Die Grundanfrage für eine Wieder-Inszenierung der STRIA kam Weihnachten 2012 von der Präsidentin der SOCIETÀ CULTURALE DI BREGAGLIA (SCB), Bruna Ruinelli.
Im Februar 2013 stellte ich dem Vorstand der SOCIETÀ CULTURALE die Konzeptidee und die Rahmenbedingungen für die Realisierung vor, und wurde als Projektleiter und Regisseur gewählt.
Für die Organisation sollte ich dem Vorstand ein Organisationskomitee OK vorschlagen. Der Zeitraum für die Vorstellungen wurde angedacht für Ostern bis Frühsommer 2015.
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Das Dossier: >>> Presentazione della STRIA 2015 mit der Geschichte der früheren Vorstellungen und das Konzept für 2015, in italienischer Sprache.
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Der Text: Von der STRIA-Ausgabe 1944 sind nur noch einzelne Exemplare vorhanden, man hätte den Text also für die Proben kopieren oder eine neue Edition publizieren müssen. Also wollte ich auch aus linguistischen Gründen für die Proben eine neue Spielfassung herstellen, die dann eventuell auch für eine nächste Publikation hätte verwendet werden können. .
Mit der Definition des Konzeptes nahm ich auch die neue Textfassung in Angriff. Sie sollte frühere Fehler in der Schreibweise der STRIA-Ausgaben von 1875 (Bergamo) und 1944 (Samedan) korrigieren und vorerst als Basis dienen für eine aktualisierte Strich- und Probenfassung. Nach meinen Erfahrungen mit den bestehenden Textfassungen, anhand des Manuskriptes der Endfassung von Giovanni Andrea Maurizio 1874/75, sowie nach der kritischen Privatpublikation von Gian Andrea und Renato Stampa, 1946 “Intorno alla nuova edizione della “STRIA” (Tipografia F. Menghini, Poschiavo 1946, 46 Seiten) wollte ich mich für die heutige Schriftsprache nach den neuen Normen des Bergeller Idioms, laut Luigi Giacometti: Dizionario del dialetto bregagliotto (2012) richten. Meine bergellerische und rätoromanische Sensibilität fand sich bereits seit Jahren bestätigt in der Definition von Dr. Caspar Decurtins, “Bergeller-Sprache als Rumansz d’Bregalia” (siehe: Rätoromanische Chrestomathie (Bd. XI) sowie nach der Forschungsarbeit der Philologin Prof. Dr. Ricarda Liver, die das “Bargaiot”, also die “Bergeller Sprache, als ein Brücken-Idiom zwischen den rätoromanischen Idiomen und den lombardischen Dialekten” und nicht als ein italienischer Dialekt zu verstehen sei.
>>> LA STRIA, in einer Arbeitsfassung pdf 170 Seiten, nach der Paginierung der Druckfassungen, als Vorbereitung einer Spielfassung. Die Arbeit daran ist sistiert, Stand: Januar 2017
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Die Homepage: Als Kommunikationsbasis sollte (nach der Meinung der Società Culturale und des STRIA 2015-OK) eine Homepage eingerichtet werden. Vorerst für die interne Organisation, später dann auch als Dokumentation der bisherigen Aufführungen (1876, 1895, 1930, 1952, 1979 …) sowie als Werbeträger für die Aufführungen 2015 dienen. Das Organisationskomitee bat mich im April 2013, das Konzept und die nötigen Schritte für eine solche Homepage zu definieren. Die “erfolglose Suche nach einem Internetdesigners im Bergell oder Bündnerland” bewog das OK mich im August 2013 zu bitten, neben der Redaktion auch die Realisation der Homepage zu übernehmen.
Die finanzielle Absicherung der Neuinszenierung von “LA STRIA 2015”
kam im Rahmen des Organisationskomitees nur schleppend voran,
und so wurden die Vorbereitungen vor der “entscheidenden Budget-Sitzung” der Gemeinde Bregaglia
Ende Dezember 2013 auf meinen Antrag hin sistiert und die Eingabe an die Gemeinde zurückgezogen.
Mit der Sistierung wurde das Projekt im Bergell als abgesagt behandelt.
wurde trotzdem als Dokumentation des Projektes und der früheren Fassungen im Februar 2014 aufgeschaltet
Die SOCIETÀ STORICA BREGAGLIA >>> www.societastoricabregaglia.ch
verwaltet als Folgeorganisation der SOCIETÀ CULTURALE DI BREGAGLIA ab 2024 die Administrationsrechte
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Einige Bilder sowie die Projektmappe >>> Presentazione della STRIA 2015
geben einen optischen Eindruck des Inszenierungs-Konzeptes:
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Der Beitrag “Die Bilder von Vitalin Ganzoni für die Stria ’79” geben einen weiteren Eindruck über jene Theaterproduktion, die Übersetzung des Beitrags könnte folgen.
>>> Gian Gianotti, I quadri di Vitalin per la Stria ’79
Jubiläums-Produktion zum 30-jährigen Jubiläum des Vereins, die 25. Produktion Premiere 18. August 2011, 19.30 Uhr Aufführungen 20. August bis 10. September.
Maske – Annina Leuenberger, Cordula Pompino Grafik – Albi Brun Ein Lied – Iso Albin
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Besetzung:
CHAMPBOURCY, Rentner – Jaap Achterberg LÉONIDA, seine Schwester – Claudia Carigiet BLANCHE, seine Tochter – Laura Jemmi COLLADAN, reicher Bauer – Krishan Krone CORDENBOIS, Apotheker – Jean-Michel Räber FÉLIX RENAUDIER, junger Notar – Roger Göttschi BAUCANTIN, Steuereintreiber – Guido Andres
BENJAMIN, Kellner – Daniele Foi SYLVAIN, Sohn von Colladan – Gian Marco Ettisberger BÉCHUT, Polizeikommissar – Martin Schulthess COCAREL, Kuppler – Leonie Bandli JOSEPH, Kupplergehilfe von Cocarel – Joos Risch
Ein Polizist – Joos Risch Junior-Kellner – Andrea Simonett
Mitarbeit Bühne, Umbauten – Mitglieder des Vereins Freilichtspiele Chur
In einer nahen Vergangenheit, in der man noch über sich lachen konnte. Am Ende der Fastnacht.
Der erste Akt spielt auf dem Land, die weiteren in der Stadt.
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Zur Textfassung:
Eugène Labiche Das Sparschwein
Komödie
Ausgegangen bin ich von der Übersetzung und Bearbeitung von Botho Strauss:
Botho Strauss’ Version der französischen Komödie ist inzwischen ein deutscher Klassiker. “Mit seiner Bearbeitung hat Strauss ein von deutschen Bühnen und Kritikern als läppisch aufgegebenes Stück für das Theater zurück gewonnen.” (Der Spiegel)
“DAS SPARSCHWEIN ist keine Salon-Komödie, die sich ausschliesslich auf eine amouröse Verwicklungsgeschichte konzentriert. Sie erzählt dagegen eine sich offen und vorwärts entwickelnde Geschichte, die sich über mehrere Stationen und Schauplätze erstreckt. Konstruktion und Mechanik der Farce stehen nicht im Vordergrund und sind nicht so hermetisch und perfekt, als dass sie nicht Eingriffe und Akzentverschiebungen gestatteten, Statt dessen gibt es eine Reihe von grossen realistischen Situationen und Tableaus, die sehr viel reichhaltigere und anschaulichere Eindrücke von der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Autors und seiner Zeit vermitteln, als es die erotischen Salon-Komödien vermögen.” (Botho Strauss)
Das alles und insbesondere der sozialbewusste Ansatz der Bearbeitung von Botho Strauss hat mich immer schon interessiert. Immer schon: seit dem Besuch der Inszenierung von Peter Stein an der Schaubühne am Halleschen Ufer während der ersten Arbeit am Antikeprojekt im Herbst 1974.
Als wir für Chur über Stücke sprachen, die wir für diese Jubiläumsproduktion 2011 angehen wollten, kontaktierte ich den Rowohlt Verlag für die Bearbeitungs- und Aufführungsrechte. Aus der Anfrage:
Die Churer Fassung 2011 sollte eine gemischt-sprachliche werden, Schweizerdeutsch mit Rätoromanischen (und ev. italienischen) Akzenten als Heimsprache der Reisegruppe (Redewendungen, Liedtexte), und Deutsch mit Französischen Annäherungen (ev. englischen) als die Sprache und Ambience der weiten Welt. Dabei möchte ich aber doch von der Botho Strauss-Dramaturgie ausgehen und seine Anpassung des Vaudevilles in die Komödie mit sozialkritischer Haltung berücksichtigen. Da sich die Textfassung beträchtlich von der Straussschen Übersetzung entfernen wird sollte ich Ihre Einschätzung haben bezüglich der Rechte am Konzept. Ich könnte auch von der französischen Fassung ausgehen und die Anpassungen vornehmen, es wäre aber ehrlicher, auch rechtlich den Bezug zu Botho Strauss einzugestehen. Bitte sagen Sie mir wie Sie in ähnlichen Fällen sonst vorgehen.
Die Antwort fiel negativ aus …
“Ihr Projekt klingt zweifellos interessant, und wir wissen es zu schätzen, dass Sie sich wegen der Rechte an uns wenden. Dennoch müssen wir Ihnen leider eine abschlägige Auskunft erteilen. Wir können und wollen Botho Strauß’ Fassung des Sparschweins nur als Gesamtwerk zur Aufführung freigeben. Die Nutzung lediglich der dramaturgischen Struktur, nicht aber des Textes, bzw. nur von Textteilen können wir leider nicht genehmigen.”
… so blieb mir nichts anderes übrig als den normalen Weg über den Originaltext zu gehen: tant pis, tant mieux! und so entdeckte ich verloren gegangene Zwischentöne, die mich und unsere Vorlage durchaus weiterbrachten.
Wer Tragödien schreibt, ist Optimist. Er geht davon aus, dass Opfer und Opfertod unlösbar scheinende Konflikte lösen, die heillose Welt heilen, sittliche Werte erhalten oder sogar schaffen können. Wer Komödien schreibt, ist Pessimist. Er geht davon aus, dass Absolutes nicht existiert, dass Werte, trotz aller menschlichen Abtrampelei, immer nur Annäherungswerte bleiben, dass alles Bestehende nur vorläufig besteht, dass von sämtlichen menschlichen Tätigkeiten nur eine einzige wirklich fortschrittlich ist: über sich selbst zu lachen. Wer Schwänke schreibt, ist weder Optimist noch Pessimist. Sondern er ist stets beides zugleich, je nach Bedarf. Er geht nicht von absoluten Werten aus, er stellt sie auch nicht infrage, er benutzt sie allenfalls, um haarsträubende Situationen herbeizuführen. Der Schwankautor lässt den Zuschauer nicht über sich selbst lachen. Er lässt ihn über andere lachen. Mit anderen Worten, er ist fein raus. Raus aus allem, was den Zuschauer beunruhigen könnte.
Das heisst nicht, dass ein Schwank nicht einen realen Hintergrund nötig hätte, einen realen Kern. Im Gegenteil. So wie die erfolgreichsten Musicals (eine Gattung, die alle Gattungen vom Schwank bis zur Operette vereinigt) oft aus sozialen Spannungen Kapital schlagen (West-Side Story, My fair Lady, Hallo Dolly etc.), so braucht auch ein guter Schwank festen Boden unter die Füsse. Um eben möglichst brillant schwanken zu können. Er braucht den realen Kern, damit er um ihn herumschwanken kann.
Im “Florentinerhut” ist es der sehr reale Gegensatz von Stadt und Land, den Labiche nicht schildert, nicht darstellt, den er nur feststellt und sehr listig benutzt, um die unfreiwillige abenteuerliche Jagd einer ganzen Hochzeitgesellschaft nach einem Strohhut noch grotesker zu machen, um die wahnwitzigen Verwicklungen noch zu verschärfen. So entsteht, aus der Fülle der einander ununterbrochen folgenden verwegenen Situationen, nicht nur ein neues Genre innerhalb des Schwanks, der “Albtraumschwank“. Der heutige Zuschauer kann in Labiche auch einen Grossvater des absurden Theaters erkennen. Und wie munter Opa noch immer ist, verglichen mit einigen seiner blässlichen Nachfahren.
Labiche hat, häufig zusammen mit ändern Autoren, 175 Stücke geschrieben, darunter einige, wie “Das Sparschwein”, die sich ernstlich auf Wirklichkeit einliessen auf die satirisch gezeichnete Wirklichkeit einer Sittenkomödie. Und so behände wie in seinen Stoffen wechselte er auch in seinem Leben die Perspektive. “J’aime mieux un vice commode qu’une fatiganta vertu”, war sein Leitwort, “ich liebe ein bequemes Laster mehr als eine ermüdende Tugend.” Um heiraten zu können, versprach er dem künftigen Schwiegervater, der von dem jungen Autor nichts hielt, auf das Schreiben zu verzichten. Nach einem Jahr schrieb er wieder. Mit zwanzig – die Revolution von 1830 war erst fünf Jahre her – befand er sich auf der Seite der Unterdrückten:
“Enterbt von allen Freuden des Lebens bleibt ihnen nur noch … eine naturwüchsige Wollust, die die Gesellschaft ihnen nicht nehmen kann, die des Fleisches, und sie stürzen sich darauf mit der ganzen Kraft ihres Unglücks. Und der Staat macht seine Rechnung mit dieser wuchernden Fruchtbarkeit des elenden Bettes und der Not, er bediente sich des Armen wie eines Hengstes, um seine Regimenter auszufüllen.” Nach 1848 ist er auf der anderen Seite: “Indem die provisorische Regierung auf autoritäre Weise das Leben der Arbeiter verbessern wollte, geht sie den falschen Weg: Der Unternehmer hat oft wegen der Sozialgesetze die Fabrik (den Brotverdienst der Arbeiter) schliessen müssen. Die einzige richtige Lösung ist die der Freiheit.” Der freche Spötter trachtet nach Grundbesitz, das nötige Geld erwirbt er sich mit Stücken, die den Bourgeois, der er jetzt selber wird, karikieren. Nach dem Staatsstreich Napoleons III. 1851, im Jahr des triumphalen Erfolgs vom “Florentinerhut”, schreibt er: “Ich hoffe …, dass die Vernunft in die Gehirne unserer Bürger dringt, und dass sie mit ihrer Stimme der Regierung eine unbegrenzte Freikarte ausstellen. Sie haben die Wahl zwischen dem Präsidenten und der Roten Republik.” Schliesslich lässt er sich, der kein Schriftsteller sein mochte, 1880 in die Akademie wählen, versucht noch, zu Musik von Offenbach, den er nie leiden konnte, einen Text zu machen, stirbt gottesfürchtig 1888.
„Der Florentinerhut“ ist in einer der gewaltigsten Umbruchszeiten der menschlichen Geschichte entstanden, und in einem der Zentren dieses Umbruchs. „Frankreich wird kapitalistisch nicht nur in den latenten Bedingungen, sondern auch in den manifesten Formen seiner Kultur. Der Kapitalismus und der Industrialismus bewegen sich zwar in längst bekannten Bahnen, sie wirken sich aber jetzt erst im vollen Umfang aus, und das tägliche Leben der Menschen, ihre Behausung, ihre Verkehrsmittel, ihre Beleuchtungstechnik, ihre Nahrung und Kleidung machen seit 1850 radikalere Veränderungen mit als in all den Jahrhunderten seit Beginn der modernen städtischen Zivilisation.“ (A. Hauser)
Auf meisterhafte Weise hat Labiche nichts von all dem in seinem „Florentinerhut“. Das erklärt, warum der Hut weltweit in Mode geblieben ist. „Labiche“, sagt Emile Zola, kommt als Biedermann, berührt die menschlichen Probleme nur leicht, aber mit einer Fantasie, die über alles zu lachen versteht. Wenn die Wahrheit zu traurig ist, lässt er sie einen Bocksprung machen, und dieser Sprung ist dann unwiderstehlich … Das Eigentümliche zu Labiche ist, dass er die Anteilnahme am Menschen so weit zu reduzieren versteht, dass man die menschlichen Laster nur noch als einfach komische Abweichungen von der Norm sieht. Seine Figuren sind meist Puppen, die er über Abgründen tanzen lässt, um sich dann über ihre Grimasse zu amüsieren.
Vor allem sorgt er dafür, dass sich das Publikum immer bewusst ist, dass alles nur geschieht, um im Theater eine angenehme Stunde zu verbringen, und dass die Komödie, was auch immer auf der Bühne passieren mag, auf die glücklichste Weise enden wird.”
Quellen: Botho Strauss, Materialien zu “Das Sparschwein.”
Arnold Hauser, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, C.H. Beck, 1983
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2. Akt
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DS SCHPARSCHWII DAS SPARSCHWEIN ist eine grandiose Gesellschafts-Komödie und amouröse, sich offen und vorwärts entwickelnde Verwicklungsgeschichte, die sich über mehrere Stationen und Schauplätze erstreckt.
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Der Inhalt
Eine Pokerrunde aus La Ferté-sous-Chouarre will endlich ihre seit Jahren erspielten Ersparnisse möglichst profitabel und nach dem eigenen Geschmack in Genuss umwandeln. Uneins über die Art der Freude wird demokratisch diktiert was dem wöchentlichen Gastgeber so am besten passt: Ein Zahnarztbesuch soll sich ganz natürlich ergeben, Einkäufe aller Art sollen so nebenbei getätigt und Befriedigung jeder Spezies soll herbeigeführt werden: die Reise nach Paris, ins Zentrum des Vergnügens, soll Eingang finden in die Annalen des Provinznestes. Und alle wollen daraus auch noch eine Stärkung der selbsteigenen Position in der Dorfgemeinschaft erreichen, die sich in einem langen Leben etwas erstarrt hatte. Die vergnüglichste Reise ins Vergnügen des Lebens soll morgens um 5 Uhr 25 starten, und die kapitaleigene staatliche Eisenbahn soll das ermöglichen!
Zum Glück verpasst der Notar den Zug. Zum grösseren Glück kann in der Stadt bereits zum Frühstück eine stattliche Mahlzeit eingenommen werden. Ein noch höheres Glück bringt der Besuch der Kunstdenkmäler: der “Arc de Triomphe” verleiht dem historischen Geist Erhebung wie das Korsett den hängenden Bauch in eine stattliche Brust verwandeln kann. Und das Glück der Reise in die Stadt wäre nicht vollkommen wenn nicht auch noch das Eheglück eine gute Position in der Altersversorgung versprechen könnte. Was für ein Glück, und …
“… was für eine Reise! Oh mein Gott, was für eine Reise!”
Dabei wäre der gute Bauernsohn doch der beste Student in der landwirtschaftlichen Hochschule wenn er nach dem 5. des Monats nicht immer schon pleite wäre … und er keine derart ausgeprägte Vorliebe für kleine, dicke Frauen hätte … und der Revierpolizist wäre doch auch ganz nett wenn er nicht gerade einen privaten Termin hätte … und der Kellner wäre ein ehrlicher Kumpel wenn er die mehrfachen Nullen auf der Speisekarte nicht geschickt unter dem Rand der Speisekarte verstecken täte … und der nette Cocarel, der doch so selbstlose Kuppler, wäre auch so liebenswürdig wenn ihm nicht gerade der Sims der Salondecke auf den Kopf zu fallen drohte. Und welches Glück, dass man vor der Polizei fliehen und auch im Freien übernachten kann wenn die letzte Eisenbahn schon abgefahren ist. Welches Glück … haben wir doch mit unserer guten und doch so individuellen, ökonomischen Lust und Demokratie.
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Wie andere Theater das Stück zusammengefasst haben, drei Beispiele:
Radebeul, 2004: “Ohne Reiseplan sich auf die Reise begeben, heisst erwarten, dass der Zufall uns an das Ziel führe, das wir selbst nicht kennen.” Kleist, An Ulrike von Kleist, Mai 1799 “Oh, was für eine Reise! Mein Gott, was für eine Reise!” Die honorigen Provinzbürger von Ferté-sous-Jouarre beschliessen, mit ihrem Sparschweinkapital – in gemeinsamen Kartenrunden hart erstritten – nach Paris, in die Hauptstadt des Vergnügens zu reisen. In der grossen Welt angekommen, demonstrieren sie nach aussen Einigkeit und Geschlossenheit. Doch zu Hause bereits uneins über den Einsatz des Ersparten, sind Konflikte nicht mehr zu vermeiden. Die Provinzler entdecken Züge an sich, die ihre kühnste Phantasie übertreffen. Die Welt ist brutal, sie sind es auch. Sich überschlagende Ereignisse, Blamagen und Verwechslungen treiben die Zwangsgemeinschaft in immer komischere und zugleich bedrohlichere Situationen. Sie werden Opfer von Betrügereien, Irrtümern und nicht zuletzt ihrer selbst. Unaufhaltsam gleiten sie in die Katastrophe. Labiches local heroes scheitern auf der ganzen Linie, aber sie scheitern äusserst amüsant. „Mein Leben war zu glücklich, als dass meine Biographie interessant sein könnte“, sagte Eugène Labiche (1815 – 1888), der Urheber von 175 Vaudevilles und Lustspielen, die von seinen Zeitgenossen mit Genuss konsumiert wurden. Mit seiner Bearbeitung des „SPARSCHWEINS“ hat Botho Strauss ein zugleich bitterböses und urkomisches Stück für das Theater zurückgewonnen.
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Wien, Kindertheater, 2003/04: Die Mitglieder einer kleinstädtischen Kartenrunde beschliessen, ihr Sparschwein zu schlachten, in dem sie die “Spielsteuern” aufbewahren. Mit dem stolzen Besitz von 491 Francs und 20 Centimes machen sie sich auf nach Paris, wo sie etwas “Unvergessliches, Epochemachendes” erleben wollen. In fremder Umgebung angekommen, demonstrieren sie nach aussen Einigkeit und Geschlossenheit. Doch zu Hause bereits uneins über den Einsatz des gemeinsamen Kapitals, sind Konflikte nicht mehr zu verbergen. Sich überschlagende Ereignisse, Verkettungen und Verwechslungen treiben die Sparschweingesellschaft in immer neue, komische, bedrohliche und absurde Situationen. Sie werden Opfer von Betrügereien, Irrtümern und nicht zuletzt ihrer selbst. In den Strudel der Stadt geraten, gleiten sie unwiderstehlich in die komische Katastrophe ab.
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Melchingen, 2002: Die honorigen Provinzbürger eines kleinen Ortes auf der Schwäbischen Alb, beschliessen mit ihrem Sparschweinkapital – Ergebnis gemeinsamer Kartenrunden – in die Landeshauptstadt Stuttgart zu reisen. In fremder Umgebung angekommen, demonstrieren sie nach aussen Einigkeit und Geschlossenheit. Doch zu Hause bereits uneins über den Einsatz des gemeinsamen Kapitals, sind Konflikte nicht mehr zu verbergen. Sich überschlagende Ereignisse, Verkettungen und Verwechslungen treiben die Sparschweingesellschaft in immer neue, komische, bedrohliche und absurde Situationen. Sie werden Opfer von Betrügereien, Irrtümern und nicht zuletzt ihrer selbst. Aus den Vergnügungs-Reisenden wird eine Zwangsgemeinschaft, in der jeder für sich und alle für ihren guten Ruf kämpfen. Durch eigenen Hochmut in den Strudel der Stadt geraten, gleiten sie unwiderstehlich in die komische Katastrophe ab. Labiche, Meister der Vaudeville-Komödie, liebte Theatereffekte, wilde Verwechslungen, deftige Possen, unvorhergesehene Begegnungen, Spötteleien und sprunghafte, überraschende Veränderungen der Situation. Das SPARSCHWEIN, die wohl bekannteste Komödie Labiches, beginnt mit einer völlig harmlosen, alltäglichen Situation. Die Figuren geraten aber bald mit zunehmender Beschleunigung in eine ununterbrochene Folge unvorhersehbarer, sich überstürzender Ereignisse. Sie verlieren den Boden unter den Füssen, verstricken sich immer tiefer, geraten ausser sich, und versinken schliesslich im Sumpf eines grotesken Alptraums.
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3. Akt
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Das Sparschwein als Freilichtspiel in Chur, zum 30.
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Drei Gedanken zum Projekt Zurückbesinnend, denken wir, dass die Idee mehr als aufgegangen ist: Anspruchsvolles Theater im Sommer als Freilichtspiel anzubieten ist heute keine Neuigkeit mehr, viele sind uns gefolgt. Wir waren nicht die Ersten, die grössere Theateraufführungen “openair” anboten (davon sprach man 1981 noch gar nicht), aber wir gehörten zu den Ersten, die Freilichtspiele nicht als Festspiele verstanden und Theater als Theater im grösseren Rahmen zeigen wollten: Anspruchvolles, leicht zugängliches Theater für ein breiteres Publikum aus dem Grossraum Chur.
Vorwärts denkend: das soll sein, weiterhin, und jedes Jahr neu gedacht und definiert. Für ein altes neues Publikum, ein frisches und erfrischendes Theater. Eine Komödie? Nicht nur, nicht immer, aber immer wieder – und dieses Jahr ja, ganz besonders in diesem Jahr 2011. Wir sind allesamt älter geworden in diesen 30 Jahren, höchste Zeit also, zu zeigen, zu leben, zu erleben, was eine Komödie sein kann, wie ernst sie sein muss und wie leicht sie sein darf. In unserer Sprache, in unseren Bildern, in unseren Fantasien.
Das Sparschwein (Schwein gehabt wer einen Batzen hat sparen können) ist es, das dieses Jahr vor sich hingrunzt, das uns ruft und vorlebt, dass wir in kleinen Schritten auch grosse Wege gehen, oder mit grossen Schritten auch schön ins Straucheln kommen können. Wer den Rappen nicht ehrt ist der Zukunft nicht wert, oder so. Viel Kleinfutter ergibt auch eine grosse Mahlzeit – und wir haben uns zum Fressen gern. Auch in unserer Sprache, in unseren Bildern, in unseren Gedanken.
Schwein gehabt, dass wir uns, auch noch im 30. Jahr nach unserer Vereinsgründung, auf Theater freuen können … und dass Jüngere uns nach kommen, und sie auch noch Lust haben, weiter zu machen.
Gut also, dass wir dieses Jahr Sparschweine schlachten können.
Ab Donnerstag 18. August.
Gian Gianotti
6.1.2011
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4. Akt
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.5. Akt
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Nachtkritik:
“Die Premiere hat stattgefunden und hatte ein Riesenglück mit dem Wetter. Knapp vor 22.00 Uhr und mit den letzten Wörtern fielen die ersten Tropfen, beim Applaus wartete das Gewitter noch ganz anständig und entlud sich als das Publikum den Platz schon verlassen hatte. Der Applaus war gross, es sind viele gute Meinungen gemacht, die Mund zu Mund Propaganda kann nun ihren Lauf nehmen.”
Das Projekt Das Musikkollegium und das Theater Winterthur haben der Förderung von Kindern und Jugendlichen im Bereich Musik, Theater und Kreativität einen nachhaltigen Impuls verliehen. Angesprochen waren alle Schülerinnen und Schüler der Stadt und der näheren Umgebung von Winterthur.
DieGrundidee des Projektswar ein pädagogisch–kreativer Ansatz, welcher erlaubte,Kinder und Jugendliche von der Volksschule bis zur Maturität, sich in die Entstehung eines gemeinsamen Bühnenwerks zu integrieren.
Der Prozess begann im Frühjahr 2008 bei der Entwicklung einer Geschichte, die in einem nächsten Schritt dramatisiert und bis zu den Aufführungen umgesetzt wurde.
Auch die bühnentechnische Realisierung wurde weitgehendst von den Schülern und Schülerinnen mitdefiniert, die theaterfachlich begleitet und geleitet wurden. Die Uraufführung des Bühnenwerkes fand im Mai 2009 im Theater Winterthur statt.
Über 900 Kinder waren daran beteiligt, sowohl aus Einzelinteresse als auch im Klassen- oder Schulhausverband organisiert.
Assistenz, Theaterpädagogische Betreuung, Mitarbeit Organisation Katrin Sauter Vera Bryner
ZHdK Studiengang Theaterpädagogik, Gruppen und Klassenbetreuung: Marcel Grissmer Simone Haungs Eva Heissenhuber Lucas Keist Thea Rinderli, Praktikantin Mira Sack, Leitung Marcel Wattenhofer, Leitung
sowie alle Lehrerinnen und Lehrer der teilnehmenden Schulklassen, resp. Schulhäuser
DAS PROJEKT –Die Idee Zwei “Geschichten-Erfindungsklassen” schrieben zuerst Aufsätze mit Inhalten, die sie gerne auf dem Theater zeigen möchten. Daraus wurden vier Grundideen herausgenommen und einer “Librettoklasse” vorgelegt. Diese arbeitete mit einer “Poesieklasse” zusammen, die einzelne Textpassagen für Arien und Lieder umschrieb – und das Projekt erhielt den Namen: FEALAN. Der Inhalt des sich verändernden Librettos wurde immer wieder den Erfindungsklassen vorgelegt. Betreut wurden diese Schritte vonPaul Steinmann. Zuletzt wurde das Libretto noch sprachlich koordiniert.
Nach diesem Prinzip wurde danach auch die Musik von den Kindern in Begleitung von Andreas Nickdefiniert, komponiert und für das Orchester des Musikkollegiums Winterthur MKW eingerichtet.
Alles was dann auf der Bühne stattfand wurde von den Kindern geschrieben, definiert, vertreten, dargestellt und gesungen. Die Erwachsenen haben sie “nur” begleitet und unterstützt. Und sie haben alle mit dem Publikum gestaunt, welche fast nicht zu bändigende Kraft und Energie in 800 Kindern und Jugendlichen steckt, die sich ein Jahr lang unter anderem auch mit Theater beschäftigen können. 360 davon sind an ihre Grenzen gegangen und haben in den vier Vorstellungen alles gegeben und gespielt: Schüler und Schülerinnen, Lehrpersonen, Polizisten, Wächter, Elfen, Blumen, Schmetterlinge, Kröten, Wände, Winde und Wasser, Macht und Ohnmacht, Paparazzi, Journalisten, Choristen und im Ouvertüre-Orchester.
Das Prinzip der Arbeit war, dass alle Kinder ihre Ideen, eingebrachten Formulierungen, Klänge, Formen, Farben, Bewegungen auf der Bühne wieder vorfinden sollten: daraus wurde eine farbige Welt, eine grosse Kundgebung für die Freundschaft und Menschlichkeit. Das Publikum, die Familien, die Lehrer/innen und die Schulbehörden haben es ermöglicht. Und sie haben es wahrgenommen.
Die Aufführungen – 2009 Freitag 8. Mai 11.00 Uhr – interne GP für alle Beteiligten
Samstag 9. Mai 2009 17.00 Uhr – Premiere, Uraufführung
Weitere Vorstellungen – Sonntag 10. Mai 11.00 und 15.00 Uhr
Die Arbeitsbereiche Das Projekt gliederte sich nach verschiedenen Arbeitsbereichen, die zeitlich gestaffelt waren und verschiedenen Altersgruppen erlaubten, sich nach eigener Vorliebe sinnvoll in die Produktion einzubringen. Der damit verbundene Arbeitsaufwand für die Schulklassen war je nach Arbeitsbereich und Anzahl teilnehmender Klassen und Kinder variabel. Die Langfristigkeit und die auf Integration ausgerichtete Vielfältigkeit des Projektes war Teil des Konzeptes. Alle Leitungspersonen und beteiligten sowie unterstützenden Organisationen wurden vom breiten Interesse regelrecht überrumpelt. Sowohl der innere wie auch der öffentliche Erfolg waren enorm.
Konzept und künstlerische Leitung: Andreas Nick, Komponist und Dozent ZHdK
Projektleitung: Marco Müller, Jugendbeauftragter Musikkollegium Winterthur
>>> Die Dokumentation (mit Pressetext) Das ganze Projekt wurde übers Jahr von einer Filmequippe von >>> EYE MIX Zürichbegleitet. Die Dokumentation wird am 11. September 2009 erstmals morgens für die beteiligten Kinder und abends für die beteiligten Familien und Freunde imTheater Winterthur im Rahmen des TheaterjubiläumsTW30gezeigt. Am Sonntag 13. September findet die Erstausstrahlung in der Sendung >>> KLANGHOTELdesSchweizer Fernsehens SFstatt. Die Regie der Dokumentation führteRegula Tobler.
Angesichts der vielen Kinder und Personen, die am Projekt beteiligt waren, wurde FEALAN von der lokalen Presse stark begleitet.
Über die ganze Vorbereitungszeit erschienen mehrere Artikel und Gespräche im MedienpartnerWinterthurer Stadtanzeiger.Sie können diese Seiten hier als pdf einsehen:
Und das auch noch – zum Abschluss! DIE AUSZEICHNUNG junge ohren preis 2009 in der Kategorie “Best Practice”
Aus der Jury-Begründung: “Ein Grossprojekt, das in beispielhafter Weise aktivierend ist. Die Arbeit in einem professionellen Setting mit dem Musikkollegium Winterthur kann als ‘once in a livetime experience’ bezeichnet werden, die nicht nur durch drei ausverkaufte Aufführungen, sondern auch durch einen nachhaltigen Bezug zum Musiktheater belohnt wird.”
Prof. Dr. Ingrid Allwardt, Geschäftsführerin netzwerk junge ohren
Berlin, den 1. Dezember 2009
Inszenierung – Gian Gianotti
Ausstattung und Kostüme – Ruth Schürmann
Musik – stephan diethelm Projektleitung – Maggi ImfeldundThomy Büchler, Luzerner Spielleute
Videos – Hans Eggenmann(Eggenmann&Eichenberger)
Grafik – Bruno Imfeld
Produktionsleitung – Magge Imfeld
Produktion – Peter Albisser, Thomy Büchler, Beat Fessler, Werner Meier
Ton / Licht – Bäni Brun, Bruno Gisler
Bauten – Peter Albisser, Urs Bättig, Thomy Büchler, Philipp Gassmann, Rachel Röthlin, Beat Strasser, Peter Zumstein
Kunst und Kultur nach der Schliessung des Zentralgefängnisses Luzern, 1998
MattoMatto, ein Schauspiel von Paul Steinmann nach Friedrich Glauser – Regie Gian Gianotti, ab 15. Oktober ZeitZellen, Installierte Zellen zum Theater-Thema von Luzerner Kunstschaffenden – Koordination Ruth Schürmann, ab 16. Oktober
Darsteller/innen der Luzerner Spielleute 1998:
Annelies Meier
Bear Ramiq
Beat Reichlin
Beat Strasser
Bruno Ruegge
Daniel H. Huber
Francesca Marchioro
Heike Freiesleben
Katja Christen
Marcel Gabriel
Marcel Geisser
Marie Therese Wunderlin
Markus Oehen
Peter Zumstein
Philippe Gassmann
Rachel Röthlin
Rita Maeder
Sabina Knobel Sandra Wüthrich
Silvia Bachmann
Susanne Ruckstuhl
Urs Bättig
Beat Mazenauer/Hubert Hofmann Beat Reichlin Bernhard Egli Christoph Rütimann Claudia di Gallo Daniel Amhof Gertrud Künzli Heinz Gadient Irene Naef Jan Schacher Karin Gemperle/Stephan Wicki Karin Stettler Maya Prachoinig Nicole Henning Pia Gisler Theo Schärer
Zum Inhalt des Romans
Eine Irrenanstalt im Kanton Bern in der zwanziger Jahren. Der Direktor ist verschwunden, der Patient Pieterlen, ein Kindsmörder, ausgebrochen. Wachtmeister Studer blickt hinter die Kulissen psychiatrischer Theorien und Therapien. Er versucht nicht nur, einem Verbrechen auf die Spur zu kommen, sondern tritt auch eine Reise in die Grenzregionen von Vernunft und Irrationalität an, die keineswegs immer so klar zu trennen sind – Matto, der Geist des Wahnsinns, regiert und spinnt seine silbernen Fäden …
Paul Steinmann hat daraus für die Luzerner Spielleute eine theatralische Szenenfolge zusammengestellt, die einen Einblick in die Thematik des Romans und in den Aufführungsort erlaubt. Dem Zuschauer wird die (passive) Optik des Wachtmeister Studer überlassen. Die Theaterkonzeption wurde im Gespräch mit stephan diethelm (Musik) und Gian Gianotti (Regie) nach der Vorgabe des Spielortes erarbeitet.
Das Theater-Programm: >>> MattoMatto – pdf 16 Seiten
Die Kunstausstellungen: >>> ZeitZellen– pdf 20 seiten
Zum Inhalt, als Verneigung vor dem Basis-Roman >>> Friedrich Glauser, Matto regiert – pdf 2 Seiten
(Auftritt Schweiz, Pro Helvetia)
Alfonso Sastre: GUILLERMO TELL TIENE LOS OJOS TRISTES (1965)
Sommertheater Schaffhausen, Stahlgiesserei, Intendant Bruno Merlo
Premiere: Freitag, 7. August 1998
Weitere Vorstellungen, jeweils Mittwoch bis Samstag:
8., 12., 13., 14., 15., 19., 20., 21., 22., 26., 27., 28., 29. August
2., 3., 4., 5., 9., 10., 11., 12. September, um 20.15 Uhr
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Alfonso Sastre, WILHELM TELL HAT TRAURIGE AUGEN .. .
Projektleitung: Bruno Merlo, Matthias Freivogel, Richard Meier, Susanne Boser, Gian Gianotti
Übersetzungsgruppe: Bruno Merlo, Heini Pestalozzi, Max Baumann, Susanne Debrunner, Susi Kohler-Merlo
Redaktion und Textfassung: Gian Gianotti
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Inszenierung – Gian Gianotti
Musik – Fabian Neuhaus
Ausstattung – Gian Gianotti, Rolf Derrer, Roger Staub
Kostüme und Requisiten – Barbara Wirz, Monika Stahel
Licht-design – Rolf Derrer, DELUX Zürich
Maske – Anna Schneider
Regieassistenz – Matthias Lehmann
Grafik – Roger Staub
Fotos – Max Baumann, Sylvia Hüsler, Bruno Bührer
Pressearbeit – Stephan Ramming
Bauleitung – Felix Pletscher
Technik – Urs Ammann, Fabian Amsler, Andri Beyeler, Dominik Roost
Theater-Beiz – Ariane Trümper, Andreas Vogelsanger, Andreas Bossert
Besetzung Die Familie Tell-Fürst:
Wilhelm Tell – Mathias Gnädinger
Hedwig Fürst, seine Frau – Susanne Debrunner
Walter, sein Sohn – Michael von Burg
Walter Fürst – Heini Pestalozzi
. Die Gesellschaft:
Der Vorarbeiter – Beat de Ventura
Der einarmige Bettler – Beat Windler
Der gelähmte Bettler – Ruedi Widtmann
Der Blinde – Walter Rüegg
Der Junge – Matthias Lehmann
Sergeant der Militärpolizei – Hans Martin Bernath
Zwei Militärpolizisten – Philipp Lippuner, Felix Pletscher
Eine alte Frau – Doris Nydegger
Der Wirt – Röbi Gasser
. Männer aus Uri: Tom Luley, Attila Gaspar, Marco Streuli, David Vogel, Etienne Prodolliet
Stauffacher – Beat de Ventura
. Männer aus Schwyz: Teddy Hänny, Florian Krähenbühl
Melchtal – Hans Martin Bernath
. Männer aus Unterwalden: Mattijs de Graaf, Julian Tschanen, Matthias Lehmann
Leute aus dem Gefolge des Gouverneurs:
Gessler, der Gouverneur – Walter Rüegg
Ausrufer 1, Sekretär 2 – Barbara Werner
Ausrufer 2, Sekretär 1 – Sasha Hagen
. Arbeiter und Soldaten der Armee des Gouverneurs: Alexandra Häberli, Annina Keller, Beat Windler, David Vogel, Denise Hiltbrunner,Eliane Debrunner, Florian Krähenbühl, Marco Streuli, Marco Wittwer, Marisa Cervini,Martina Schmocker, Mattijs de Graaf, Myrtha Leu, Sandra Jauch, Sonja Lütschg,Teddy Hänny, Thomas Schlegel
. Frauen: Angela Flegel, Hanna Rüegg, Marleen Schyvens, Petra Geitlinger, Verena Erne
. Kinder:
Jeweils am Mittwoch und Freitag: Anna Brügel, Johanna Vogelsanger, Julian Tschanen, Linda de Ventura, Maurus Meier, Noah Valley, Sara de Ventura
Jeweils am Donnerstag und Samstag: Lenz Furrer, Marie Tanner, Laura Schyvens, Basil Hotz, Carim Chenna, Gilles Schyvens, Camille & Rainier
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Zum Stück:
Mit ‘Wilhelm Tell hat traurige Augen’ erzählt der Spanische Autor Alfonso Sastre die Tellgeschichte nach Schiller in anderer Form. Gessler ist kein eingesetzter fremder Reichsvogt, sondern ein Herrscher in eigener Sache, aus der Region, der sich seine Position und Macht vor Ort “erarbeitet” hat. Seine Tyrannei ist “Gessler-gleich” und Tell ist schliesslich auch der “Befreier”. Seine Tat ist aber keine politische Aktion oder gar Revolution, sondern eine ganz persönliche Rache für zugefügtes Volks- und Familien-Leid. Für seine aggressive Haltung gegen die Willkür und Selbstherrlichkeit Gesslers wird er mit dem Apfelschuss bestraft, wie bei Schiller. Bei Sastre hätte Tell jede persönliche Verfolgung seitens Gessler “erwartet”, diese neue, sadistische Dimension und Perversität wirft ihn aber aus der Bahn, und nun muss er seine Treffsicherheit gegen seine Verunsicherung “beweisen”: Gessler will diese Erniedrigung als “Volksbelustigung und Theaterspektakel” haben – bei Todesandrohung an Vater und Sohn wenn Tell nicht schiesst, und zwar «jetzt!» und: «Action!» Tell muss schiessen, trifft daneben, sein Sohn Walter stirbt. Mit dem zweiten Schuss trifft Tell genau und erschiesst Gessler aus persönlicher Rache. Walters Tod erzeugt den Volksaufstand und neue Machthaber stehen bereit, die Führung des Landes zu ergreifen – und diese “heucheln” Tell zur mythischen Symbolfigur – denn das Volk soll jubeln können!
Alfonso Sastre wurde 1955 vom “Teatro Nacional Madrid” beauftragt, das Schauspiel von Friedrich Schiller für Spanien umzuarbeiten. Er pointierte die sadistische Perversität des faschistischen Regimes in Spanien derart, dass die Aufführung umgehend von der Zensur verboten wurde und erst im Jahr 1972 in Cagliari, Sardinien in kleinerem Rahmen uraufgeführt wurde. . . Alfonso Sastre am Tag nach der Premiere, wir sassen in unserem Garten bei einem kleinen, privaten Brunch zusammen – und da sagte Er:
“… ich bedanke mich bei allen Beteiligten! … und bin froh, so sehr froh, dass mein Tell, ‘… mit seinen traurigen Augen …’ nun wirklich auch seine richtige Uraufführung erleben konnte, in dieser Dimension … in dieser Leichtigkeit … Ernsthaftigkeit … hatte ich es mir immer vorgestellt. Danke! … allen!”
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Zum Projekt, Stück, Inszenierung:
sehen Sie die Pressestimmenoder auch die Gespräche. Stephan Ramming hat mit Beteiligten gesprochen.
Ton – Benno Germann
Inspizienz – Leo Brücker-Moro
Fotos – Fany W. Brühlmann, Christof Hirtler
Grafische Gestaltung – Marc Philipp, Hans-Rudolf Lutz, Stefan Dittli
Projektleitung – Franz Xaver Nager
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Die Besetzung
Wyysi, Hirt auf Surenen – Toni Huber-Albrecht Baschi, sein Knecht – Alois Telli Noldi, sein Handbub – Stefan Gisler
Dr Wältsch, ein Händler – Enzo Filoni Fredi Muheim, Alpvogt – Thomas Baumann-Widmer Sepp Zgraggen, Viehhändler Franz Ettlin
Hansueli Wyrsch, Dorfvogt – Walter Müller Emmi Wyrsch, seine Frau – Anita Schenardi-Arnold Hanni Wyrsch, ihre Tochter – Sandra Arnold Veeri, ihr Sohn – Andri Schenardi
Schorsch, Wildhüter – Felix Schenker Kari Gnos – Heribert Huber Zilli, seine Magd – Zita Albrecht Huber
Pfarrer – Bruno Zurfluh Bärti, Sigrist – Michael Imhof-Gisler Barmherzige Brüder – Richi Tschanz, Roger Arnold Ds Näüzi, Landstreicherin – Martha Telli
Hansi Traxel, Bauer – Beat Wyrsch-Moriggia Reegä, seine Frau – Heidi Hofmann-Arnold Zischgi, ihre Tochter – Simone Hofmann Groosi – Regina Nager-Schmidig
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Drei junge Männer – Andreas Mathis, Thomi Gisler, Daniel Niffeler
Drei junge Frauen – Isabelle Hofer, Brigitte Blunschi, Brigitte Hächler
Lyyni, eine alte Jungfer – Lory Schranz-Gisler Lyysäli, ein Mädchen – Andrea Hofmann Verkäufer – Thomas Müller, Ignaz Walker
Kinder: Claudia, David und Gregor Bär, Michael Schranz.
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Das Orchester
Christoph Baumann, Piano, Leitung Christoph Dienz, Fagott Christoph Gantert, Trompete, Waldhorn Marco Käppeli, Schlagzeug Marie Schwab, Bratsche Jacques Siron, Kontrabass Chris Wirth, Klarinette, Saxophon
Nick Parkin, Studio Tapes
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Allgemeine Mitarbeit Benno Germann (Ton), Leo Brücker-Moro (Inspizienz), Fany W. Brühlmann, Christoph Hirtler (Fotos), Marc Philipp, Hans-Ruedi Lutz, Stefan Dittli (Grafik), Erich Megert (Logistik), Peter Zgraggen (Finanzen), Simona Bossard Bissig, Ruth Gisler, Eva Jauch-Kessler (Sekretariat), Claudia Arnold-Stadler, Ruth Gisler, Eva Jauch-Kessler (Schneiderei), Martin Walker (Leitung Schlosserei), Thomas Gisler (Scherinerei), Claudia Howald, Otmar Bertolosi (Medienbetreuung), Julia Huber, Hans Fussen (Kasse), u.a.
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“Ds Gräis” ein Sagenstoff Ein auf der Alp Surenen tätiger Schafhirt erwirbt auf dem Markt ein junges Lamm aus Italien. Er vergöttert das Tier und vernachlässigt darob seine Hirtenpflichten. Als er das Lamm schliesslich gar tauft, verwandelt es sich in ein schreckliches Ungeheuer (Gräis) dem, Mensch und Vieh zum Opfer fallen. Die Urner züchten daraufhin während sieben Jahren einen mächtigen Stier heran, der von einer reinen Jungfrau auf die verwüstete Alp geführt werden muss. Gräis und Stier gehen im Kampf zugrunde. Auch die Jungfrau kommt um, als sie das Gebot, nicht zurückzuschauen, missachtet.
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Die Szenen
erstes Bild
Unter alpenländischen Abendglühen bringen der Hirt Wyysi, sein Knecht Baschi und deren Handbub Noldi ihr Tagewerk zu seinem Ende. So idyllisch sich die Bergwelt darbietet, so spannungsgeladen erweist sich das Verhältnis zwischen den zwei bodenständigen Älplern und dem jungen, widerborstigen Noldi, der dem Hirtenleben wenig abgewinnen kann.
zweites Bild
Auf dem Dorfplatz in Attinghausen herrscht buntes Markttreiben. Ein welscher Händler preist lautstark die Vorzüge des Lammes an, das er aus dem Süden mitgebracht hat. Noldi möchte das wundersame Tier um jeden Preis erwerben. Dem Hohn der Bevölkerung und dem lautstarken Einspruch des Pfarrers zum Trotz ist er bereit, dafür vor dem Lamm niederzuknien und den Rosenkranz zu beten.
drittes Bild
In der Alphütte auf Surenen sieht sich Noldi massiven Vorwürfen ausgesetzt, weil er das frisch erworbene Schaf vergöttert, ja sogar mit ins Bett nimmt, und damit die althergebrachte Hirtenregel verletzt, wonach auf der Alp alle Tiere gleich zu behandeln sind.
viertes Bild
Noldi bricht nachts in die Attinghauser Kirche ein. Er stiehlt Weihwasser und andere Taufutensilien. Vom Pfarrer überrascht, entflieht er, ohne erkannt zu werden.
fünftes Bild
Zurück in seinem Unterschlupf auf Surenen, macht sich Noldi daran, sein Lamm zu taufen. Ein furchtbares Gewitter bricht über die Alp herein. Krachend schlägt der Blitz in die Hütte.
sechstes Bild
Am Dorffest in Attinghausen ist der Dorfvogt Wyrsch des Lobes voll für seine Landsleute. Baschi taucht auf. Er ist dem Gewitter entkommen, steht aber unter Schock und gibt nur unverständliche Äusserungen von sich. Das Volk vermutet einen Zusammenhang mit dem Unwetter der vergangenen Nacht. Der Pfarrer berichtet vom nächtlichen Einbruch in der Kirche. Der Viehhändler Zgraggen und der Alpvogt Muheim, die beide ein gewichtiges Wort in der Gemeinde haben, erklären sich bereit, die Lage auf Surenen zu erkunden. Das Fest nimmt seinen trinkfreudigen Fortgang.
siebtes Bild
In der Dorbeiz berichten Zgraggen und Muheim von ihren unheimlichen Beobachtungen. Die Alphütte auf Surenen sei zerstört, von Wyysi und Noldi fehle jede Spur, und überall läge, übel zugerichtet, totes Vieh herum. Die Meinung macht sich breit, dass das Gräis über die Alp hereingefallen sei. Das Näüzi, eine alte Landstreicherin, weiss Rat. Um dieses schreckliche Ungeheuer zu bekämpfen, soll während sieben Jahren ein mächtiger Stier herangezüchtet werden. Dem Dorfvogt, dessen Tochter Hanni den Stier in den Kampf führen soll, widerstrebt der Plan.
achtes Bild
Um die für die Aufzucht des Kampfstiers benötigte Milch zu beschaffen, soll auch der arme Bauer Trachsel eine seiner beiden Kühe hergeben. Seine Frau misstraut Muheims Aussage, es handle sich dabei um einen Beitrag zum gemeinen Wohle. Auf die Haltung des Dorfvogts angesprochen, berichtet der Alpvogt, Wyrsch fröne mehr und mehr dem Trunke und entziehe sich der gemeinsamen Aufgabe.
neuntes Bild
Der Wildhüter Schorsch, der sich Hoffnungen auf die Tochter des Dorfvogts macht, spricht im Hause Wyrsch vor. Er will verhindern, dass Hanni sich unnötig in Gefahr begibt. Bei der streng religiösen Mutter findet er aber so wenig Gehör wie beim Dorfvogt selber, der sich angesichts seines vergeblichen Widerstands gegen die geplante Problemlösung in den Alkohol flüchtet. Hanni erklärt, dass sie sich aus freien Stücken dazu entschieden habe, die ihr von Gott und der Gemeinschaft gestellte Aufgabe zu übernehmen.
zehntes Bild
Sieben Jahre sind um. Hanni, deren Verhalten zunehmend wahnhafte Züge annimmt, widersteht Schorschs letztem Versuch, sie von ihrem fatalen Vorhaben abzubringen.
elftes Bild
Vor versammeltem Volk künden Muheim und Zgraggen, die offensichtlich die Zügel in die Hand genommen haben, den Tag der Entscheidung an und danken allen für ihren Einsatz zur Überwindung der Gräis-Plage. Ihr Vorschlag zur künftigen Nutzung der Alp Surenen stösst allerdings nicht auf einhellige Zustimmung. In einem feierlichen Prozessionszug wird Hanni auf den Platz geleitet. Der Pfarrer berichtet, dass ihr die Muttergottes erschienen sei, und preist ihre christliche Tugendhaftigkeit und Opferbereitschaft. Hanni, vom Wahn erfasst, meint den Jubelchor der Engel zu vernehmen, der sie die Himmelstreppe hinan begleitet. Während sie von Zgraggen und Muheim weggeführt wird, steigert sich das Volk in die kollektive Ekstase eines archaisch-religiösen Kultes hinein.
Epilog
Zgraggen und Muheim treten als Autoren der Gräis-Sage auf. Ihrem Bericht zufolge kam es auf Surenen zu einem schrecklichen Kampf, den weder Gräis noch Stier überlebten. Unter nicht genau geklärten Umständen soll dabei auch die Jungfrau den Tod gefunden haben.
Paul Steinmann:VEREINSAMKEIT Spielleute Luzern, Pavillon
Premiere: 19. Oktober 1994, Uraufführung
Inszenierung – Gian Gianotti
Ausstattung – Ruth Schürmann
Musik – Dodo Luther Licht – Martin Brun Assistenz – Ursula Mehr Bühnenbau – ThomyBüchler, Bäni Brun, Christi Fischer Projektleitung – Franz Koch
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Ensemble:
Martin Amacher, Urs Bättig, Otto Bernauer, Mage Brun, Ursi Brun-Weiss, Hans Eggermann, Alban Fischer, Bea Flückiger, Nynke de Haan, Irene Ibanez-Bucher, Pelham Jones, Renata Kälin, Stephan Kelz, Rita Mäder-Kempf, Kathrin Müller, Markus Oehen, Simon Oehen, Ruth Pfister, Beat J. Reichlin, Veronika Schmidt, Felix Vonwartburg, Sara Wechsler, Sandra Wüthrich
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Mit der grosszügigen Mitarbeit und Unterstützung der Mitglieder des Vereins Spielleute Luzern
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Paul Steinmann: Gedanken zur Entstehung des Stückes
Ausgangsfragen
Wenn ich als Autor davon ausgehe, dass Theater etwas mit dem Leben, hier und jetzt, zu tun haben soll, dann muss ich mir, beim Herangehen an ein neues Stück die Frage stellen: was macht denn heute mein/unser Leben aus?
Also: Worüber muss ich (dringend) etwas sagen? Was beschäftigt mich jetzt (am meisten)? In welche Gedanken, Ideen, Visionen möchte ich Zeit und Energie investieren? Und: Wie geht es mir mit der Welt und dem, was sie zusammenhält? Was macht mir meine Träume schwer und mein Herz bitter? Oder umgekehrt: Was leicht und süss?
Und schliesslich: Kann ich darüber etwas äussern?
Dabei gehe ich davon aus, dass es nichts Neues gibt, keine neuen Themen, keine neuen Geschichten. Es kreist auch das Theater immer um das, worum es auch im Leben dauernd geht und sich dreht: Liebe, Tod, Macht, Ohnmacht, Widerstand, Phantasie, Spannung, Anziehung, Angst.
Mitspielen
Auf eine Umfrage der Luzerner Spielleute hin meldeten sich über 20 theaterspielwillige Menschen. Einige andere wollten dieses Spiel organisieren, anleiten, von aussen beeinflussen. Diese Menschen haben ihre Geschichten, ihre Stimmen, ihre Gesichter, ihre Körper, ihre Haltungen, Meinungen, Fragen. Sie stehen in ihrem Leben auch an einem bestimmten Punkt. Sie haben ein Alter, eine Lebenserfahrung, Wünsche an das Leben, Visionen, Enttäuschungen, ein Sehnen, Schmerzen. Mit all dem (und noch viel mehr) betreten sie den Proberaum, die Bühne, stehen sie im Leben. Sie müssen sich behaupten, sich wehren, sich finden, suchen, essen, schlafen.
Diese Menschen unterscheiden sich insofern von anderen Menschen, als sie das Bedürfnis haben, einen Teil von sich selbst einem Publikum zu zeigen. Sie stellen sich hin, zusammen mit anderen, und sagen: Schaut her, so bin ich auch. Um sich aber zu schützen, wählen sie eine Figur aus, die Texte sagt und handelt, wie ein Autor oder eine Autorin es vorbestimmt.
Ich wollte wiederum für genau diese Menschen Figuren erfinden und Texte schreiben. Dafür musste ich sie ein wenig kennen lernen, musste ich sie über ihre Vorstellungen befragen, musste ich sie spielen sehen.
60 Jahre (Die erste Idee)
Die Luzerner Spielleute feiern ihr 60-jähriges Bestehen. Was läge da näher, als sich in einem Theaterstück mit einer Amateur-Theatergruppe auseinander zu setzen. Das sind Leute, die an das Theater Leib und Seele hängen. Die für eine Premiere ein halbes, ein ganzes Jahr ihrer Zeit opfern. Abends nach der Arbeit, an den Wochenenden, in den Ferien. Sie erleben Premieren und die Premierenfeiern als Höhepunkte im Jahr, vielleicht sogar in ihrem Leben.
Doch die Idee war zu wenig griffig. Nach Diskussionen mit der Produktionsgruppe verwarf ich sie und stand wieder am Anfang. Auch wenn ich liebend gerne sicher gewesen wäre, ist es doch nicht schlecht, noch einmal und öfter wieder von vorne anzufangen. Ein Prozess kam in Gang. Neue Ideen wachsen auf dem Kompost der alten.
Ein Chor (Zweite Idee)
Klar war zwar noch immer, dass ich eine Gruppe von Menschen zeigen wollte. Menschen, die einer Sache wegen zusammenkommen und gemeinsam etwas tun. Vom Theaterspiel aber war ich weggekommen und dachte daran, einen Gemischten Chor zu porträtieren.
Zum Beispiel bei einer Schallplattenaufnahme. Oder in einem Radiostudio, 1934 bei einen Liveauftritt im Landessender Beromünster. Oder: wie wäre ein Chor zu zeichnen, der sich im Jahre 2034 in einem rustikal nachempfundenen Klubraum zum Singen von Liedgut aus den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts zusammenfindet?
Ich wusste nicht, welche der Situationen die spannendere sein würde, die rückwärts-gewandte (2034), die vorwärts-gerichtete (1934) oder die Situation, in der beide Chöre und Jahre einander gegenüber gestellt wurden.
Doch am Wichtigsten erschien mir immer noch: was für Menschen sind in diesen Chören mit dabei, was machen sie, denken sie, sind sie, haben sie, dürfen sie, sollten sie nicht, wollen sie, entbehren sie? Was sind die Gründe, weshalb Menschen in Chören singen? Was bringt Leute dazu, beträchtliche Teile ihrer Freizeit zu opfern, um auf eine Bühne zu stehen?
Zudem gibt es in solchen Gruppen immer auch bestimmte Gesetzmässigkeiten. So gibt es in allen Gruppen, Vereinen, Clubs ganz bestimmte Rollen, die fast immer besetzt werden.
– Jene, die alles besser weiss, offiziell aber nichts sagt.
– Jener, dem es gefällt, Verantwortung, Macht und Schlüssel zu haben.
– Die Samariter, die guten und die aufdringlichen, die immer da sind, auch wenn man ihre Hilfe gar nicht braucht.
– Die Fixierten, die einmal im Leben eine Idee hatten und diese nun ein Leben lang verkaufen. Und nicht davon zu überzeugen sind, dass die Idee gewissen Mängel haben könnte.
– Die Machenlasser, die selber jede Anstrengung unternehmen, nicht mitdenken zu müssen, die zum vornherein alles den anderen überlassen und nur da sind, wenn sie wollen, sich dann aber unentbehrlich fühlen müssen.
– Die Möchtegerne, die es nie irgendwo geschafft haben und jetzt ihre Künstlerseele im Gemischten Chor glauben ausleben zu müssen. Sie haben sich Allüren zugelegt, hören nie zu, wenn man sie kritisiert und verstehen weder Spass noch die Argumente der anderen, sondern wollen nur eines hören: Lob.
– Die Schwärmer von den alten Zeiten, wo doch alles viel besser war, was natürlich stimmt, denn früher waren die, die jetzt schwärmen, noch jünger und deshalb konnten sie damals besser geniessen und dabei sein und mit saufen und Nächte durchmachen und lachen.
– Die Gewöhnlichen.
– Die Krampfer, die alles tun, was man ihnen sagt. Zuviel vielleicht. Die aufleben in dieser künstlichen Welt. Mitreissend. Aktiv. Kraftvoll.
5. Der Chor. der Verein und die Einsamkeit (3. Idee)
Es werden Menschen gezeichnet, es werden Geschichten aufflammen. Es werden die Spannungen gezeigt, die entstehen, wenn eine Gruppe von Frauen und Männern zusammen etwas machen und einer Öffentlichkeit präsentieren will. Hässliche Spannungen, erotische, masochistische und sadistische, unbedarfte, intellektuelle, lustige und tödliche vielleicht.
Nach dieser Phase galt es dann, Rollenbilder zu entwerfen. Ich tat dies aufgrund eines Fragebogens, den die Spielerinnen und Spieler ausfüllten. Nach und nach schälte sich ein Hauptthema heraus. Es würde ein Stück über Einsamkeit werden. Die Gruppe von fast 30 Menschen kommt zwar zum Singen und Jubiläumsfeiern zusammen, aber es sind Menschen, die allein sind oder sich allein fühlen oder allein sein möchten. Diese zwei Seiten, hier das gemeinsame Tun, dort das einsame Denken und Fühlen, wurde für mich das Thema des Stückes.
Zusammen mit dem Regisseur, dem musikalischen Leiter und den anderen Produktionsmenschen, entwickelte sich schliesslich das Stück Unterhaltungsabend: VEREINSAMKEIT.
Inhalt
Zu seinem 60-Jährigen Jubiläum gibt der Gemischte Chor ein Konzert. Titel desselben: “TRÄUMEREIEN IN DUR UND MOLL – LIEDER AUS 60 JAHREN”. Mit einem abwechslungsreichen Programm wollen die Mitglieder des Gemischten Chores ihr Publikum unterhalten und gleichzeitig ein wenig in den Erinnerungen blättern. Sie lassen die Jahre, die seit 1934 vergangen sind, musikalisch Revue passieren.
Mitten im Konzert gibt es Stops. Die Zeit wird angehalten, um dem Theaterpublikum die Möglichkeit zu geben, in die Gedanken der Sängerinnen und Sänger Einblick zu erhalten. Gewisse Lieder erwecken in gewissen Chormitgliedern gewisse Erinnerungen. Gedanken aus ferner Vergangenheit tauchen ebenso auf, wie Visionen über die Zukunft und die Probleme, mit denen diese Menschen jetzt zu kämpfen haben. Es gibt Sänger, die erzählen, weshalb sie in diesem Chor singen und Sängerinnen, die erklären, weshalb sie diese wöchentlichen Proben so sehr lieben. Es gibt solche, die einen schwarzen Tag, ein schwarzes Leben hinter sich haben und solche, die nur das Helle, Schöne sehen.
Die Chormitglieder können in Monologen ihre Gedanken formulieren, sie können aber auch Dialogpartner suchen, Gesprächspartnerinnen herbeiwünschen oder -befehlen.
Der Chor, der zu Beginn des Konzertes eine Gruppe (Masse) von anonymen Menschen ist, soll im Verlauf des Stückes immer mehr zu einer Gruppe (Masse) von individuellen Persönlichkeiten werden, deren Geschichten man glauben mag oder nicht, deren Schicksale man bedauern mag oder nicht, deren Lebenswege man mit Spannung und Interesse, mit Abscheu oder mit Lachen, mit Stirnrunzeln oder Gleichgültigkeit verfolgt.
Das Stück entstand also in Zusammenarbeit und im Zusammengehen mit allen, die den Mut aufbrachten, sich auf etwas Neues, Eigenartiges, Unsicheres einzulassen. Ihnen allen gehört mein Dank!
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Und Hoffnung
(von der Schwere der Leichtigkeit)
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Was sucht der Mensch im Leben
wenn er nach dem Sinn im Leben sucht?
Er sucht nach Form von Sein im Leben,
die ihn in seine Form von Leben führt
und findet dann vielleicht ein Bild
das ihm sein Sein verspricht
und bildets dann
und knetets fest
zu Stand und Klump
und findet sich
im Suchen stets
nach neuem Stoff
zu kneten fest
bis alles dann
vielleicht gelingt:
so leicht, so stimmig klar,
dass ihm das Leben
stimmig leicht
ist Form und Stand
zu leichtrer Suche dann.
Paul Steinmann: DAS WEITE SUCHEN
Spielleute Luzern, Gaskessel, Projektleitung: Thomy Büchler
Premiere: 8. August 1992, Uraufführung
Inszenierung: Gian Gianotti
Ausstattung: Ruth Schürmann Musik: dodo Luther
Besetzung:
Die Ausreisenden
Anna:Mascha Altermatt Jgor:Stefan Kelz Appolonia Reymann:Silvia Bachmann Christina Soder:Ruth Egli Michael Metzger:Beat Reichlin Fridolin Müller:Franz Koch Josef Ulrich:Sandra Wüthrich Wendel:Heinz Küng
Die Bleibenden Maria:Ursi Brun-Weiss Franz Kym:Otmar Müller Salome:Mage Brun Teresia:Rita Maeder-Kempf Fischinger:Hans Eggermann
Musiker:Adrian Blum (Akkordeon)
Mit der grosszügigen Mitarbeit und Unterstützung der Mitglieder des Vereins Spielleute Luzern.
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Ein Stück
über die Sehnsucht und über das Heimweh
über den Mut und über die Hemmung einen Schritt zu wagen
über Auswanderung, über Einwanderung
Heimat, Fremde
Erinnern und Vergessen, Haben und Sein
über Leben und Tod.
“Das Weite suchen”isteinhistorisches Drama, dasdie AuswanderungswellenachAmerikazuBeginn des 19. Jahrhundertszum Gegenstand hat.
Der Staat zwingt die Auswanderungswilligen, sich zu Auswandervereinen zusammenzuschliessen. Im Dorf kommt es zu einer Gründungsversammlung.
Kurz darauf gründet der reiche Ulrich einen zweiten Auswandererverein. Es kommt zu Konflikten.
Wie viel Weite braucht der Mensch?
Weit- und Dreispringerinnen schütteln die Köpfe, Kugelstösserinnen jammern, Speer-, Diskus-, und Hammerwerfer ärgern sich. Ein paar Zentimeter zu wenig weit. Enttäuschte Gesichter. Welten brechen zusammen.
In den Weiten der Prärie zogen die Indianer von Jagdgrund zu Jagdgrund. Bis die Bleichgesichter kamen mit Feuerwasser und Donnerbüchsen. Weg da! Wir brauchen das Land! Es hat noch immer genug Platz für eure Zelte.
Wie viel Weite braucht der Mensch? Ich brauche so viel Nähe, wie ich nur kriegen kann, meint G. und streichelt ihre rote Katze. Und so viel Weite, wie ich nur bekommen kann, brauche ich auch.
E. hat eine Reise gebucht. Wohlverdiente Ferien nach anstrengender Arbeit. Weites Meer. Weiter Strand. Weite Himmel. Frei sein. E. erlitt am 2. Tag in seinem Bungalow einen Herzinfarkt. Die Grundfläche von E.s Grab misst zwei Quadratmeter. Wie viel Weite braucht der Mensch?
In seinem Vaterland hatte man Mutter und Vater verfolgt, gefoltert, getötet. Sie hatten sich für Freiheit und eine eigene Meinung eingesetzt. Wollte T. sein Leben retten, musste er das Weite suchen. Er floh und lebt heute vorübergehend in einem Durchgangsheim in der Schweiz, das schon zweimal Ziel von Brandanschlägen geworden war. T. sagt zur Reporterin, er fürchte sich nicht. Die Schweiz sei schön. Dabei lächelt er nur mit dem Mund. In den Augen Angst.
Ich brauche alle Weite, die ich kriegen kann. Freiheit, Unabhängigkeit, Abenteuer sagt F., man lebt schliesslich nur einmal. Soll’s doch jeder so machen. Hab’ ich nichts dagegen. Und lärmt. Und braust davon. Und stinkt. Wie viel Weite braucht der Mensch?
S. hatte mehr gewollt vom Leben als sitzen und tippen und warten und lächeln und Kind und TV und CD und neue Frisuren. Der stündliche Cognac macht sie fröhlicher, als sie sich fühlt. Beschwingt füllt sie den Lottozettel aus. Das Horoskop auf drei Zeilen versichert ihr, alles sei gut. Seit sie diese Tabletten nimmt, kann sie wieder schlafen. Traumlos zwar und schwer. Aber immerhin. Wie viel Weite?
Ein Fenster haben, das man immer wieder aufstossen kann. Eine Tür, die man nicht abzuschliessen braucht. Ein weites Herz und einen weiten Geist. Und dreimal täglich einen Blick auf mich selbst werfen. Dann geht’s mir gut, schreibt M. und klebt einen Vogel auf das Briefpapier.
B. guckt gespannt zu. Der Zug verschwindet im Schuhschachteltunnel. Als er wiederauftaucht, jauchzt B., Ihre Backen sind rot. Sie ist Bahnhofsvorstand und Lokomotivführerin und Passagierin in einem. Sie reist mit dem Holzzug nach Merika. Wie viel Weite braucht der Mensch?
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Paul Steinmann, Juli 1992
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Das Sprichwort sagt
Man sucht oft etwas in der Weite
Und hat’s an seiner Seite.
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Der Autor Paul Steinmann und sein Stück: “Ich möchte in mir selbst das Weite suchen”
Von der Aargauer zur Luzerner Fassung
Das Stück “Das Weite suchen” hat Paul Steinmann im Auftrag des Lehrertheaters Möhlin AG geschrieben, dort wurde es 1990 uraufgeführt. Das Thema Auswanderung war ihm vorgegeben und hatte historischen Bezug zur Gegend des Fricktals, von wo um 1817 viele Menschen ausgewandert waren. In einer Dissertation über die Auswanderung im Kanton Aargau, erzählt der Autor, habe er nicht nur Aufschluss gefunden über den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergrund der damaligen Situation, sie habe ihm auch den ersten “dramatischen Knoten” geliefert. Aus dem Bericht, dass in einem kleinen Ort damals zwei Auswanderer-Vereine gegründet wurden, liess sich eine Geschichte machen. Natürlich sei bei dem Thema die soziale, menschliche Frage im Vordergrund gestanden, sie erhalte dem Stoff auch seine Aktualität. Fragen wie “Was ist die Weite?” – “Welche Gründe gibt es, fortzugehen?” – “Was macht ein Land zum Traumland?” stellen sich immer wieder neu.
Für die Spielleute hat Paul Steinmann, zusammen mit Regisseur Gian Gianotti, eine Luzerner Fassung des Stücks erarbeitet. Dabei sei es vor allem darum gegangen, das an die Region gebundene Stück geographisch zu neutralisieren. Neu geschrieben hat Steinmann auch den Anfang des Stücks, denn in Möhlin hatte man den Einstieg ins dortige Heimatmuseum verlegt, die Folge spielte man in einer Scheune. Den Unterschied zwischen einer Innenraum- und einer Freilichtaufführung zu erleben, sei für ihn jetzt besonders spannend, meinte der Autor. Eine Neuerung sind auch die <Monolog-Fensteo, diJ er aul Wunsch von Gianotti ins Stück eingebaut hat. “Monolog-Fenster”, die er auf Wunsch von Gianotti ins Stück eingebaut hat. “Es sind Reflexionen der einzelnen figuren über ihre individuellen Erfahrungen, Erinnerungen und Utopien. Sie geben dem Text zusätzliche Tiefe”, kommentiert Paul Steinmann diesen Teil der Bearbeitung.
Aus dem Interview von Eva Roelli für die LNN, Schaufenster
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Zur Musik: Fenster-Klänge
Die ‘Fenster’ – ein wichtiges Stilmittel dieses Theaters – bilden den Rahmen für das Umkippen von 13 handelnden Personen in eine subjektiv-intime Ebene ihrer Rolle. Als Grundlage für diese Dimension wählte ich das alte Guggisberglied, 13 Variationen darüber charakterisieren die jeweilige Sicht nach innen, komponiert für modernes Akkordeon.
Dass dafür dieser allseits bekannte Ohrwurm herhalten muss, hat nicht mit Nostalgie oder gar Sentimentalität am Hut. Bewunderung ja, einerseits für eine Melodie, die zwar nicht bodenständig-schollenverbunden daherkommt, vielmehr abstammt von den evangelischen Chorälen, die im 16. Jahrhundert in den bernischen Kirchgemeinden bekannt waren. Vorerst mündlich überliefert, wird das Guggisberglied erstmals 1741 erwähnt, ein ‘echtes’ Volkslied also, wenn auch mit fremdem Einfluss. ein Hauch von Internationalität, daher auch der Reiz, den die Melodie heute noch ausübt, vergleichbar mit gängigen Kirchenlieder-Hits, ein Berner Oberland-Plakat im Flughafen Terminal.
Bewunderung auch für den Text: In den 12 Strophen wird die Chronik einer Liebe und ihr Versiegen aus der Sicht der Frau ohne jedes Ressentiment nacherzählt. “S’ esch äbe ne Mönsch of Ärde” eröffnet auch das Theater, Weite wird exponiert, denn Liebe versetzt Berge: Das Vreneli in Guggisberg liebt den Simon “änet am Bärg”. “Ha di no nie vergässe, ha immer a di dänkt” beschliesst die Handlung des Stückes: Weite nurmehr im Kopf, als Sehnsucht. Von nostalgischem Schwärmen über eine vergangene Zeit ist zu spüren.
Das Lied suggeriert Sehnsucht und vermag, Distanzen zu überwinden, war doch sein Absingen bei den Berner Regimentern in Frankreich und im Piemont bei Todesstrafe verboten “damit unter den Soldaten nicht die Krankheit des Heimwehs veranlasst werde …”
Auswanderer aller Zeilen und Nationen bedienen sich der Volksmusik, um ihren Gefühlen des Exils Ausdruck zu geben. Dass es sich dabei um Heimweh nach der realen Heimat handelt, ist nicht anzunehmen, werden die Betroffenen doch grundsätzlich durch Not zur Migration veranlasst. Erinnert die Musik an die Utopie einer heilen Heimat?
Nestroy: HÄUPTLING ABENDWIND
Klibühni Chur, Präsident Markus Nigg
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Johann Nepomuk Nestroy: Häuptling Abendwind oder ein greuliches Festmahl. Eine indianische Faschingsburleske frei nach dem Französischen
Musik:Jacques Offenbach, in der Einrichtung für Klavier vonDaniel Fueter
Texteinrichtung, Bild und Regie:Gian Gianotti
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Premiere: 15. Juni 1986
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Inszenierung – Gian Gianotti
Kostüme – Regula Steven-Schmid Maske – Marianne Krättli, Lisa Neuenschwander Beleuchtung – Andreas Accardo, Marc Cathomen Bühnenbau – Felix Benesch Grafik – Albi Brun
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Besetzung:
Abendwind der Sanfte – Paul Schmed Atala, seine Tochter – Gabriella Todaro Biberhahn der Heftige – Philipp Lenz Arthur – Yves Raeber Ho-Gu, der Koch – Felix Benesch Papatuaner – Luis Coray, Rolf Schmid
am Klavier:Bruno Pirovino
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Das Stück spielt ganz woanders und in einer ganz anderen Zeit.
Jede Ähnlichkeit mit Graubünden ist rein zufällig und durchaus gewollt.
Uraufführung Silja Walter: DAS WALSERSCHIFF
FREILICHTSPIELE RHEINWALD SPLÜGEN, OK Präsident: Heinrich Stoffel
Ein Freilichtspiel. Oberdorf Splügen.
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Premiere: 6. Juli 1984 (Uraufführung)
Weitere Vorstellungen: 7., 8., 13., 14., 15., 20., 21. Juli, jeweils 20.30 Uhr
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In den Jahren des 2. Weltkrieges wurde im Rheinwald ein besonderer Kampf ausgefochten: gegen die Flutung des Tals.
Ein Kraftwerkkonsortium wollte hier in der Nähe von Sufers eine Staumauer hochziehen um Elektrizität zu erzeugen, für den Fortschritt – wie in Marmorera das Dorf wäre hier ein ganzes Tal geopfert worden. Am 11. März 1944 lehnte die Bündner Regierung auch noch den letzten Rekurs der Kraftwerkkonsortien ab.
In Erinnerung daran, gegen die Angst und für die Zukunft, entstand diese Theaterprojekt mit den Talbewohnern.
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Beteiligte Spieler und ihre Rollen:
Andrea Zogg – Christian Nina Trepp – Urschla
Christian Schmid – Kolonist Georg Trepp – Johann Cresta Franz Furger – Heinrich von Canza Johann Furger – Walter von Canza Hansjürg Jeuch – Peter von Riale
Knaben: Rico Meuli, Roland Furger, Christian Simmen, Urs Simmen
Seetier: Reto Attenhofer, Hannali Belz, Erich Camastral, Werner Dettli, Elsi Jegen, Sandra Merki, Erika Simmen, Patricia Strub, Sabina Wanner
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Regie und Ausstattung – Gian Gianotti Projektleitung – Andi Caviezel, Reto Attenhofer Dramaturgie – Erika Hössli, Kurt Wanner
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Bau Bühnenbild, Requisiten – Alfred Aebli, Peter Bentele Kostüme – Elsi Bentele Musik – Roland Winker Beleuchtung – Bruno Baptista, Willi Baumberger
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Presse, Werbung – Kurt Wanner
Grafik – Peter Schneider
Programmheft – Kurt Wanner, Erika Hössli, Gian Gianotti
Museum – Remo Allemann
Publikumsorganisation – Maria Trepp
DAS WALSERSCHIFF – EIN PROJEKT “RÄTISCHES THEATER”
Von Gian Gianotti
Dass die Rheinwalder Walser sich für Wohnraum, Arbeitsraum, Umwelt, Lebensraum ganz allgemein und für ihre Nachkommen einsetzen, erhält heute eine ganz besondere Aussagekraft. Gespräche und Erfahrungen zum Inhalt von “Das Walserschiff” von Silja Walter fruchteten eine Grundlage, die den Mitspielern ab und zu und z.T. auch dem Publikum eine Konfrontation mit ihrer eigenen Vergangenheit hier in Graubünden bietet. Der Entscheid in der Sache Stausee Hinterrhein gibt uns heute ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit, in dem sich eine Bevölkerung für ihre eigene Kultur und Lebensform entscheidet, für eine Kultur der Selbstversorgung, der Beziehung zur Landwirtschaft und der Genügsamkeit.
Was mich vor allem interessiert hat in diesem ganzen Projekt, ist die Geschichte, die Studie der vergangenen Kultur (Kultur im breitesten Sinn aufgefasst, also auch mit Roden, Säumen, Dorfwaschen usw.), eigentlich die Vergegenwärtigung der alten Lebensform, um mich jetzt in der neuen und neuesten Zeit zurechtzufinden. Ich denke dass der Mensch seine Geschichte braucht, und vor allem braucht er seine Kultur, um die Zukunft in Angriff zu nehmen. Auch muss der Mensch seinen eigenen Lebensraum darin einrichten können, diese örtliche und gefühlsmässige Geborgenheit, um die Schritte, die er im Leben wagt, auch irgendwie positiv für sich und seine Nachkommen umzusetzen. Ganz allgemein heisst das, dass der Mensch eine gewisse Verantwortung erfahren und erleben muss, dass er sich im geschichtlichen Kontext zurechtfinden muss, um überhaupt aktiv und positiv in einer Region, Zeit, Bekanntschaft und Natur leben zu können. Wenn mit dieser Arbeit hier im Rheinwald, auch nur zu einem kleinen Teil mitgeholfen wurde, einige positive Entscheidungen aus der Vergangenheit in Erinnerung zu rufen, dann hat sie bestimmt einen wichtigen Beitrag geleistet für die Unterstützung einer heutigen positiven Entscheidung für die Zukunft.
Wir befinden uns heute in einer Zeit der Neuorientierung und der Infragestellung. Jeder Tag verlangt von uns eine Position, eine Entscheidung: Ist es richtig? Kann ich es verantworten? unterstützt meine Entscheidung das Gemeinschaftsleben oder eine eigene kleine private’ politische Machtposition? Das sind wichtige, tägliche Fragen, die eine klare bewusste und verantwortungsvolle Antwort verlangen.
Unser Zeitalter baut sich Bunker zum Überleben, Amerikaner und Russen sind heute sogar daran, unsere Erde zu verlassen. Sie bauen sich “Systeme” im All, für die “Forschung”, für das “Leben”. Sind wir an einem Punkt in der Geschichte angelangt, an dem wieder nach einem neuen Noah gesucht wird, der die Menschheit (oder ein kleines Teilchen davon) ins Leben nach dem grossen Sterben hinüberretten kann? Dürfen wir unseren Lebensraum und unsere Beziehungen so einrichten, dass wir uns eine solche Überlebenschance einrichten müssen? Und hat das noch etwas mit überleben zu tun?
Nein, ich möchte mich für ein anderes Leben entscheiden, als für jenes in der “Arche”. Ich möchte einen positiven Beitrag zum Leben hier leisten, damit die grosse Sintflut nicht einkehren muss – und Sintflut ist hier gleichbedeutend wie Krieg, Passivität, Verpestung der Umwelt und Zerstörung von Lebensraum. Ich möchte gerne hier bleiben und leben können.
Jeder Mensch braucht seine Zeit, seine Umgebung und seine Kultur, ja er ist erst darin eingebettet überhaupt fassbar. Mit meiner Arbeit möchte ich Menschen und Geschichte fassbar machen, Geschehnisse und Wunschperspektiven in den Alltag bringen, mit Bewusstsein und Verantwortung. Ich möchte das Kennenlernen von Menschen und Kulturen unterstützen, damit wir eine Beziehung dazu haben. Mit der Hoffnung, dass wir eine Sache, zu der wir eine positive Beziehung haben, auch pflegen und nicht zerstören.
Aus diesem Grunde ist auch das Projekt für ein RÄTISCHES THEATER entstanden, eine Möglichkeit, in meinem Beruf, Leute in diesem begrenzten Raum des Kantons Graubünden zu erreichen – Splügen 84 ist ein Schritt in dieser Richtung.