femme: Nicole Michaud-Morel
Juliette, leur fille: Florence Kammermann
Paris, jeune noble, parent du Prince: Roland Dumont
Page de Paris: Adrien Laubscher
Tybalt, neuveu de Lady Capulet: Jean-Pierre Benz
Nourrice de Juliette: Jacqueline Burnand
Pierre, valet de la nouricce: Gabrielle Gawrysiak
Sampson, de la maison Capulet: Claude Bourqui
Gregoire, de la maison Capulet: Richard Sipowicz
Vieillard, cousin de Capulet: Pierre Portenier

Montague, Familienoberhaupt: Anton Büchler
Lady Montague, seine Frau: Heidi Bouschbacher
Romeo, ihr Sohn: Karl Ehrler
Benvolio, Freund Romeos: Osi Müller
Mercutio, Freund Romeos: Ivo Stritt
Abram, aus dem Hause Montague: Wieland Frei
Balthasar, aus dem Hause Montague: Rolf Loosli

Lorenzo, franciscain/Franziskaner: Bruno Zimmermann
Apotheker in Mantua: Heidi Bouschbacher

Simon Catling, musicien/Musiker: Bernard Schwenter

Hugh Rebeck, musicien/Musiker: Marianna D’Incau
James Soundpost, musicien/Musiker: Thierry Dagon / Matthias Rudolf

 

Une version trilingue, présentée par des comédiens et des comédiennes de la région.
Dreisprachige Fassung, aufgeführt von Spielern und Spielerinnen aus der Region.

 

 

Aus dem Programmheft:
>>>  Eine Art von Statuenbauern / Une sorte de faiseurs de statues – Deutsch und Französisch – pdf, 6 Seiten

 

>>>  Ich will nicht gehn, je suis bien avec toi
Romeo und Julia in Fribourg/Freiburg 1989, Ein kritischer Beitrag zum Projekt von Prof. Dr. Balz Engler, Englisches Seminar der UNI Basel
>>>  Der Text von Balz Engler     als pdf, 9 Seiten

 

 

 

 

 

 

 

Fotos : Gian Gianotti

 

 

 

 

Pressestimmen: 

>>>  Romeo aime Juliette und Julia liebt Romeo  Berner Zeitung BZ, Roland Maurer  26.8.89.
>>>  à découvrir  Coulisses  1.9.89
>>>  Romeo Will Französisch Lernen  Sonntagsblick, Laurence Lüthi  3.9.89
>>>  Grenze und Brücke  Der Bund, Marika de Martinis  6.9.89
>>>  ‘Romeo und Julia’ zweisprachig  Bündner Zeitung, Marika de Martinis  6.9.89
>>>  Première bilingue ce soir  LaLiberté, AR  7.9.89
>>>  Fribourg vit au rythme du bilinguisme et de Roméo et Juliette  LaLiberté  9.9.89
>>>  Herausragendes Erlebnis  Berner Zeitung BZ, Urs Dürmüller  9.9.89
>>>  L’amour en trois langues  24 heures  9.9.89
>>>  ‘Roméo et Juliette’ en version trilingue  24 heures, Michel Caspary  9.9.89
>>>  ‘Und wenn sie nicht gestorben wären …’  Freiburger Nachrichten, Paola Casella, Angelika Salvisberg  9.9.89
>>>  Familienzwist an der Sprachgrenze  Bündner Zeitung, Urs Dürmüller  11.9.89
>>>  Mehrsprachigkeit als Gag  Der Bund, -tt-  11.9.89
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Derungs Martin, BÜNDNER WIRREN

1989     M / S / DE / de / RR / IT / it / UA

Plakat:  D. K. Geissbühler

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Martin Derungs: Bündner Wirren
Oper/Schauspiel/Musiktheater
Deutsch, Italienisch, Rätoromanisch / Uraufführung

Zum Jubiläum 700 Jahre Davoser Lehensbrief
1289 – 1989

 

Szenen um Jörg Jenatsch (1596 – 1639) 

Im Eisstadion Davos

 

Martin Derungs
BÜNDNER WIRREN   Schauspiel/Oper
Libretto von Markus Schmid-Lengersdorf

 

Eisstadion Davos
Geschlossene Generalprobe für Schulklassen aus Davos, Chur und Zürich: 28.6.1989

Premiere: 30. Juni 1989, Uraufführung
Weitere Aufführungen: 1. und 2. Juli 1989

 

 

Zum Inhalt

Die Szenen um Jörg Jenatsch stellen die eigenständige Version eines Themas vor, das bisher als Roman (C.F. Meyer), Oper (Heinrich Kaminski) und Film (Daniel Schmid) unterschiedlich gestaltet worden war. Die eigens für Davos erarbeiteten Szenen aus der Bündner Geschichte basieren auf historischen Quellen, welche die Zeit zwischen 1618 und 1639 in Graubünden darstellen.

Inhaltsangabe: Chronos, der griechische Gott der Zeit, hat die Epoche des Dreissigjährigen Krieges verschlafen. Da nun diese Zeit in der himmlischen Chronik fehlt, muss Chronos diesen Abschnitt der Geschichte aufarbeiten. Dabei hilft ihm Selene, die Göttin des Mondes und der Zauberei. Dank ihrer Fähigkeiten als Götter lassen sie ausschnittweise die Geschehnisse um Jörg Jenatsch noch einmal ablaufen, sie befragen Zeugen und beobachten im Jahre 1639 den Versuch Fortunat von Sprecher, Anna Jenatsch-Buol davon zu überzeugen, von einer Verfolgung der Mörder ihres Gatten abzusehen. lm Laufe der Handlung wollen sie klären, wer Jörg Jenatsch umgebracht hat, aber je mehr sie über diese Zeit und die damaligen Handlungsträger erfahren, desto kleiner wird ihr Interesse an einer Klärung. Es geht ihnen nur noch darum, ihre Pflicht als Chronisten zu erledigen. Mehrere Bilder sind ohne Musik, nur Schauspiel, andere beziehen Volkslieder oder an Volkslieder angelehnte Stücke mit ein. Die zentralen Szenen sind gesungen. Das Werk wird zur Hauptsache.in deutscher Sprache aufgeführt; einzelne Teile sind französisch, italienisch und romanisch.

 

Jörg Jenatsch, Pfarrer / Oberst, geboren 1596 in Samedan; gestorben 1639 in Chur studierte Theologie in Zürich und Basel. 1616 Pfarrer in Scharans, später strafversetzt nach Berbenno im Veltlin. 162O nimmt er Abschied vom Pfarramt und wird Militär. 1621 ermordet er seinen Widersacher Pompejus Planta. Er heiratet die Davoserin Anna Buol. 1627 ist er Hauptmann und lässt sich in Davos einbürgern. 1628 bietet er Frankreich seine Dienste an. Er verbringt fast ein Jahr in Venedig, wo er dem französischen Herzog Heinrich Rohan begegnet. Er wird Oberst. 1635 tritt er als evangelischer Pfarrer zum Katholizismus über und wendet sich den Spaniern und Österreichern zu. Mit ihnen verhandelt er über die Rückgabe des Veltlins und die Befreiung der Drei Bünde (Graubündens). Die französischen Truppen müssen das Land verlassen. Am 24. Januar 1639 wird er an einer Fasnachtsbelustigung in Chur von maskierten Männern mit Axthieben erschlagen, eine Rache der Planta. (Aus: Kaspar Jörger, <Davos von A bis Z>)

 

 

Patronatskomitee:
Bundesrat Flavio Cotti
Alt Bundesrat Leon Schlumpf
Ständerat Luregn Mathias Cavelty
Ständerat Ulrich Gadient
Alt Ständeratspräsident Arno Theus
Alt Nationalratspräsident Martin Bundi
Nationalrat Christoph Blocher
Regierungsrat Joachim Caluori
alt Landammann Christian Jost
Landammann Luzius Schmid

 

Organisationskomitee:
Jachen Fratschöl, Präsident
Hans Heim, Leni Henderson-Affolter, Georg Jäger, Hansjürg Künzli-Grauer, Karl Mattli, Christian Mattli, Fredy Pargätzi, Beat Rüttimann, Urs von der Crone, Gertrud Weber

 

 

Leitung:
Musikalische Leitung: Räto Tschupp
Inszenierung: Gian Gianotti
Bühnenbild und Kostüme: Alex Müller
Regieassistenz: Yvonne Kocherhans

 

 

Besetzung:
Chronos – Rudi Riegler
Selene – Leontina Lechmann
Zeuge – Oliver Krättli

Jörg Jenatsch – Christoph Homberger
Anna Jenatsch – Anna Schaffner

Fortunat von Sprecher – Franco Romano
Ulysses von Salis, Saint Simon, Bär – Rico Peterelli
Ulysses von Salis, Xaver, Stephan Gabriel, Tod – Oscar Bingisser
Anna von Salis – Marceline Valdisseri

Pompejus von Planta – Jörg Zinsli
Katharina von Planta, Frau – Barbara Fuchs

Caspar Alexius, Prioleau – Peter Galliard

Blasius Alexander Blech, Stephan Gabriel, Ulrich Buol, A. Planta – Jaap Achterberg
Jakob Anton Vulpius, Christoph Rosenroll, F.von Juvalta, Fausch – Hubert Kempter
Karl Jost, Wilder Mann – Peter Haller
Ludwig Kessler – Michael Ohlhäuser
Nicolaus Rusca – Willi Hüsch
Johann Baptist Prevost, Johann von Tscharner – Walter Krähenbühl
Kaspar Schmid von Grüneck, Niklaus C.von Hohenbalken, Pietro Stampa –  Samuele Hnateck
Jakob Joder Casutt – Christian Kindschi
Pietro Vico – Luzi Kindschi

Christian Rüedi, Bär – Andrej Togni
Teresa Tomasin, Herzogin – Regine Jakobi
Mengia – Ruth Bezzola

Giusepp, Joseph, Giachen Flurin, Quartett – Duri Bezzola
Johann Peter Guler, Hauptmann Zeggin – Fridtjof Stolzenwald
Gallus Rieder, Ludwig, Niccolo Vieceli, Maske – Hanspeter Preisig
Leutnant Gernsbach, Gian Clavuot, Maske – Gion Caplazi
Anton – Matthias Schadock

Verena Meyer-Jost – Barbara Sutter
Oberst Ruinelli, Rudolf von Travers – Clo Bisaz
Duc de Rohan, Wolf – Alvin Muoth
Otto Julius von Schauenstein, Lecques, Pantalone – Paolo Vignoli
D’Estampes – Claude Monnard

Johann Michel, Quartett – Florian Sprecher
Thys Berger, Quartett – Herbert Mani
Luzi Capeder – Michael Barnbeck
Carlo Cortin – Giuseppe Stanga

Fuchs, Quartett – Christian Demont
Claudia, Hexe – Annemarie Burkhard
Barbla, Hexe – Theresa Lehmann
Silvia, Hexe – Christa Mosimann
Nase – Sara Maurer

Darsteller/innen und Bewegungsgruppen, Volk:
Laienspieler und Kinder aus der Region Davos


Choristen aus folgenden Chören und Regionen:
Basel Madrigalisten (Leitung Fritz Näf)
Albula (Leitung Rico Peterelli)
Chur (Leitung Rico Peterelli)
Davos Männerchor (Leitung Martin Berger)
Davos Singkreis (Leitung Klaus Bergamin)
Davos Kinderchor (Leitung Peter Conrad)
Engadin (Leitung Frieder Neunhoeffer)

 

Orchester 1:
Stephan Diethelm , Schlagzeug
Matthias Eser, Schlagzeug
Max Hübscher, Tompete
Domenic Janett, Saxophon
Josias Just, Klarinette
Reinhard Ormanns, Kontrabass
Lorenz Raths , Horn
Peter Salomon, Klavier
Christina Vital, Flöte
Martin Zimmermann, Saxophon

Orchester 2 bis 5:
Iso Albin , Posaune
Patrick Berger, 2. Trompete
Clot Buchli, Klarinette
Carmen Erb, Schlagzeug
Armin Kölbli, 1. Trompete
Walter Krebs, 3. Posaune
Curdin Lansel , 2. Posaune
Franco Mettler, Bariton-Sax.
Fredi Olbrecht, Schlagzeug
Jürg Schneider, 3. Trompete
Daniel Spichtig, Schlagzeug
Matthias Stöckli, Schlagzeug
Andrea Thöny, Kontrabass

sowie die Musikgesellschaft und Jugendmusik Davos,
Leitung: René Sutter

 

Technik:
Bühne: Adrian Fry (Bühnenmeister), Reto Minsch, Katrin Schlatter, Christoph Schlegel

Beleuchtung: Adrian Fry, Rolf Derrer DELUX Zürich, Klibühni Chur, Teatro della Svizzera Italiana Bellinzona, Sommertheater Schaffhausen, Alex Müller Dörflingen

Kostümatelier: Jean Duntz (Gewandmeister), Christa Pekarek (Assistenz), Reni Boll, Eva Collenberg, Kirsten Kray, Martha Morandi, Julia Schneckenburger, Rebecca Zeller

Masken: Martina Altermatt

und viele freiwillige Helferinnen und Helfer aus Davos

 

Texte, Organisation:
Übersetzungen: Gian Gianotti, Tista Murk, Marguerite Siegrist
Korrektor: Artur Brückmann
Präsident: Jachen Fratschöl
Sekretariat: Jacobina Knölle

 

 

 

Fotos   ©  Foto Holliger, Davos   ©  Hans Furter, Davos   ©  Max Pfister, Amden

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

>>>  Weitere Fotos

 

 

 

 

 

Pressestimmen: 

>>>  Ausschreibung an die Davoser Bevölkerung  Davoser Zeitung, Jachen Fratschöl  9.12.88
>>>  ‘Bündner Wirren’ auf gigantischer Festspielbühne”  Bündner Zeitung, Gisela Kuoni  3.5.89
>>>  Wie die Eishalle zum gigantischen Theater wird  Bündner Zeitung, GK.  25.5.89
>>>  ‘Scumpigls grischuns’ a Tavo, Martin Derungs  Fögl Ladin, Leni Henderson-Affolter, tr. bck  6.6.89
>>>  Eine historisch wichtige Zeit wird inszeniert  Glarner Nachrichten, Myrta Giovanoli, Leni Henderson-Affolter  16.6.89
>>>  Ein historisches Festspiel gegen die Gewalt  Bündner Zeitung, Leni Henderson-Affolter  22.6.89
>>>  Davos, ‘Bündner Wirren’ erobern die Eishalle  SonntagsZeitung, Eva Neugebauer  25.6.89
>>>  Bündner Wirren  Bündner Zeitung Andy Mettler  29.6.89
>>>  Eine ganze Talschaft im Spiel einbezogen  Bündner Zeitung, GK.  29.6.89
>>>  Jörg Jenatsch ungeschminkt darstellen  Bündner Tagblatt, Erwin Wyss  1.7.89
>>>  Bündner als Spielball höherer Mächte  Tages Anzeiger Thomas Meyer  3.7.89
>>>  ‘Bündner Wirren’: Die Uraufführung  Bündner Zeitung, am  3.7.89
>>>  ‘Bündner Wirren’, Szenen um Jenatsch in Davos uraufgeführt”  Bündner Zeitung, am  3.7.89
>>>  Davoser Eishalle wurde Opernhaus  Bündner Tagblatt  3.7.89
>>>  Davoser ‘Bündner Wirren’ waren ein Erfolg  Bündner Zeitung, am.  4.7.89
>>>  Jenatsch und Galliard  BZ, Bündner Woche, sol.  4.7.89
>>>  Bündner Wirren, Ein fast tollkühnes Ereignis in der Davoser Eishalle  Davoser Zeitung, Hans Zimmermann  4.7.89
>>>  Davos erlebte ‘Bündner Wirren’  Glarner Nachrichten, Myrta Giovanoli  6.7.89
>>>  Gesungenes Kaleidoskop, Jenatsch-Oper in Davos  Die Weltwoche, Werner Catrina  6.7.89
>>>  Kopf der Woche  Davoser Zeitung, DZ.  7.7.89
>>>  Vielfältiges Bild einer Epoche  NZZ, mgi.  7.7.89
>>>  Brief an die Davoserei  Davoser Zeitung, Jakob Kessler, Wolfgang  8.7.89
>>>  Die Walser feiern Davos  Bündner Tagblatt  4.9.89
>>>  ‘Scumpigls grischuns’ a Tavo, Markus Schmid  Fögl Ladin, Leni Henderson-Affolter  9.10.89

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Freed, DIE GRÄFIN

1989     S / D / EA

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Plakat: Domenic K. Geissbühler

Donald Freed:  DIE GRÄFIN SOFJA ANDREJEVNA TOLSTAJA


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Theater Heddy Maria Wettstein, Zürich
Direktion: Heddy Maria Wettstein

Premiere: 14. Januar 1989, 20.30 Uhr
Europäische Erstaufführung in der Übersetzung von Peter Jacobi

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Die Gräfin – Heddy Maria Wettstein
Inszenierung und Ausstattung – Gian Gianotti

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Herstellung der Bühne – Kaspar Wolfensberger
Kostüme – Gina Zeh
Maske/Frisur – Bärbel Czychowski
Musik – Bruno Spörri

Projektoren – Foto Ganz AG
Technische Leitung – Heinrich Kohler
Beleuchtung – Martin Briner, Matthias Hauenstein

 

Übersetzung – Peter Jacobi
Aufführungsrechte – S. Fischer Verlag Frankfurt

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Mein Beitrag zum 25-jährigen Theaterjubiläum:

Als ich für eine Inszenierung für das Theater Heddy Maria Wettstein angefragt wurde, dazu noch für die 25-jährige Jubiläumsinszenierung, da stellte ich mir vor, dass dieses Theater mit seinen Möglichkeiten im Zentrum der Beschäftigung stehen müsse. Thematik, Spielart, und sogar Besetzung sollten irgendwie die Grundidee des „Hauses“ präsentieren, das Spezielle. Die Wahl wurde Richtung „Gräfin“ geführt: Eine europäische Erstaufführung einer interessanten Vorlage, ein Monodrama über eine Standortbestimmung einer 66-jährigen Frau, die in die eigene Beziehung, Kindheit und Lebenserwartungen hineinhorcht. Womit die „Gräfin“ konfrontiert wurde in ihrem Leben, das alles konnte mehr als nur symbolisch gelten für die Rückschau auf 25 Theater-Jahre. Was will ich, wo stehe ich, für wen und warum will ich das Leben leben: das sind Fragen der Textvorlage. Sie könnten aber ebenso gut auch Fragen des Lebens sein mit der gleichen Ich-Bezogenheit, mit der gleichen Bereitschaft, den Lebensinhalt darin zu suchen.

Womit Sofja A. Tolstaja aber “konfrontiert” wurde, das berührt das Zentrum der Auseinandersetzungen unseres Jahrhunderts: Rechte und Pflichte in ideologischer und persönlicher Hinsicht, die ein Mensch gegenüber seinen Mitmenschen hat und respektieren muss, Besitz und Besitzrecht einerseits, Armut, Bescheidenheit und Selbstaufopferung andererseits. Die Auseinandersetzungen im Hause Tolstoj gehören zu den Grundauseinandersetzungen über Sein und Haben, wobei die Begriffe von Besitz und Armut jeweils über die materiellen Grenzen hinaus verwendet werden. Wohlstands-, Kultur- und Identifikationsgefälle spielen in diese Beziehung hinein, wie sie unsere politische Wirklichkeit prägen. Fragen nach welcher Besitzlosigkeit gestrebt werden muss, um welchen geistigen Reichtum zu ermöglichen, welche gefühlsmässige Identifikation in welcher kulturellen Umgebung erst möglich sei, und wie die Interessenslage einer materiellen Existenz zu verstehen sei, ohne dabei die geistige Existenz zu gefährden – das sind alles Vorfragen nach der besseren, respektive besten Ideologie.

Die Fragen nach dem materiellen Recht und nach der Chancengleichheit sind in der neuen politischen Struktur gezwungenermassen früher angegangen worden als jene nach der kulturellen und menschlichen Geborgenheit. Tolstoj mochte mit seinem Wechsel eine neue Verantwortung im Besitzausgleich anstreben – Sofja Tolstaja sich im Besitz verantwortungsvoll zurechtfinden. Tolstoj wollte seine Äusserungen und seine Biographie nicht mehr literarisch abfassen, denn Literatur sei eine schöne Lüge – Sofja Tolstaja sah in der literarischen Arbeit ein Dialog in der Beziehung und eine Einnahmequelle für die wirtschaftlichen Bedürfnisse. Gleichheit ja, sagte sie, aber “warum müssen wir unsere Existenz aufgeben und uns einer Anzahl von Profiteuren unterordnen?” Besitz war für sie eine Existenzfrage und eine Chance, um die Aufgaben im sozialen Bereich im nächsten Umfeld von Jasnaja Poljana zu bewältigen. In der Abwendung Tolstojs von der alten Idee sah sie die Gefahr einer Abwendung vom realen, praktischen Leben – darin inbegriffen auch eine Entfernung von der theoretischen und praktischen Möglichkeit, eine Lebensform mit menschlicher Kultur zu erreichen. Komplex und sehr persönlich können wir hier in dieser Auseinandersetzung die Themen der sozialen und der gefühlsmässigen Gleichberechtigung beobachten. Und diese Kontroverse kann auch nicht vor den Grenzen von Glauben und Religion haltmachen. Welcher Besitz wird zur „Sünde“ und welche Armut wird zum geistigen Tod, das sind die Grundfragen. An diesen orientiert sich Sofia Tolstaja neu in ihrem Leben. Sie muss einsehen, dass sich ihre Wege und jene ihres Gatten getrennt haben, sich haben trennen müssen.

Sofja Tolstaja definiert sich in jener Nacht, in der Tolstoj stirbt, durch sich. Theoretisch verselbständigt sie sich im Gedanken an ihre eigene Zukunft, und geht dann geschichtlich damit unter, weil sie ein Leben lang in der anderen Definition gelebt hatte. Lew Tolstoj, ist in der letzten Zeit seines Lebens unfähig, ein gemeinsames Gespräch mit seiner Frau und somit mit seiner eigenen, früheren Ideologie zu führen. Die gemeinsame Definitionssuche endet für dieses Paar mit dem Tod von Sofja Totstaja, neun Jahre nach dem Tod Lew Tolstojs. Für die Menschheit und für uns wird die Definitionssuche in der Abgrenzung zwischen Sein und Haben noch lange ein Thema bleiben.

Theatralisch Rückschau halten heisst auch, sich vorbereiten für eine Zukunft. Wenn diese die Thematik der Ehrlichkeit, die Beschäftigung mit dem wirklichen Ton einer ganzen Seele beinhaltet, dann kann sie nicht nur eine einzelne Produktion, sondern muss eine ganze Richtung abgeben. Das Gespräch auf diesem Gebiet wäre nötiger denn je, denn “Literatur kann auch eine schöne Lüge sein”…

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Gian Gianotti, Dezember 1988

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Das Programmheft:
>>>  Die Gräfin Sofja Tolstaja       pdf, 27 Seiten

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Poliakoff, LAND IN SICHT

1988     S / D

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Stephen Poliakoff:  LAND IN SICHT
Stadttheater St. Gallen, Intendanz Glado von May

Premiere: 10. November 1988

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Inszenierung – Gian Gianotti
Dramaturgie – Kurt Wanzenried
Bühnenbild – Manfred Holler
Kostüme – Johanna Weise

Regieassistenz – Marie-Rose Russi
Inspektion – Gabriele Wiesner
Souffleuse – Waltraut Blumberg

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Besetzung

Halina – Silvia Glogner
Neville – Kurt Schwarz
Andrew – Diethelm Stix
Peirce – Thomas Hary
Booth – Jens Peter Brose
Teresa – Regine Weingart
Türkische Frau – Paula Bukovac

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Stadttheater St. Gallen, Aus der Theater-Zeitung Nr. 3 der Spielzeit 88/89

Die zweite Schauspielproduktion dieser Spielzeit ist thematisch im Umfeld der Asylantenfrage angesiedelt: «Land in Sicht» des 36jährigen Briten Stephen Poliakoff («Hitting Town», «City Sugar»). Premiere ist am Donnerstag, dem 10 November 1988, um 20 Uhr (Abo P und freier Verkauf). Inszeniert hat Gian Gianotti, von «Oppenheimer» noch in bester Erinnerung. Mit ihm sprach Kurt Wanzenried.

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Land in Sicht

Stück von Stephen Poliakoff

 

Poliakoffs Stück ist noch neu und relativ unbekannt. Könnten Sie aus diesem Grund kurz skizzieren, worum es geht? Oder anders gefragt: Worauf spielt der Titel «Land in Sicht» an?

Das Stück behandelt die Geschichte der Polin Halina, die auswandert, um eine neue Aufgabe, eine neue Perspektive für ihr Leben zu finden. In London möchte sie sich eine neue Existenz aufbauen. «Land in Sicht» heisst auch «Beziehung in Sicht», «Aufgabe in Sicht», «neue Seinsbereiche in Sicht». Halina kommt herüber mit einer grösseren Gruppe von Studentinnen und springt ab, um die ganze Aufenthaltsbewilligungspraxis zu umgehen. Sie wird von einer Art von Schlepper an einen jungen Anwalt vermittelt, der sie heiraten soll. «Land in Sicht» ist damit nicht nur von Halina aus, sondern auch von Neville aus – so heisst dieser dynamische, sportliche, erfolgreiche Anwalt – als «Beziehung in Sicht» zu verstehen. Ganz am Anfang steigt sie auf die Idee ein, über eine Scheinheirat die Aufenthaltsbewilligung zu bekommen. Später sagt sie nein, will mit eigener Kraft in das Land kommen, weil sie Gründe hat, die wahrgenommen werden sollen. Sie will als Frau, als Mensch wahrgenommen werden und darum Aufenthaltsrecht erhalten. Sie wehrt sich gegen die Entmündigung, die mit einer Scheinheirat verbunden wäre.

Es ist jetzt relativ stark der zwischenmenschliche Aspekt angesprochen worden. «Land in Sicht» ist also kein trockenes politischen Lehrstück?

Nein, es ist eigentlich ein Beziehungsstück. Es geht um eine Perspektive. Die man nicht aus den Augen verlieren darf, um überhaupt eine Daseinsberechtigung für sich zu haben.

Trotzdem haben wir «Land in Sicht» vom Spielplan her natürlich in Beziehung zur momentan heiss diskutierten und uns alle beschäftigenden Asylantenfrage gesehen. Wie weit ist es denn darauf anwendbar?

Poliakoff greift diese Thematik auf, um eine Orientierungssuche darzustellen. Und natürlich ist mit diesem Ost-West-Motiv Polen-England auch eine Auswanderung über verschiedene staatliche Grenzen hinaus angesprochen. Aber Poliakoff behandelt nicht unbedingt das Problem des politischen Flüchtlings. Halina ist kein politischer Flüchtling. Sie ist keine orientierungslose Frau. Sie weiss ganz bestimmt, was sie will, und da ist sie schon ein bisschen anders als viele Asylsuchende oder Leute, die per Zufall in ein neues Land kommen und um Aufenthaltsbewilligung bitten. Sie will dahin, sie hat sich mit dieser Kultur beschäftigt, mit dieser Sprache, sie kennt die Lebensart dieses Landes und geht ganz gut damit um.

Sie hat ja auch ein relativ hohes Bildungsniveau, und es entspinnt sich im Verlauf des Stücks geradezu ein intellektueller Wettstreit zwischen ihr, ihrem Anwalt und Freund Neville und den Behörden.

Richtig. Aber in der Situation, in der wir jetzt stecken, liegt es natürlich auf der Hand, dass man mit dem Stück auch die Problematik Asylland Schweiz heute angeht. Lösen können wir das Problem nicht, aber wir können es präsentieren, können die Spannungsbreite präsentieren.

Geben das Stück und seine Interpretation da genug her, oder greifen Sie zu zusätzlichen Mitteln?

Es gibt einiges her, und ich glaube, mit der ziemlich strikten Strichfassung, die wir eingerichtet haben, gewinnt das Stück an Aktualität – an Notwendigkeit, auch wirklich gespielt zu werden. Dazu schieben wir zwischen den Szenen Texte ein aus der Situation der Schweiz in Konfrontation mit dem Fremden.

Ich möchte noch einmal zurückkommen auf die aus den genannten Gründen privilegierte Halina. Poliakoff rundet das Bild ja doch ab, nach oben wie nach unten, indem er eine Frau zeigt, die schon relativ lange in diesem für sie fremden Land lebt und als Gegenbeispiel eine andere Frau, die völlig sprachlos, chancenlos und hilflos vor den Türen der Behörden steht.

Die Spanierin Teresa ist im Land, seit sie vierjährig war. Sie erzählt über ihre ersten Eindrücke damals vor vielen Jahren, und Freundschaft, die zwischen Halina und Teresa entsteht, unterstützt die Polin in der Konfrontation mir den Behörden. Die andere, eigentlich stumme Person, ist eine Jugoslawin, die jetzt neu Zutritt sucht, aber die grosse Sprachbarriere und Kulturbarriere noch mit sich schleppt. Da sehen wir, wie jemand zwischen Stuhl und Bank ständig hin- und hergeschoben wird. Man ignoriert sie förmlich und nimmt sie als Mensch überhaupt nicht wahr.

Sie würde wohl für das Gros derer stehen, die wir landläufig als Asylbewerber bezeichnen. Aber interessant ist in dem Stück nicht nur die Seite der Fremden. Interessant ist ja auch, wie der Autor zeigt, was mit den Einheimischen passiert.

Den Einheimischen – sei das dem Anwalt Neville, sei das diesem Schlepper Andrew – gehen schon gewisse Lichter auf. Sie fangen an, darüber nachzudenken, was sie eigentlich sind. Dies ausgelöst durch die Konfrontation mit Halina, die eine ganz andere Mentalität mit sich bringt, die sehr viel Zeit gehabt hat, über Leben und über Beziehungen nachzudenken. Sie werden ganz stark in Frage gestellt, sie lassen sich auch in Frage stellen; und da bricht einiges ein von der Sicherheit, die sie sich aufgebaut hatten in ihrer schnellebigen Welt. Da sind plötzlich Träume, Angstbilder. Neville fühlt sich selber befragt, er wird dann auch tatsächlich von den Behörden befragt. Asylbewerber und Landsleute gehen durch den Raum und gaffen; aus diesen Menschen werden Tiere, das Leben wird zum Alptraum. Es wird eine riesengrosse Orientierungslosigkeit dieser Menschen sichtbar. Auch bei den Beamten, welche die Befragungen durchführen – Peirce und Booth – brechen zum Teil gewisse menschliche Erfahrungsbereiche oder Wünsche durch, die aber dann wieder überspielt oder zugedeckt werden von Beamtentum, von Recht und Gesetz.

Der Autor versucht also, nicht einfach schwarzweiss zu malen, sondern zeigt auch die Vertreter der Einwanderungsbehörden menschlich, mit Licht- und Schattenseiten.

Ja. Dabei bleibt das Stück in einer fast surrealistischen Ambiance. Auch direkte Gespräche sind etwas überhöht, und es sind Figuren, die sich naturalistisch nicht so orientieren würden. Das ermöglicht, eine gewisse Künstlichkeit zu schaffen. Wir möchten diese Expressivität unterstützen und nicht nur verbal Inhalte vermitteln, sondern wirklich eine gefühlsmässige Orientierungssuche in einer neuen oder einer alten, aufgebrochenen Umwelt zeigen.

Spiegelt sich das auch äusserlich wider, oder erwartet uns ein realistisches Wohnzimmer, ein realistisches Büro usw.?

Nein, wir haben das sehr surreal gelöst. Wir spielen das Ganze auf einer Art Autobahnteilstück, das nicht mehr gebraucht wird; in einer Art Hohle Gasse; in einer Einflugschneise, die mit Eisschollen zugefroren ist – sozusagen eine Kommunikationsstrasse, die zugesperrt und zugebaut ist, um anderen Menschen keinen Zugang mehr zu gewähren.

Das klingt nach einem sehr kalten Klima . . .

Na ja, es ist ja auch schon eher kalt, was passiert – auch heutzutage mit den Asylanten bei uns. Wahrscheinlich ist sehr vieles von der Aggression, die wir in der Gesellschaft und in den Medien tagtäglich spüren, ganz einfach Angst – eine fast existentielle Angst vor Infragestellung unserer Lebenskonzeption. Und das könnte schon auch eine wichtige Komponente sein, warum man «Land in Sicht» machen soll. Natürlich: Beziehungspsychologen würden sagen, dass alles in der Welt nur eine Beziehungsfrage zwischen dem Menschen und der Umwelt sei. Aber hier geht es auch um politische und finanzielle Entscheidungen, die ein Staat getroffen hat und die nun ihre Konsequenzen haben. Das Problem der türkischen Flüchtlinge hängt doch z. B. mit der Investitionspolitik der Schweiz zusammen, etwa beim grossen Stauwerk Atatürk vor Jahren. Leute, die dort nicht mehr beschäftigt werden können, suchen jetzt irgendwo neuen Lebensraum, die Schweiz als reiches Land wirkt einladend und attraktiv. Das können wir denen nicht verübeln, dass sie hier herkommen wollen. Nur aufnehmen wollen wir die Leute dann nicht, das ist uns zu viel. Und die Infragestellung wollen wir so weit wie möglich von uns halten. Das ist ein Selbstschutz, als Reaktion sehr wahrscheinlich natürlich, aber irgendwo nicht besonders verantwortungsvoll.

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Sonntag, 6. November 988, 11 Uhr  Lesung und Einführungsgespräch  im Hotel Hecht, am Bohl
“Wie Fische ohne Wasser”
Texte von und über Asylanten, vorgetragen und vertreten vom Projektensemble

Eintritt Fr. 3.– (Theaterverein und JTG frei)

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Samstag, 7. Dezember 1988, nach der Vorstellung “Land in Sicht”
Flüchtlinge – Made in Switzerland?
Eine  Podiumsdiskussion  mit:  NR Paul Rechsteiner (SP), Peter Bosshard (Erklärung von Bern), Prof. Dr. Heinz Hauser (HSG) u.a.
Gesprächsleitung:  Hanspeter Trütsch (Bundeshausredaktor Radio DRS)

Eintritt frei

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Das Programmheft:
>>>     Land in Sicht       pdf, 21 Seiten

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Pressestimmen: 

>>>  Land in Sicht  TheaterZeitung  88-89.3
>>>  Wie Fische ohne Wasser und Podiumsdiskussion  TheaterZeitung  88-89
>>>  Asylanten – “Wie Fische ohne Wasser”  St.Galler Tagblatt, Helga Schabel  8.11.88
>>>  Das falsche Stück zum wichtigen Thema  St.Galler Tagblatt, Peter Surber  12.11.88
>>>  Nachdenken über Asylpolitik  Appenzeller Zeitung, Ralph Ottinger  12.11.88
>>>  Regie und Ensemble suchen ein Stück  Die Ostschweiz, Martin Wettstein  12.11.88
>>>  Das Packeis schmolz nicht  Tagers Anzeiger, Anita Hänsel  14.11.88

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