Gian Gianotti: Spiel der Farben im Licht
Von seinem Haus in Dörflingen sieht Gian Gianotti nach Süden über weitoffenes Land bis hin zu den Alpen, darüber der unendliche Himmel. Es ist diese „Himmel-Land-Schaft“, wie er sie nennt, die ihn inspiriert. Dieses andauernde Schauspiel wechselnder Farben, Flecken und Bewegungen je nach Wetter, Sonnenstand, Tages- und Jahreszeit malt er auf meist grosse Leinwände.
Aufgewachsen im Bergell, der schroffen Bergwelt, dessen Tal im Winter im Schatten liegt, in welches erst die höher steigende Sonne der länger werdenden Tage wieder Licht bringt, dieses frappante Wechselspiel von Schatten und Licht prägt ebenfalls seine Malerei.
Was Gian Gianotti fasziniert, sind die Wirkungen des Lichts. Er gestaltet sie zu dynamischen Farbvisionen einer nur angedeuteten Landschaft oder Himmelspartie. Manchmal sind Elemente der Natur – Regen, Schnee, Wind, ein Gewitter, eine Felspartie, ein Landschaftsgefüge – zu erkennen. Oder es sind Blüten eingestreut in ein rhythmisch grünliches Pinselgestrichel.
Gegenständliches fehlt mit wenigen Ausnahmen. Es figurieren vielleicht ein Baum, der eigene Kopf von hinten oder einige Bergspitzen. Mit seiner Kopfkomposition von hinten assoziiert sich Gianotti zwar mit einem zentralen Genre der Malerei, dem Selbstporträt. Aber statt des Blickwechsels mit dem potenziellen Betrachter wählt er dessen Position und betrachtet den Farbklang des Hintergrunds des Bildes und verweist auf das, was ihn in der Malerei interessiert.
Kürzlich weilte Gianotti bei seinem Bruder auf dessen Alp im Bergell, der ihn um ein Bild der dortigen Berglandschaft bat. Doch vier, fünf Tage war alles im Nebel, bis stellenweise das Bergpanorama den Nebel durchbrach. Gianotti bewegte und beeindruckte die Bergschwere in der Nebelleichtigkeit. Das wollte er malen und kommentiert: „Vier Nebelbilder sind entstanden, darunter das Kompakte des Berges, darüber das Leichte des Nebels. Es entstand ein erstes Bild, ich liess es im Entstehungsprozess stehen. Ich malte auf neuer Leinwand eine zweites Nebelbild, dann ein Drittes, ein Viertes. Statt wie bisher weiterarbeiten nochmals anfangen.“ Dabei ist es Gianotti gelungen, mit dem Figürlichen der Bergspitzen ein Gegengewicht zur Abstraktion des angedeuteten Nebels und Himmels zu schaffen, statt das Gegenständliche durch weitere Übermalung zu implizieren.
Gianotti geht es hauptsächlich um eine abstrakte Gestaltung seiner Seherlebnisse. „Abstrakte Farbmalerei ist kein Geschmier, sondern die Suche nach einer Ordnung, nach Qualität, nach einer Kommunikation durch die Farbe“, so die Ansicht des Malers. „Es geht um die Suche nach einer Harmonie und zugleich nach Spannung – um Darstellung eines Kontrapunktes wie Hell und Dunkel.“ Dies gestaltet er als komplexes Farbgefüge, beim Betrachten leicht wirkend, aber aufgebaut aus mehreren Farbschichten, die sich durchschimmern. Gianotti ist ein Übermaler oder Schichtenmaler. Seine abstrakte Farbmalerei hat etwas Skulpturales. Er grundiert seine Leinwand. Darauf konzipiert er ein erstes Farbengefüge. Es folgen weitere Übermalungen, um einen bestimmten Farbklang herauszuarbeiten. Sei es in Gelbtönen, in Blauvariationen, in Grün, Grau, Weiss, Rötlich eher selten, eher noch in Blauschwarz.
Dabei entsteht durch die verschiedenen Schichten ein farbliches Schimmern. Dieses akzentuiert der Künstler mit rhythmischen Farbstrichen, starken Farbakzenten oder wolkenartigen Farbflächen. Erzeugt werden auf diese Weise eine Art abstrakte Landschaften oder Himmelansichten, aber auch eine gewitterschwere Stimmung, ein Regenfall, ein Schneegestöber, ein sommerliches Flimmern, Wind- und Sturmimpressionen. Was auffällt, die Pinselstriche gehen meist von oben rechts nach unten links, wie Regenschauer. Das bringt eine Dynamik in die Bilder. Es gibt auch in sich ruhende Farbklänge, vergleichbar einer Glut oder einem Verleuchten einer Abend- oder Morgenstimmung. Ein Vordergrund, respektive Hintergrund fehlt, wesentlich ist das Spiel der Farben in der Bildfläche.
Farbkontraste bewirken Spannung im Bild, ebenso tun dies in einen Farbklang eingefügte starke Akzente. Andeutungen wie ein Landschaftsgefüge, eine Felspartie, Regen oder Schneeflocken ermöglichen eine reale Positionierung. Sie können aber zu einer ungewollten Fixierung auf das Figürliche verleiten – und das möchte Gianotti vermeiden.
„Abstrakt malen öffnet einen Freiraum, ein Schweben im Raum, dann plötzlich braucht man einen Akzent, etwas Konkretes, das baut eine Spannung auf. Die Gefahr dabei, dass man ins Konkrete fällt“, kommentiert Gianotti. „Es ist schwierig, sich beim Malen vom Dinglichen, Sachlichen zu lösen.“ Lässt man sich auf das Figürliche ein, besteht die Gefahr der Einengung. Die Schönheit und die Kraft der Farben sollen zur Wirkung kommen, jedoch nicht programmatisch, wie bei den Zürcher Konkreten, auch nicht so kontrapunktisch wie bei den Divisionisten oder den Pointilisten, sondern als Ausdruck des Seherlebnisses. Eindrücklich gelungen ist die Balance von Dinglichkeit und Abstraktion im Schneegestöber-Bild „I NAIVA E NAIVA“, da fallen Schneeflocken aus schimmerndem dunklen gelblichgrauem Himmel auf helle bläulichgraue Schneefläche.
Dem Maler Gianotti geht es um frei gestaltete Farbräume, welche durch die Farbklänge von Hell und Dunkel und durch die Struktur des Farbauftrags eine Spannung aus Leichtigkeit und Schwere erzeugen. Ausgangspunkt ist eine gewisse Vorstellung eines Landschaftsgefüges, eines Wolkenhimmels in unterschiedlicher Beleuchtung und Wetterstimmung. Die Dörflinger Umwelt bietet dazu eine Fülle wechselnder Ansichten. Ebenso variantenreich gestaltet der Künstler seine Farbräume – düstere, lichtvolle, bedrohliche, stürmische, still leuchtende. Mit seinen Farbimpressionen deutet er Erlebtes an und weckt auch bei den Betrachtenden Erinnerungen an Erlebtes. Obwohl weitgehend abstrakt rühren Gianottis Bilder an konkret Erlebbares.
Ziel seiner Malerei ist das vielfältige Leuchten des Lichts. Das geht bis zum ersten Aufleuchten des Lichts auf dem noch dunklen Kosmos. Was ist Licht? Ein Farbklang in unendlich vielen Variationen. Bei Velasquez ist es der Widerschein auf Seidenstoffen. Bei Rothko sind es schimmernde Farbebenen. Bei Mondrian erzeugen geometrisch gesetzte Primärfarbflächen Lichtwirkungen. Bei Turner sind Stadtansichten und Landschaften in einen gesamtheitlichen Lichtklang getaucht. Bei Rembrandt leuchten die Figuren aus dem Dunkel hervor. Matisse sagte mal explizit: „Das Hauptziel meiner Arbeit ist die Klarheit des Lichts.“
Bei Gianotti geht es um die Wirkung des Lichts. Malend sucht er das Geheimnis des Lichts in seinen unendlich vielen Variationen zu ergründen und zu manifestieren. Scheint die volle Sonne, leuchtet alles auf. Ist der Himmel bedeckt, zeigt sich dieselbe Landschaft ganz anders. Im Lauf des Tages und der Jahreszeiten, dem Wechsel des Wetters erscheint Dasselbe immer wieder anders. Dieses Wechseln ist der Bildgegenstand für Gianotti. Das ist es, wofür er immer wieder eine neue Leinwand aufspannt und seine Farben richtet. Verwandtschaftliches seiner leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Farben im Spiel des Lichts empfindet er in der Malerei von Gerhard Richter, den Bergellern Augusto Giacometti und Giovanni Giacometti wie auch bei Claude Monet.
Wichtig ist Gianotti die Gesetzlichkeit des Goldenen Schnittes. Dieser bestimmt seine Bildmasse. Denn damit die Farbkompositionen zur gewünschten Wirkung kommen, muss das Verhältnis von Höhe und Breite der Leinwand oder der Malplatte stimmen. Gianotti malt hauptsächlich mit Ölfarben. Sie trocknet langsamer und gibt Bedenkzeit fürs Weitermalen. Allerdings möchte er manchmal schneller weitermachen, was mit Acryl leichter möglich ist.
Gianotti malt seine Bilder des Lichts im fensterlosen Untergeschoss seines Hauses, nicht wie die Impressionisten im Freien. Die Stimmung, die er auf der frischen Leinwand hervorbringen will, hat er als Seherlebnis im Kopf oder als Skizze oder Fotografie dokumentiert. Er erinnert sich vielleicht an ein Wetterleuchten, das er von seinem Haus aus beobachten konnte, an einen Regenschauer, der über das Land hinweg zog und die Wiesen aufdampfen liess, an einen Schneesturm in seiner Kindheit, an das Aufleuchten einer Bergflanke. Es sind Impressionen, die Gianotti aus der Erinnerung auf der Leinwand als bewegten Farbklang sichtbar macht. Seine Bilder kennzeichnet er meist nur mit einem Zahlenkodex ihrer Entstehung. Selten tragen sie einen Titel, wie etwa eine Ortsbezeichnung, einen symbolischen Namen oder bezeichnen ein Naturereignis. Das Malen ist Erzählen mittels Farben und Pinselduktus. Ein Bild ist eine Momentaufnahme eines Seherlebnisses, eines Eindrucks oder einer persönlichen Befindlichkeit, die die zeitliche Dimension und Aktualität überlebt haben.
Der Mensch ist ein Wesen, das sich ausdrücken will und muss. Es gibt immer einen Kontext, welchem der Mensch ausgesetzt ist, wozu er wenn möglich Position bezieht und sich findet. Das bin ich, das mache ich, das wird mir angetan, das bedroht mich. Wir leben in einer sehr bewegten, bedrohlichen, von Kriegen bestimmten Zeit, in der viele Menschen unendlichem Leid unterworfen sind. In unserem Land haben wir das Privileg grosser Sicherheit. Doch auch bei uns ist die Fragilität des Lebens in den Vordergrund gerückt. Angesichts der gegenwärtigen Bedrohungen, könnte man fragen: Darf Gian Gianotti weiterhin seine Farbklangbilder malen? Ist ein Engagement für Kunst noch erlaubt oder Luxus? Die Antwort: Gerade in einer auf Zersetzung und Zerstörungsbereitschaft ausgerichteten Zeit ist Kunst, Musik, Literatur als Ausdruck von Widerstand, als freies Gestalten und Denken nicht nur notwendig, sondern unverzichtbar.
Dr. Tildy Hanhart, Kunsthistorikerin
Zürich, Oktober 2023
Gian. 75. Bilder und Theater
von Paul Steinmann
Als Theaterautor habe ich einige Male mit Gian zusammengearbeitet. Dabei habe ich immer wieder wahrgenommen, dass Regisseur Gianotti meinen Text grundsätzlich erst einmal ernst nimmt. Oft hat er in den Szenen und Geschichten, in den Dialogen und Figuren meines Textes Ebenen und Gedanken gefunden, die mir selbst beim Schreiben gar nicht so aufgefallen waren. Gian hat mich animiert, in gewisse Richtungen noch weiter zu gehen, weiter zu denken, weiter zu schreiben. Seine Assoziationen beim Lesen und Inszenieren meiner Texte – z.B. in religiöser, kultureller, emotionaler Richtung -, haben das Geschriebene aufgewertet und reicher gemacht.
Ich habe mit Gian ein Gespräch geführt, ihm ein paar Fragen gestellt und seine Antworten und Ausführungen über das Malen von Bildern und das Inszenieren von Theater notiert.
Wenn man Gian etwas fragt, erhält man immer eine Antwort.
Ein kluge,
eine mit Beispielen,
eine, in der seine Lebenserfahrungen mitschwingen.
Gian kann herrlich plastisch erzählen.
Zu Beginn erzählt Gian die Geschichte vom verpassten Zug in Wien.
Der falsche Abgangs-Bahnhof!
Die Taxifahrt zum ‘richtigen’ Bahnhof und das rote Licht des sich entfernenden Zuges.
Knapp verpasst.
Als Zuhörer ist man mittendrin in der kleinen Katastrophe
und lacht mit ihm,
dem Erzähler,
und leidet mit und schüttelt den Kopf und vergisst,
dass man hier ist, um Anderes zu besprechen:
zum Beispiel über Bilder und Theater.
Gian wäre nicht Gian, wenn er aus jenem Erlebnis mit dem falschen Bahnhof nicht etwas Allgemeingültiges für das Leben herauslesen könnte.
Es war mühsam, wie es eben manchmal ist, aber auch witzig und irgendwie spannend.
Leben eben.
Natürlich,
sagt Gian,
merke er, dass er älter werde.
75.
Aber die Gesundheit sei noch da und die Kraft und die Lebenslust.
Es fehle an nichts.
Und wo er mit seiner Liebsten wohne, das sei ein Paradies.
Er brauche keine Reisen.
Die Reisen geschähen in ihm drin.
Beim Lesen.
Beim Malen.
Beim Denken.
Beim handwerklichen Tun.
Beim Steine schichten im Garten.
Dass man älter wird merkt man auch daran,
dass rundum Leute sterben.
Es kommen viele Todesanzeigen ins Haus.
Menschen, die sagen: jetzt ist gut. Machen wir Platz für andere.
Gian nippt am Tee und sagt:
er wolle einfach ernst genommen werden mit dem, was er mache.
Als Maler und als Theatermann.
Er möchte über seine Bilder und über das,
was auf der Bühne geschieht,
ernsthaft sprechen können.
Ohne sagen zu müssen: so und so ist es und nicht anders.
Divergenzen müssen sein.
Gian malt.
Er ist ganz in seinem Mal-Raum und malt.
Gian bleibt dran.
Er ist ganz drin.
Manchmal vergeht die Zeit schnell
und die Stunden
Kommen und gehen.
Er weiss nicht wie.
Manchmal vergehen die Minuten kaum.
Die Farbe will nicht auf das Bild.
Er weiss nicht warum.
Oft fliesst es, oft harzt es.
Gian weiss nicht, wieso.
Aber er weiss, dass das wichtig ist.
So und anders und so.
Gian inszeniert.
Er ist ganz im Stück drin und inszeniert.
Gian bleibt dran.
Er ist ganz drin.
Manchmal vergeht die Probe schnell
und die Stunden
fliegen.
Er weiss nicht wie.
Manchmal vergehen die Minuten kaum.
Und was er vorbereitet hat,
der Regisseur,
am Schreibtisch,
wird plötzlich öd und leer.
Oft fliesst es, oft harzt es.
Es gibt Gründe.
Gut, wenn man sie findet, benennt und klärt.
Nicht immer gelingt es zur Zufriedenheit aller.
Gian hat immer seine Geschichte mit dem Bild.
Und die behält er (meistens) für sich.
Sie ist im Bild drin – für ihn.
Und wer ihn gut kennt, kann vielleicht erahnen,
was das für eine Geschichte sein könnte.
Wer ihn nicht gut kennt,
den Maler Gian,
könnte eine eigene Geschichte finden.
Wer seine Bilder ernsthaft betrachtet
wird eine eigene Geschichte finden.
Was Gian schätzt:
allein vor dem Bild stehen und es gestalten.
Mit Pinsel und Farbe.
Das Bild entstehen lassen.
Die Hand locker.
Sie führt aus, sie tut.
So oft und so lange wie nötig.
Bis zu dem Punkt, wo die Qualität stimmt.
Wo es nichts weiter mehr braucht.
Es dann noch besser machen zu wollen, kann das Bild vermiesen.
Beim Malen ist der Absturz nah.
Plötzlich erkennt der Maler Gian: das war zuviel.
Unnötig.
Das Bild hat seine Qualität verloren oder gar nie erreicht.
Was aber nicht heisst, dass Gian das Gemalte wegwirft.
Er erkennt im guten Fall,
dass sich eine neue Spannung ergeben hat.
Auf die Unterschiedlichkeit angesprochen:
Theater ist Moment.
Ein Bild ist etwas, was den Moment überdauert.
Und für Gian ist beides gut und wichtig.
Gian liebt den doppelten Boden.
Er will, dass seine Gedanken,
seine Bilder,
seine Inszenierungen andere zum Denken,
zum Gedankenmalen und -inszenieren,
anregen.
Räume öffnen und zum Klingen bringen.
Und dann entsteht so,
aus einer künstlerischen Produktion,
eine neue Bedeutung,
ein anderes Angebot für jemanden,
der/die das anschaut, dem zuhört.
Ein gutes künstlerisches ‘Produkt’ hat Hintergedanken,
Untergefühle,
Übertöne.
Bietet Klangräume,
die man sich öffnen kann,
in die man hineinhorchen kann.
Gian sagt, er wolle nicht irgendwas machen.
Was Zufälliges? Nein.
Er will mit einer Idee eine Stimmung prägen.
Aber die/der Betrachtende muss dann diese Idee schon selber finden.
Oder angeregt werden, darüber nachzusinnen.
In seiner abstrakten Malerei möchte Gian
genügend Einstiegsmöglichkeiten bieten,
damit man sich als Betrachter/in damit beschäftigen kann
um eigene Visionen, Erlebnisse und Stimmungen zu finden.
Dann wird das Bild ihr/ihm wichtig.
Wenn die Betrachter/innen Freude haben,
berührt werden von einem Konflikt,
einer Lösung, einer Last oder einer Hoffnung,
dann ist das Bild, die Inszenierung für Gian gelungen.
«Dann bin ich glücklich.»
Nicht, weil er mit seiner Arbeit beweisen will,
dass er ‘recht’ hat,
sondern als Einladung eine Einsicht zu gewinnen,
einen Wert zu schätzen,
eine Stimmung als Qualität wahr zu nehmen.
Gian sagt:
«Ich will schon recht haben
und meist habe ich auch recht,
bis ich eingestehen muss
– nach langem Leiden –
ich habe doch nicht (ganz) recht.»
Das Ende dieses Prozesses,
diese Reibung an Gedanken und Intuitionen
ergibt dann aber doch ein Resultat.
Etwas, was man nicht vorausgesehen hat.
Eine Gegenfarbe, die gefehlt hat,
und nun bewirkt,
dass ein Bild wirklich zu überzeugen vermag.
Gian sagt,
er wolle sich als Maler nicht mit Sachen abgeben,
die man betiteln kann.
«Der Alte am Stammtisch» oder «Der Hund und die Katze».
Er will nicht einen Titel für etwas,
was man eh sieht.
Seine Bilder sind nicht Abbilder von Tatsächlichem.
Sie sind vielmehr eine ‘Dokumentation’ von etwas,
was ist,
was er aber selber oft selber gar nicht kennt und benennen kann.
Gian ‘dokumentiert’ also mit seinen Bildern
(auch auf der Bühne)
jene unbekannten Gedanken,
die die Betrachtenden haben (können).
Gian geht beim Malen
und beim Inszenieren
auf die Suche nach Aussagen.
Nach Konflikten.
Nach einer Idee, die er angehen, umsetzen will.
Nach einer Thematik, die er kommentieren oder für sich aufschlüsseln möchte.
Das könnte er auch mit einem
Begleit-Text oder einem Bilder-Titel begrifflich erklären,
aber das würde Betrachtende wohl zu sehr einengen.
Gian möchte einladen,
selber nachzudenken,
selber einen Text oder Titel zu fertigen,
selber zu assoziieren.
Dem Bild so ein ‘Daheim’ zu geben.
Eine Inszenierung
entsteht nicht (wie ein Bild) im stillen Kämmerlein,
sondern mit der Auswahl des Textes,
dem Gespräch mit der/m Autor/in,
den Proben mit den Spielenden,
den Anweisungen an die Technik,
der Auseinandersetzung mit Bühnenbild-, Musik- und Kostüm-Verantwortlichen.
Und im Bewusstsein,
dass es ein einzuhaltendes Budget gibt,
eine Erwartung des möglichen Publikums
und schliesslich auch die Erwartung an die Leistung des Regisseurs Gian Gianotti.
Im Theater ist der Mitmensch
und die ganze Infrastruktur gross:
der ganze Ablauf,
alle Erwartungen der mitmachenden Partner:innen,
der Vorgesetzten,
der ‘Untergebenen’,
der Schauspieler/innen,
die wieder Zuschauende haben,
die wiederum eigene Interessen verfolgen,
ihre Sicht vielleicht bestätigt haben möchten,
applaudieren wollen,
rechtzeitig nach Hause gehen wollen.
Eine Theaterprobe beginnt oft mit der Frage:
was ist gestern, vorgestern, letzte Woche passiert?
Und was könnte jetzt geschehen?
Könnte etwas aufbrechen?
Und wenn etwas aufbricht – wie geschieht das?
Kann er als Regisseur dieses Aufbrechen sogar lenken
– in eine gute Richtung?
Wie kann man die Energie des Aufbrechens für die Inszenierung nutzen?
Und dann gibt es Schauspieler/innen,
die sich einfach weigern,
den zu spielenden Text kennenzulernen.
Ihn nicht lernen,
nicht platzieren können (wollen)
– und haben tausend Ausreden,
um sich nicht mit dem Text beschäftigen zu müssen.
Mit seinem Hintergrund,
seinem Klangraum,
dem Echoraum hinter den Wörtern,
den Gedanken hinter der Sprache.
Theater:
Die Menschen einladen
und Solidarität zeigen,
auch im Konflikt.
Nicht blossstellen.
Aber manchmal muss man als Regisseur auch Nein sagen!
Jetzt nicht so!
Noch nicht so!
Und: nicht aufgeben!
Natürlich spielt das Theater
auch eine wesentliche Rolle
bei der Formulierung von Gedanken.
Aber im Umgang mit Menschen besteht die ‘Gefahr’,
dass der Gedanke verloren geht,
weil man oft in das ‘Mitmenschliche’ hineingerät.
Dann kann es geschehen,
dass man jemanden (z.B. ein Publikum) überzeugen will,
dass man recht haben will.
Und Rechthaberei ist
kein guter Ausgangspunkt für eine Behauptung.
Rechthaberei verbaut die Einladung,
selber nachzudenken.
Die Energie kommt aus der Energie, die man gibt.
Das ist beim Malen und auch in der Theaterarbeit so.
An einem schlechten Tag
hört Gian nach zwei Stunden auf mit Malen.
An einem guten kann er 10, 15 Stunden dranbleiben.
Und merkt nicht mehr,
dass der Mittag schon längst vorbei ist.
Man kann beim Malen im Alleingang
(man drückt selber auf die Tube)
etwas behaupten und warten,
bis man bestätigt wird oder sich hinterfragen kann.
Und ändern muss.
Oder bis man merkt,
spürt,
weiss,
so kann das Bild stehen bleiben.
Das ist bildende Kunst.
Gian sagt: «Und dafür bin ich selber und allein verantwortlich.»
Wenn es gut läuft beim Malen,
ist es gut.
Wenn es harzt,
dann harzt es eben.
Das Gute ist:
Maler Gianotti hat keinen Druck, keinen Termin, muss nichts abliefern.
Er kann die Zeit, die Zukunft selber gestalten.
Er muss niemandem etwas beweisen.
Nur sich selber möchte er noch ein paar Sachen beweisen.
Zum Beispiel die Lockerheit erlangen,
ein Wort oder einen Strich so zu platzieren,
dass man merkt: das stimmt.
«Das Wort, das Farbe bekennt»
wäre der Titel eines Texten,
den Gian Gianotti noch schreiben möchte.
Helmut Jaekel 6.2.2024
Lindenstrasse 10
8354 Dickbuch
zu Dickbuch im Jahre 2023, und früher
Lieber Gian,
getreu dem Gedanken folgend:
«Bedenke wohl die erste Zeile, dass deine Feder sich nicht übereile.»,
bedarf es, wie so oft, Goethscher Formulierungskunst, um den ersten Gedanken zu formulieren, einen Brief zu verfassen, der schon Jahre früher geschrieben, auf Papier gebracht und schlussendlich abgeschickt werden sollte.
Doch verweilte er im «Gedankenschloss» und erreichte den Adressaten nicht. Auch gilt die Ausrede nicht, dass er gar auf dem Weg verloren gegangen sei, wie vielleicht noch zu Goethes Zeiten, als der «reitende Bote» sich anschickte, die Depeschen, versiegelt und zu «treuen Händen» zu befördern und zu übergeben.
Nehmen wir mal an, das Pferd des Boten hätte gelahmt. Und als er sich, schon die Thur, Andelfinger Wälder und Höhenzüge hinter sich gelassen, den Blick frei auf den friedlich daliegenden Ort Diessenhofen, kurzerhand dazu entschloss, vor der Überquerung des Rheins, zur Stärkung von Seele und Geist, die vorzügliche Schweinskopfsülze im Wirtshaus «Zum goldenen Hirschen», nebst einiger Humpen Fassbier, einzunehmen.
So verpasste er die letzte Fähre über den Rhein, versank mit laut-starkem Gegrunze in tiefsten Erholungsschlaf und bemerkte nicht, wie ihm Brief und Posttasche abhandenkamen. Kein Wunder, dass das wichtige Schreiben nie sein angestrebtes Ziel in Dörflingen erreichte.
Eine schöne Geschichte, wenn auch erfunden und noch weniger brauchbar für eine gelungene Ausrede.
Und dennoch, um was sonst geht es uns, wenn nicht ums Erzählen, ums Phantasieren, ums Erfinden, wenn wir über das Theatermachen nach-denken, philosophieren; um zu unterhalten, mit den Mitteln des Theaters.
Schon so ein Brief ist «geschriebene Unterhaltung» (G. Balthasar), wenn er auch in diesen Zeiten bevorzugt per A-Post, e-mail oder sozialen Medien verschickt worden wäre. Ohne Pferd und Schweinskopfsülze.
Wenig romantisch.
Zum Kern des «Pudels». Der Zeitpunkt, unmittelbar nach unserer gemeinsam getanen Theaterarbeit, hätte ein Garten für Reflexion, Rückbesinnung, vieler Gespräche und Briefe sein können.
Jedoch: Erste Chance vertan.
Nun zehn Jahre später, mit erweitertem Blickfeld und mit der Distanz, verringert sich dennoch der Abstand und schafft zusätzlich grosse Nähe. Absurd? Mitnichten. Das Wissenspaket über uns türmte sich auf im Laufe der Zeit, die Genauigkeit beim Hingucken schärfte die Konturen, der «Blick hinter die Kulissen» verband Geschichte und Gegenwart.
Erklärend. Erhellend. Verstehend.
«Mephistos Geist» spukte noch in uns und die «Magie des Theaters» hatte uns für eine Weile verbunden, verband unsere Theaterleben.
Du, dem Theater Winterthur abhandengekommen, Direktor seit gut einem Jahrzehnt, ich Freivogel im Betrieb der Eitelkeiten. Wir, in Gedankenverbundenheit verknüpft, gemeinsam auf einer Suche, vielleicht nach Verlorengegangenem, Liegengebliebenen. Wir kannten uns erst kurz.
Beim Blättern in zurückliegenden Jahreskreisen bestätigte sich der Verdacht, dass nicht nur die periodischen Zeitschienen sich überdeckelten, sondern auch die Substanzen, wenn es um das Füllen und Erfüllen unserer Hingabe für die theatralischen Musen ging.
Theaterbiografien folgen oft wiederkehrenden Schemen: Schultheater, Hospitanz, Assistenz, Ambitionen, eigene Wege, gelegte Spuren,
«…entscheiden fürs Lernen, wie man lernen konnte…» (G. Gianotti).
Das Lernen fürs Handwerk zum Spielen. Vonnöten. Klar. Das Erlernen des Abguckens und Nachmachens fordert «…beobachten, zuhören, erzählen, lernen lernen…» (G. Gianotti). Und wenn es sich dabei um Hebammen-Ikonen, wie Giorgio Strehler, Peter Palitzsch, Peter Zadek und andere handelt, umso besser. Unterschiedlicher konnten die Zukunftsstrategien nicht daherkommen.
Dein Süden war mein Norden, aber nur, weil Bayern nördlich von Graubünden oder Mailand liegt.
Wir trafen uns nie, obwohl wir im gleichen Kosmos unterwegs waren.
«Mach mal!» hiess es im Süden wie im Norden. Und wir machten.
Mal hier, mal da, grossformatig, kleinkünstlerisch, regional, grossstädtisch, kleinkrämerisch. Angekommen im Jahrmarkt der Eitelkeiten. Gelobt, gefeiert, verdammt, ignoriert.
Wir bemerkten Veränderungen zwischen dem, der macht und dem, der zuschaut. Die Muse biederte sich Retorten-Kunstfabriken an, sie ergab sich dem Spektakel, vollgespickt mit stilistischen Diebstählen alternativer Medien. Die Austauschbarkeit hatte Konjunktur. Effekthascherei erprobte ein Aufmerksamkeitsdefizit mit noch mehr «spectacolo» einzufangen.
Schauspieler suchten Antworten für ihr Tun, schauspielerten als Mittel zum Zweck.
Regisseure verloren die Aufmerksamkeit zur geistigen Auseinander-setzung. Inhalte, Texte, Autoren und deren Absichten versanken in der Kommunikationslosigkeit persönlicher Egoismen.
Die Intelligenz ging dem Theater verloren. Egozentrisches Vorzeigen zog in die Säle ein.
Ich stieg aus. Du etwas später.
«Ich wollte sie… (die Texte) vorzeigen, auslegen, darlegen, damit spielen.» (G. Gianotti). Das ging nun nicht mehr. So nicht mehr.
Du wurdest mit der Ablehnung zur geistigen Auseinandersetzung konfrontiert und mit dem Verlust der Deutung von Texten und deren Inhalten.
Und dennoch. Wir beide blieben dem Metier erhalten.
Zur Rettung der letzten verbliebenen, noch nicht verblühten Pflänzchen, durchpflügtes Du die internationalen Theatergärten und sätest Setzlinge in die Köpfe und Herzen der Winterthurer Theatergänger. «Theater im Dienste anderer.» (G. Gianotti). Zwar mit weniger eigener Impulskraft und Kreativität, aber mit viel Erfolg bei den Hinguckern, Zuhörern, Mitdenkern. Es hielt dich viele Jahre in Schwung.
Und auch diese Ära endete.
Wir trafen uns zum ersten Mal.
Ich wollte Solo sein auf der Bühne, in kleinem Rahmen, mit dem «Requisiteur», einen Bühnenalltag reflektierend, Theaterleben zeigen und suchte für die Realisation eine ordnende Hand. Ich fragte Dich.
Du misstrautest der Oberflächlichkeit und Plakativität des Vorliegenden, vielleicht auch dem fragwürdigen Erfolg desselben, sagtest aber nicht ab, sondern sinngemäss, «das können wir auch und besser». Nun gut.
Gemäss unserer beider Lebenssituationen «…der Beifall war enden-wollend…» (Torberg), verschwanden wir im Topf der Anekdoten, die die Theaterkantinen noch heute köcheln und ausspucken, um selbstironisch, aber auch selbstverliebt, vermeintliche Theaterinternas auszuplaudern. Anekdoten spiegeln die Verletzlichkeit des Betriebes wieder, durch die Jahrhunderte hindurch, vollgespickt mit Ironie, Häme, Intrige.
Kein Wunder, wenn auf diesem Weg die Darstellung von Klassikern, speziell dem «Faust», der Spott und Neid nacheilt, um persönliche Abrechnungen zu begleichen. Theater in seiner reinsten Form. Es menschelt. Auf und hinter der Bühne.
Folgerichtig stand auch Goethe und sein Faust, den wir beide sehr schätzen, auf dem Beipackzettel und musste mit eingenommen werden, gewissermassen als Kontrastprogramm zum platten «Kalauern».
Es ergab sich der erste Arbeitstitel «…der Beifall war endenwollend…» und die Idee, den «Faust» zu proben und dabei den Wandel, die rauschhaften Selbstüberschätzungen und verklärten Auswüchse literarischer Interpretationen in die tägliche Theaterarbeit einzupacken.
Und so blickten wir mit Goethe in den Sternenhimmel, kletterten auf den Brocken und beantworteten mit den Worten eines Kollegen die Frage: Was er denn am Burgtheater gelernt hätte mit: «G`lernt hab ich nix, arrogant bin ich g`worden.»
Unser Vorgehen war luxuriös. Kein Zeitdruck. Keine institutionellen Vorgaben. Keine geistigen Beschränkungen. Freies Denken.
Jeder von uns recherchierte, formulierte in eigenen Fassungen, um dann im gemeinsamen Austausch die literarischen «Fetzen» zusammen zu- fügen. Aus filigraner Sprachakrobatik bedurfte es bis zur ersten sinn-gebenden, spielbaren Vorlage mindestens acht Fassungen, an- und ausgefüllt mit wortreichen, hintergründigen, beharrenden, verstehenden, nachgebenden Expertisen, die uns erst auf die verdächtige Spur brachten, dass «Mephisto» überall seine Finger im Spiel haben musste.
Im wahrsten Sinne des Wortes. Er zieht überall die Fäden, motiviert, intrigiert, täuscht, legt falsche Spuren, erpresst, steht für das «Böse» schlechthin, das Verwerfliche, Hinterhältige, Schlaue, Erotische, aber auch Poetische und Träumerische. Und immer geht es um Macht.
Es ist der Geist dahinter, der mephistophelische Impetus, der uns überheblich, übermenschlich, machtübergreifend werden lässt.
«Mephistos Geist» im literarischen Vorbild «Faust», im Probenbetrieb,
im täglichen Leben schlechthin, eine Symbiose von menschlichem Tun.
Welch theatralischer Einfall. Welches Geschenk für die Gedanken dahinter oder den «Subtext», wie es bei uns so schön heisst, welch wunderbare Ideenwelt für die praktische Theaterarbeit und den Prozess des Zeigens, Vorzeigens, Erkennens und Verstehens. Ein neuer Titel.
Auf in die Proben.
«Geschrieben steht: Im Anfang war das Wort!
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Es sollte stehen: Im Anfang war die Kraft!
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!»
(Faust 1)
«Mephisto`s Geist«, eine Theaterprobe zu «Faust» und die Erkenntnis, dass der Beifall irgendwann einmal endet.
Der Beginn unseres Tuns setzte sich fort. Nicht selbstverständlich.
Das Geschriebene nahm Gestalt an; Bühnengestalt. Das Ringen um Genauigkeit, Verständlichkeit, das Suchen nach Mitteln, Theatermitteln, das Ergänzen, das Verzichten, das Erkennen Peter Brookscher Einfachheit und dennoch Erlangung transportabler, komplexer Gedankenstränge, die Idee von intellektueller Anmassung und nachvollziehbarer Einfachheit, lustvoll, ernsthaft, mit Wehmut, mit Freude, es hielt an und füllte, erfüllte die Vormittage, Nachmittage und Abende.
Wir glaubten, etwas wiedergefunden zu haben, was uns verlorengegangen
war; der Ausgang und das Wesen unseres musischen Schaffens. Es erfüllte uns, schuf die Erkenntnis; es geht doch.
Ein Kuss von der Muse Theater.
«Bin die Verschwendung, bin die Poesie,
bin der Poet der sich vollendet,
wenn er sein eigenst Gut verschwendet.» (Faust 2)
Wir hielten uns daran. Das Ringen um Lösungen, gestritten, erstritten, das Hören, Zuhören, das Sehen, Hinsehen, Auslassen, Einlassen.
Der Respekt vor Vergangenem, der Respekt vor Heutigem. Der Respekt voreinander.
Der Beifall konnte enden, das Ergebnis eines theatralischen Prozesses nicht. Die Zeit war der Prozess, das Miteinander, das Erfülltsein im Probenalltag. Die Premiere musste kommen, sie kam, sie war nicht mehr das Wichtigste.
Und auch das gehört zur Wahrheit dazu, dass der Aufruf zu «schaudas-spiel« von den Resonanzböden nur verhallten zurückechote, aber da sich unsere Definition von Erfolg schon längstens vom …»schneller, höher, weiter…» verabschiedet hatte, beschrieb unsere Bilanz viel eher den Werdegang, das kreative Wachsen und Gedeihen, die persönlichen Humusböden, die gemeinsame Zeit, das Denken, Scheitern inbegriffen, das Wissen um den Prozess als Erfolg.
Ich sehe das so. Es hat mich versöhnt mit der Anfangsbegeisterung für ein Leben zwischen Beruf und Berufung. Es hat mich versöhnt mit dem Hader und Zweifel und dem Missverstanden werden und Herumstehen auf den Brettern, ohne zu begreifen, warum ich herumstehe.
Regisseur: «…der Tisch trennt sie ein wenig von uns. Der Tisch verfremdet sie…» Antwort Schauspieler: Bittschön,…sagens das doch dem Tisch.» (V.Huber)
Ich suchte und fand Substanz, Fantasie, Dialog, Streit, das Entdecken und das Entstehenlassen. Ich fand die Zwischentöne, gedanklichen Ebenen, Widersprüche, Höhenflüge, surfen zwischen den Welten.
Ich fand, es war eine erfüllte Zeit, eine dankbare Zeit, eine gute Zeit mit Dir.
Nach dem Premierensekt zieht das Theatervolk meist weiter, der Blick verliert sich, der Scheinwerfer leuchtet woanders. Bei uns nicht.
Nichts mit Ruhestand. «…Wenn selbst die Ruhe schon steht…» (Mephisto`s Geist). Was kommt dann? Allenfalls treten wir ab.
Wir trafen uns (erst) nicht.
Wir kannten uns erst kurz.
Wir trafen uns.
Wir treffen uns noch immer.
Es tut gut.
Und nochmal Theater:
(Engel schwebend in der höheren Atmosphäre)
«Gerettet ist das edle Glied
Der Geisterwelt vom Bösen.
Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen.
Und hat an ihm die Liebe gar
Von oben teilgenommen,
Begegnet ihm die selige Schar
Mit herzlichem Willkommen.»
(Faust 2)
Es dankt, umarmt und grüsst sehr herzlich
Helmut
«…der Geist der nicht verneint,
weil alles was entsteht,
ist wert, dass es fortan besteht.»
(frei nach Goethe)
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Das Inszenieren hat sich mehr und mehr nach Innen gekehrt, und wird zum ‘Nachdenken über’.
Das Spiel bleibt – als Spiel, als Freude, als Energie, als Neugierde … als Erinnerung von Möglichkeiten
… also könnte das dann gewesen sein.
Kurz: … nein … Das war’s,
Danke.
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In der >>> Rückschau erinnere ich mich auch an die Zukunft, was die Zukunft hätte sein können … jeweils und nach wie vor.
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Paris, Bouffes du Nord, 1974 Timon d’Athène, 1979 Les Yks
ZU GAST (?) bei PETER BROOK
… als ich im zweiten ’séjour’ nach einer Woche etwas vor der Zeit zur Probe ging, war das Haus bereits offen, in Erwartung der Gedanken, des Spiels, der Begegnungen. Der Bühnen-Saal noch leer, eine schöne Stille, Theaterluft, das Auge musste sich einfinden, also stehenbleiben, riechen, hören, die Sesselreihen, gestern sass ich dort drüben, der Sessel quitschte beim Herunterklappen, also heute hier, auf dieser Seite, dritte Reihe, eine angenehme Sicht auf die Spielfläche, der Sessel schwieg und nahm mich auf, ein guter Tag.
Die Schatten gaben den Raum frei, nach und nach, das Haus lebte im Hintergrund, Schritte, Stimmen, eine Tür wurde irgendwo geöffnet … zu früh?
Auf der Spielfläche ein Blechdeckel, daneben eine Handvoll Sand, neu ausgestreut, eher hellgraues Split, der eingerollte schäbige Perserteppich vom Vortag, Stoffballen als Sitzkissen, Gestänge. Weiter weg eine Schuhschachtel? eher eine kleine Holzkiste, eine Stahlseite hängt lose über den Rand. Die Sitzreihen, ein schwaches Gegenlicht, von weit oben.
Auf der anderen Seite sass ich gestern, leere Sitzreihen …? im noch dunklen Hintergrund sitzt doch jemand … sass er bereits da? War ich jetzt seine Vorstellung oder … der Gruss war ein Nicken, unmerklich, mehr gedacht als ausgeführt – hin und zurück, ein ‘Guten Tag!’ und ein ‘Ja, ein guter Tag!’ – ein freundliches, entspanntes Gesicht, ein Lächeln?
“Das Haus” im Hintergrund lebte auf. Warten … bereit sein, und Zeit haben … waren die zwei da drüben auch schon vorher da?
Das Thema am Ende des Vortags war ‘Die lange Ankunft’ oder eher ‘die Anreise’, oder eher ‘also kamen wir an’ – oder die Erinnerung daran, dass ‘wir kamen’, dokumentieren, vorschlagen, einem nächsten Publikum als ‘Ankommen’ und als ‘Jetzt Hier Sein’ anbieten …
War eine Ansage da? oder hatte ich die bereits verpasst? Hat einer …? Einige Personen, nach und nach werden alle acht sichtbar, trennen sich von der Rückwand, ein grosser unregelmässiger Kreis, ein Angebot, eine Idee eines Auftritts, wie von einer Neugierde gerufen, eine ebensolche suchend.
Oida?, bleibt stehen?, definiert den Ort als Die Mitte?, kreist sie langsam ein? Was macht er mit dem Fuss? Der Sand kratzt am Blech – ein Motor? Ein Laster als Fata Morgana? Ein Gewitter im Anmarsch? Die sieben Personen kommen einzeln dazu, und setzen sich auf den Boden, wie auf einer engeren Ladefläche, Einzelne Menschen, jeder in seiner Vorgeschichte. Auf einer ‘langen Reise’ herangerüttelt, verschwitzt, müde. Wache Müdigkeit macht sich breit. Mit der flachen Hand im Blech stoppt das Rad im Sand jäh ab: die allgemeine Ankunft, gab es ein Zeichen? Ein Hallo? Ein Aufbruch? Wer sind die da, haben die auf uns gewartet? wussten sie …? Wie aus dem Nichts, aufstehend: ‘Das heutige Publikum!’ Leben regt sich, Lockerheit kehrt ein, Begrüssung, ‘allô, bonne soirée, ah, oh! Ah, Oh, Welcome! UaUhà’ … Bereits eingespielte Vorproben für ‘Orgast’? Jedenfalls Organisation der Begegnung, Begrüssung für den Abend … technisches Personal kommt dazu, auch die letzten drei von der Rückwand, fast als Markierung des Spielpublikums … wer ist was, und was ist wer, Gruss, was passiert da …?
Die Saite über der Schachtel wird gespannt und zweimal gezupft, einmal geschlagen, der letzte Ton gespannt und als Ruf … auf dem Klangkörper gedehnt …
… der Teppich wird ausgerollt, Präsenz wird markiert, mehr Publikum wird dazu gebeten, ‘aaah Vorstellung?’ … ‘oui … nach Sonnen…Unter…Gang! an! … dann!’, Schuhe werden bereitgestellt, Tücher, Kissen – drei Stangen, ein Seil wird gespannt, ein kleines, rotes Tuch darüber gehängt, Sprechübungen, Klang- und Stimmfetzen, Bewegungen werden angedeutet, ein Tanzschritt geprobt, ein Rhythmus stimmhaft angedeutet. Ein Applaus wird gewagt, gelacht ‘ja kommt, kommt dazu!’, weitere Personen schleppen Stühle und Hocker heran, der Abend steht … die Begrüssung wird als Applausordnung vorgezogen, herausgefordert: ein Publikum, eine Truppe, ein neuer Ort, ein neues Spiel und es wird Abend. Die Sonne ist im Lagerfeuer untergegangen – der Tag dreht sich in die Geschichte …
… und die erzählt von der langen Reise, Wanderung auf der Suche nach dem Leben in einer neuen, alten Welt und nach dem Publikum dafür, das müde von der Tageshitze kommt und hier lebendig und neugierig wird, das ‘Schuh-Spiel vom langen Weg’ beginnt – und wir sind bereits mitten drin im minimalisierten, vollen ‘Leeren Raum’.
‘John Heilpern’ wird später im Safari-Theater darüber schreiben … Ted Hughes und andere über Orgast … Er übers Schweigen … viele über Fremde Nähe … und Sprachen … und Zeitfäden – Kulturen und Geheimnisse … Menschen … Geschichten … Wanderjahre und Begegnungen. Gespräche, Vorstellungen, Übungen und Ideen. Ein langes Leben lang.
Weiter, persönlicher, stichwortartig:
Bei ihm war es eine Helligkeit der Neugierde und der Ruhe im Raum.
Die eigentliche Kommunikation bei ihm war ein Nicken, eine Bestätigung oder ein Hinterfragen – es war eine Suche nach Inhalten und Lösungen die man sich vorgenommen, gewünscht hatte.
Auch und gerade im Halbdunkeln entstand Klarheit, im Gedanken.
Überzeugend und strikt war nie der Text, sondern der Gedanke vom Text – am überzeugendsten waren die Aussagen in fremden, unbekannten Sprachen. Natürlich gab es einen Text, aber ein Textbuch war nicht zu sehen, die Textgenauigkeit wich nach und nach dem Kommunikations-Anliegen – es ging um die Person, um die Aussage, um die Meinung, um die vereinbarte Idee dahinter und ‘da-hin’ – und sei es ’nur’ ein Gruss.
Die Aussagen, auch jene des Textes, wurden so angenommen wie sie kamen, immer aber mit der Achtung und Möglichkeit, dass sie vielleicht noch gar nicht ganz definiert und abgeschlossen waren – immer so offen, dass noch eine weitere Wendung dazu kommen könnte. War das eine einverleibte Folge der vielen, gelebten Mehrsprachigkeiten? der ‘vielseitigen Öffnungen’?
Schön waren die Tage, die wie aus dem Nichts entstanden – keine Organisation war spürbar, viel Achtsamkeit wurde gelebt.
7. Juli 2022, DIE ZEIT Nr. 28 – Feuilleton
Der Meister des Doppellichts
Zum Tod des großen Theaterregisseurs und Menschenforschers Peter Brook. Von Peter Kümmel
* 21. 3. 1925 † 2. 7. 2022
Das Theater, sagte Peter Brook einmal, eröffne allen Beteiligten die Möglichkeit, im selben Augenblick zwei völlig gegensätzliche Erfahrungen zu machen: zu glauben und nicht zu glauben. Der Schauspieler glaube absolut an die Figur, die er gerade spiele – und zugleich glaube er nicht im Mindesten an sie. Das gelte auch fürs Publikum: Es sei gebannt von den Geschehnissen auf der Bühne und wehre gleichzeitig die Ellbogen und die Grippeviren der Sitznachbarn ab.
Auf dem gleichzeitigen Glauben und Nichtglauben beruhe alles. Das Theater, dieses Institut der Doppelbelichtung, so Brook, liefere ein wahreres Bild vom Leben als das Leben selbst.
In der Unschärfe der Doppelbelichtung schwebte auch er selbst, der von lettischen Einwanderern abstammende gebürtige Londoner Peter Brook: einer der größten Theaterregisseure, ein Repräsentant jener Zeit, als die Bühne noch der maßgebliche Ort der menschlichen Selbstdarstellung war. Ein Unsterblicher dieser an ihrer Spurenlosigkeit verrückt werdenden Kunst.
Andererseits misstraute er den Kulten dieser Kunst. Er lehnte es ab, große Theater in seiner Heimat zu leiten und zum Star der britischen Bühnenkunst zu werden (wie es sein Zeitgenosse Peter Hall tat). Stattdessen gründete er, nachdem er im englischen Theatersystem bahnbrechende Inszenierungen geschaffen hatte (beispielsweise vom Marat/Sade und von der Ermittlung des Peter Weiss und von Shakespeares Maß für Maß und dem Sommernachtstraum), eine internationale Truppe, mit der er um die Welt zog und die in einem auf Tarkowski-artige Weise verwitterten Theatergebäude im Norden von Paris, dem Théâtre des Bouffes du Nord, ihr Hauptquartier hatte. Schon sehr früh, lange bevor es Marketing-Konvention wurde, besetzte Brook dieses Ensemble colour-blind, also ohne auf Herkunft und Hautfarbe der Darsteller zu achten. Er nannte seine Kunst colour-rich, sinngemäß: aus dem Reichtum der Ethnien schöpfend.
Er ging auf Reisen, weil er zu Hause nicht weiterkam. Die Entwicklung der Darstellungsformen sei ausgereizt, sagte er mir vor einigen Jahren in einem Gespräch am Rande eines deutschen Festivals, bei dem er gastierte, der Ruhrtriennale, und an »Inszenierungen« – er sprach das Wort mit Widerwillen aus – habe er das Interesse verloren: »Jede Popgruppe treibt die Darstellungsformen bis an die Grenzen, da gibt es keine Überraschungen mehr. Die letzte Überraschung auf dem Theater bereitet das handelnde menschliche Wesen.«
So wurde das Theater ihm zum Mittel, das Leben zu lernen. Das Wissen anderer Kulturen und versunkener Reiche nannte er einen Vorrat an potenzieller Hilfe für uns Heutige. Namentlich von den Afrikanern lernte er; dort existiere eine hoch entwickelte Architektur des menschlichen Zusammenlebens, von der die Europäer keine Ahnung hätten. Der Westen bewege sich kulturell abwärts, wir seien diejenigen, die der Hilfe bedürften. Wer auf andere zugehe mit dem Bewusstsein »Wir wissen mehr als ihr«, der wisse gar nichts. »Die richtige Botschaft lautet: ›Ihr wisst mehr als wir – helft uns!‹«
Sein berühmtestes Werk ist keine Inszenierung, sondern ein Buch, oder eigentlich: ein Buchtitel. Der leere Raum – so heißt Brooks Essay über die Essenz des Theaters, letzten Endes: über den nackten, fragenden Menschen, der sein Leben aufs Spiel setzt. Der Titel ist – ohne Schuld des Autors – zu Ideal, Chiffre und Klischee des Theaters unserer Zeit geworden, denn der kulissenlose, leere Raum ist die gängige Bühne heutzutage. So hatte Brook es aber nicht gemeint. Seine Bühnen wirkten wie Wüstenrastplätze, an denen Teppiche ausgebreitet worden sind. Keine Endpunkte, sondern Stationen. Voilà, das ist unser Lager, bespielbar für eine Nacht und zu betreten auf leisen Sohlen.
Das Beduinentheater Peter Brooks ist sich des Sandes und des Windes bewusst, die über alles Menschenwerk hinweggehen. Es macht beide, Sand und Wind, zu Verbündeten. Es setzt keine Denkmäler, es legt Spuren. Und es kommt flink voran; es bewältigt auch die kompliziertesten Geschichten, ehe der nächste Sandsturm beginnt.
In seiner Inszenierung The Man Who (nach Oliver Sacks’ Buch Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte) wird das menschliche Gehirn zum Objekt der Raumforschung: Wie ein glühender Planet ist es in der letzten Minute des Abends auf einem Fernsehmonitor zu sehen. Alle Szenen, die davor gespielt wurden, sind ganz simpel und wagen das Höchste: Es sind Versuche, das Wunder dieses unglaublichen Organs zu verstehen.
Zuletzt sei eine Szene aus seinem Pariser Hamlet (2000) erwähnt: Hamlet (Adrian Lester) führt vor dem Mörder seines Vaters ein Kriminaltheaterstück auf, Die Mausefalle, weil er den zuschauenden Täter, seinen Onkel, überführen will. Der Pariser Hamlet betrachtet die Vorführung aber nicht vom Rand aus, nein, er kriecht mit brennender Kerze auf die Bühne, mitten unter die Spieler: kein Ermittler in einem Mordfall, sondern ein Forscher, der einen viel größeren Mechanismus untersucht.
Im Grunde war Peter Brook selbst dieser Hamlet. Einer, der loszieht und – im Doppellicht der Bühne – verstehen will, wie alles geschah. Jetzt ist er in Paris gestorben. Er war 97 Jahre alt.
Mit bestem Dank an © Peter Kümmel, DIE ZEIT
Martin Derungs ist am 31. Mai 2023 in der Woche der Abdankung von Matthias Weilenmann gestorben.
Beide waren für mich prägende Musiker-Persönlichkeiten.
Mit Martin Derungs hatte ich über Jahre eine ernsthafte und freundliche Respekt- und Achtungsbeziehung. In seiner Kompetenz hat er mich immer wieder überzeugt: seine Musik war für mich eine grosse Bereicherung gerade in ihrer Reduktion. Nach mehreren Projekten als Komponist, als beteiligter Musiker oder als interessierter Beobachter trat er zuletzt noch in der Wiederaufnahme von TemPest als Cembalist auf. Für ein, dann nicht zustande gekommenes Projekt hätte er noch einige Lieder komponieren wollen, darunter eines für einen Kinder-Engel-Chor – bereits bei der Auftragsbesprechung fürchtete ich schon seine höchsten und reinsten, harmonisch-disharmonischen Halbtöne, mit denen er die Fähigkeiten und Energien der dann ausführenden Kinder und Jugendlichen als ‘voci bianche’ provoziert hätte – wir sahen darin eine enorme Herausforderung aber entschieden uns trotzdem dafür, um in einem Bündnertal etwas mehr Himmel zu wagen … Mit der möglichen Verzögerung der Realisierung des Projektes und zuletzt mit dessen Absage 2013 haben wir uns zunehmend auseinandergelebt – das empfand ich als eine ‘vorweggenommene’ Verabschiedung, der Tod kam nur noch als Bestätigung hinzu. Womöglich hätte ich leicht etwas mehr dagegen unternehmen können – schade um eine eventuelle aber verpasste Chance, wenn es dann die ‘doch noch gegeben’ hätte …
Eine erste vereinbarte Begegnung im Opernhaus Zürich um sich ‘kennenzulernen’ mit dem Gespräch nach einer Vorstellung von SALOME 1985 (?) mit Montserrat Caballé, rund um die Lösung mit der Doppelbesetzung für den Tanz, dann im Luzerner Stasdttheater bei einer Aufführung vom Grossen Welttheater 1988, wo er mich prominent mit Räto Tschupp in den ersten Definitionsgesprächen für Davos besuchte … seine spitze Bemerkung zu den ‘dichten elektronischen Klangmuster von Hanspeter Dommann’ “warum eine eingespielte Musik nehmen wenn ein Cello dasselbe besser erreicht hätte” bereitete seine vielen Fragestellungen vor, die dann über Jahre ihre Notwendigkeit für unsere gemeinsamen Projekte bewiesen …
Das erste Projekt war das Grösste gemeinsame: >>> BÜNDNER WIRREN 1989, in der Davoser Eishalle mit Räto Tschupp als Dirigent war für alle Hauptbeteiligten eine enorme Herausforderung: Die Qualität und der Einsatz aller über 500 Personen haben daraus ein wirklich dreisprachiges, kantonales Projekt mit mehreren Sparten gemacht …
Sehr eindrücklich in der Reduktion seine Komposition für Cello solo für das >>> KASSANDRA-Projekt 1995, Teil 1 ‘deutschsprachige Fassung’ mit angedachten Fortsetzungen in einer französischen (Teil 2 mit Saxophon) und einer italienischen Fassung (Teil 3 mit Handorgel), die sich zuletzt in einer dreisprachigen, europäischen Fassung mit allen drei Schauspielerinnen und Musiker/innen im Teil 4 für eine europäische Fassung hätten finden müssen …
Dann >>> Robert Walser ASCHENBRÖDEL 1997, … mit Matthias Weilenmann als musikalischer Leiter … und >>> Barbara Sutter als Aschenbrödel im grossen Solistenensemble mit Orchester, Sänger und Sängerinnen, Schauspieler und Violine solo …
Für >>> LA SVOUTA 2000, adaptierte er mehrere Lieder sowie Klang-Stimmungen und komponierte ein neues, für alle Beteiligten sehr herausforderndes …
Und wichtig seine Kompositionen für >>> EIN HORT, DAHIN ICH IMMER FLIEHEN MÖGE 2001, wiederum mit Matthias Weilenmann in Schaffhausen, Uster, Zürich und Winterthur sowie für >>> TemPest 2010, im Theater Winterthur und mit einer >>> Wiederaufnahme in neuer Besetzung 2013 im Karl der Grosse in Zürich …
Diese mehrfache Zusammenarbeit mit ihm war für mich eine gedankliche und formelle Entscheidung für die Definition und Erprobung der Formen des Musik-Theaters.
Die Begegnungen haben mich geprägt und ich möchte sie fürs Leben nicht missen.
Zum Thema ORPHEUS
Matthias Weilenmann ist am 11. April 2023 gestorben.
… Es war eine stille Freundschaft mit gegenseitiger Achtung und Respekt, die wir hatten. Jahrelang – Theaterfragen, zwischen Leben, Musik und Konzert.
Zuletzt war sie eine Begleitung in einem friedlicher werdendes Loslassen. Wir haben uns gegenseitig viel gegeben, und er war mir dankbar dafür, dass so viele Projekte und daraus weitere Schritte und Wege folgten – immer wieder ‘möglich gemacht werden konnten’ …
Zuletzt IL SOGNO DI ORFEO … als Gespräch, Erinnerung und Hoffnung auf eine weitere Öffnung und Möglichkeit auch noch im Sterben, ein Vorwand. Er brauchte und suchte, wünschte ihn, auch als fast keine ‘Kommunikation’ mehr möglich war. In den letzten Monaten, die zum Jahr wurden, sammelte ich literarische Texte, die wir dann besprachen, wiederholten und schätzten, neu kennen lernten, womit wir uns mindestens unseren Nächsten nochmals nähern und sie erreichen wollten. In der immer endgültig werdenden Unmöglichkeit einer, auch nur bruchstückhaften Realisierung einer theatermusikalischen Idee wurde daraus umsomehr eine vergangenheitsbejahende Haltung gegenüber dem Musikerlebnis seines Lebens – es sammelten sich Aussagen, Erinnerungen, Hoffnungen und Stimmungen, die ‘hinübergerettet werden können sollten’ … und so das eigentliche ORPHEUS Thema ausmachten.
Mir ging es um die Würde der Erinnerung – ihm ging es, denke ich, um den Klang einer Stimme, einer Kommunikation mit einem ihm bekannten Lebenswunsch.
Als er starb war er bereits weit weit weg, doch sein Zuhören war noch da.
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