Steinmann, DAS WEITE SUCHEN

1992     S / de / D / U

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Plakat: Ruth Schürmann

Paul Steinmann: DAS WEITE SUCHEN
Spielleute Luzern, Gaskessel, Projektleitung: Thomy Büchler

Premiere: 8. August 1992, Uraufführung

 

Inszenierung: Gian Gianotti
Ausstattung: Ruth Schürmann
Musik: dodo Luther

 

Besetzung:

Die Ausreisenden
Anna: Mascha Altermatt
Jgor: Stefan Kelz
Appolonia Reymann: Silvia Bachmann
Christina Soder: Ruth Egli
Michael Metzger: Beat Reichlin
Fridolin Müller: Franz Koch
Josef Ulrich: Sandra Wüthrich
Wendel: Heinz Küng

Die Bleibenden
Maria: Ursi Brun-Weiss
Franz Kym: Otmar Müller
Salome: Mage Brun
Teresia: Rita Maeder-Kempf
Fischinger: Hans Eggermann

Musiker: Adrian Blum (Akkordeon)

 

Mit der grosszügigen Mitarbeit und Unterstützung der Mitglieder des Vereins Spielleute Luzern.

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Ein Stück
über die Sehnsucht und über das Heimweh
über den Mut und über die Hemmung einen Schritt zu wagen
über Auswanderung, über Einwanderung
Heimat, Fremde
Erinnern und Vergessen, Haben und Sein

über Leben und Tod.

 

“Das Weite suchen” ist ein historisches Drama, das die Auswanderungswelle nach Amerika zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand hat.
Der Staat zwingt die Auswanderungswilligen, sich zu Auswandervereinen zusammenzuschliessen. Im Dorf kommt es zu einer Gründungsversammlung.
Kurz darauf gründet der reiche Ulrich einen zweiten Auswandererverein. Es kommt zu Konflikten.

 

 

Wie viel Weite braucht der Mensch?

Weit- und Dreispringerinnen schütteln die Köpfe, Kugelstösserinnen jammern, Speer-, Diskus-, und Hammerwerfer ärgern sich. Ein paar Zentimeter zu wenig weit. Enttäuschte Gesichter. Welten brechen zusammen.

In den Weiten der Prärie zogen die Indianer von Jagdgrund zu Jagdgrund. Bis die Bleichgesichter kamen mit Feuerwasser und Donnerbüchsen. Weg da! Wir brauchen das Land! Es hat noch immer genug Platz für eure Zelte.

Wie viel Weite braucht der Mensch? Ich brauche so viel Nähe, wie ich nur kriegen kann, meint G. und streichelt ihre rote Katze. Und so viel Weite, wie ich nur bekommen kann, brauche ich auch.

E. hat eine Reise gebucht. Wohlverdiente Ferien nach anstrengender Arbeit. Weites Meer. Weiter Strand. Weite Himmel. Frei sein. E. erlitt am 2. Tag in seinem Bungalow einen Herzinfarkt. Die Grundfläche von E.s Grab misst zwei Quadratmeter. Wie viel Weite braucht der Mensch?

In seinem Vaterland hatte man Mutter und Vater verfolgt, gefoltert, getötet. Sie hatten sich für Freiheit und eine eigene Meinung eingesetzt. Wollte T. sein Leben retten, musste er das Weite suchen. Er floh und lebt heute vorübergehend in einem Durchgangsheim in der Schweiz, das schon zweimal Ziel von Brandanschlägen geworden war. T. sagt zur Reporterin, er fürchte sich nicht. Die Schweiz sei schön. Dabei lächelt er nur mit dem Mund. In den Augen Angst.

Ich brauche alle Weite, die ich kriegen kann. Freiheit, Unabhängigkeit, Abenteuer sagt F., man lebt schliesslich nur einmal. Soll’s doch jeder so machen. Hab’ ich nichts dagegen. Und lärmt. Und braust davon. Und stinkt. Wie viel Weite braucht der Mensch?

S. hatte mehr gewollt vom Leben als sitzen und tippen und warten und lächeln und Kind und TV und CD und neue Frisuren. Der stündliche Cognac macht sie fröhlicher, als sie sich fühlt. Beschwingt füllt sie den Lottozettel aus. Das Horoskop auf drei Zeilen versichert ihr, alles sei gut. Seit sie diese Tabletten nimmt, kann sie wieder schlafen. Traumlos zwar und schwer. Aber immerhin. Wie viel Weite?

Ein Fenster haben, das man immer wieder aufstossen kann. Eine Tür, die man nicht abzuschliessen braucht. Ein weites Herz und einen weiten Geist. Und dreimal täglich einen Blick auf mich selbst werfen. Dann geht’s mir gut, schreibt M. und klebt einen Vogel auf das Briefpapier.

B. guckt gespannt zu. Der Zug verschwindet im Schuhschachteltunnel. Als er wiederauftaucht, jauchzt B., Ihre Backen sind rot. Sie ist Bahnhofsvorstand und Lokomotivführerin und Passagierin in einem. Sie reist mit dem Holzzug nach Merika. Wie viel Weite braucht der Mensch?

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Paul Steinmann, Juli 1992

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Das Sprichwort sagt

Man sucht oft etwas in der Weite
Und hat’s an seiner Seite.

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Der Autor Paul Steinmann und sein Stück:  “Ich möchte in mir selbst das Weite suchen”

Von der Aargauer zur Luzerner Fassung

Das Stück “Das Weite suchen” hat Paul Steinmann im Auftrag des Lehrertheaters Möhlin AG geschrieben, dort wurde es 1990 uraufgeführt. Das Thema Auswanderung war ihm vorgegeben und hatte historischen Bezug zur Gegend des Fricktals, von wo um 1817 viele Menschen ausgewandert waren. In einer Dissertation über die Auswanderung im Kanton Aargau, erzählt der Autor, habe er nicht nur Aufschluss gefunden über den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergrund der damaligen Situation, sie habe ihm auch den ersten “dramatischen Knoten” geliefert. Aus dem Bericht, dass in einem kleinen Ort damals zwei Auswanderer-Vereine gegründet wurden, liess sich eine Geschichte machen. Natürlich sei bei dem Thema die soziale, menschliche Frage im Vordergrund gestanden, sie erhalte dem Stoff auch seine Aktualität. Fragen wie “Was ist die Weite?” – “Welche Gründe gibt es, fortzugehen?” – “Was macht ein Land zum Traumland?” stellen sich immer wieder neu.

Für die Spielleute hat Paul Steinmann, zusammen mit Regisseur Gian Gianotti, eine Luzerner Fassung des Stücks erarbeitet. Dabei sei es vor allem darum gegangen, das an die Region gebundene Stück geographisch zu neutralisieren. Neu geschrieben hat Steinmann auch den Anfang des Stücks, denn in Möhlin hatte man den Einstieg ins dortige Heimatmuseum verlegt, die Folge spielte man in einer Scheune. Den Unterschied zwischen einer Innenraum- und einer Freilichtaufführung zu erleben, sei für ihn jetzt besonders spannend, meinte der Autor. Eine Neuerung sind auch die <Monolog-Fensteo, diJ er aul Wunsch von Gianotti ins Stück eingebaut hat. “Monolog-Fenster”, die er auf Wunsch von Gianotti ins Stück eingebaut hat. “Es sind Reflexionen der einzelnen figuren über ihre individuellen Erfahrungen, Erinnerungen und Utopien. Sie geben dem Text zusätzliche Tiefe”, kommentiert Paul Steinmann diesen Teil der Bearbeitung.

Aus dem Interview von Eva Roelli für die LNN, Schaufenster

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Zur Musik: Fenster-Klänge

Die ‘Fenster’ – ein wichtiges Stilmittel dieses Theaters – bilden den Rahmen für das Umkippen von 13 handelnden Personen in eine subjektiv-intime Ebene ihrer Rolle. Als Grundlage für diese Dimension wählte ich das alte Guggisberglied, 13 Variationen darüber charakterisieren die jeweilige Sicht nach innen, komponiert für modernes Akkordeon.

Dass dafür dieser allseits bekannte Ohrwurm herhalten muss, hat nicht mit Nostalgie oder gar Sentimentalität am Hut. Bewunderung ja, einerseits für eine Melodie, die zwar nicht bodenständig-schollenverbunden daherkommt, vielmehr abstammt von den evangelischen Chorälen, die im 16. Jahrhundert in den bernischen Kirchgemeinden bekannt waren. Vorerst mündlich überliefert, wird das Guggisberglied erstmals 1741 erwähnt, ein ‘echtes’ Volkslied also, wenn auch mit fremdem Einfluss. ein Hauch von Internationalität, daher auch der Reiz, den die Melodie heute noch ausübt, vergleichbar mit gängigen Kirchenlieder-Hits, ein Berner Oberland-Plakat im Flughafen Terminal.

Bewunderung auch für den Text: In den 12 Strophen wird die Chronik einer Liebe und ihr Versiegen aus der Sicht der Frau ohne jedes Ressentiment nacherzählt. “S’ esch äbe ne Mönsch of Ärde” eröffnet auch das Theater, Weite wird exponiert, denn Liebe versetzt Berge: Das Vreneli in Guggisberg liebt den Simon “änet am Bärg”. “Ha di no nie vergässe, ha immer a di dänkt” beschliesst die Handlung des Stückes: Weite nurmehr im Kopf, als Sehnsucht. Von nostalgischem Schwärmen über eine vergangene Zeit ist zu spüren.

Das Lied suggeriert Sehnsucht und vermag, Distanzen zu überwinden, war doch sein Absingen bei den Berner Regimentern in Frankreich und im Piemont bei Todesstrafe verboten “damit unter den Soldaten nicht die Krankheit des Heimwehs veranlasst werde …”

Auswanderer aller Zeilen und Nationen bedienen sich der Volksmusik, um ihren Gefühlen des Exils Ausdruck zu geben. Dass es sich dabei um Heimweh nach der realen Heimat handelt, ist nicht anzunehmen, werden die Betroffenen doch grundsätzlich durch Not zur Migration veranlasst. Erinnert die Musik an die Utopie einer heilen Heimat?

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dodo Luther, Juli 1992

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fotos  ©  by  sylvia hüsler switzerland

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Pressestimmen: 

>>>  ‘Das Weite suchen’ vor dem Gaskessel  LNN, Eva Roelli  12.7.92
>>>  Der Traum vom Sein, Erfüllung und Freiheit  Luzerner Zeitung, Flavian Cajacob  10.8.92
>>>  Wem es nicht passt, der soll nach Amerika – Gespräche  LNN Schausfenster  10.8.92
>>>  Gian Gianotti inszenierte in Luzern  Bündner Zeitung, Urs Bugmann  14.8.92
>>>  Eine Handvoll Menschen zeigt ihre Träume  LNN, Urs Bugmann  14.8.92
>>>  Wieviel Weite brauchen wir?  LNN, Hugo Bischof  14.8.92
>>>  Sorgen, Angst und Träume um Heimat und Auswanderung  Information Szene, Hansueli W. Moser-Ehinger  29.8.92
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