Das Gespräch zum Projekt Donizetti und Don Pasquale an der Staatsoper Rousse.
Geführt am 11. und am 13. Oktober 2007
mit Iwan Iwanov
Guten Tag Herr Gianotti, Danke, dass wir das Gespräch von Sofia weiterführen können, diesmal in Rousse und im Rahmen Ihrer zweiten Inszenierung in Bulgarien, den Don Pasquale. Warum haben wir die Ehre, was hat Sie wieder zu uns geführt.
Damals hatte Nayden Todorov gerade die Intendanz hier in Rousse bekommen und er plante Änderungen in der Definition des hiesigen Musiktheaters überhaupt. Er hatte einige Vorstellungen gesehen, das Haus, das Personal und die Struktur kennen gelernt und kam voll Tatendrang aber auch Fragen zurück nach Sofia zu den Endproben. Es war nicht leicht für ihn, er musste sich tüchtig in die Nesseln setzen, um das auch nur anzugehen, was er erreichen wollte. Ich konnte meine Direktions- Erfahrungen in die Gespräche einfliessen lassen und er kombinierte sie mit seinen Erfahrungen in Bulgarien. Mit dem Abschluss der Italiana war auch für ihn der Wunsch klar, dass er mich möglichst bald nach Rousse einladen wollte. Der Erfolg dort und dann auch später mit den Gastspielen in der Schweiz war ja so einhellig …
Oh, da gab es doch unterschiedliche Meinungen …
Gab es das? Ich kann mich nicht daran erinnern! Seufzer gab es und langes Stöhnen, dass man fürs Theater so krampfen muss, und dass eine leichte Buffa so anstrengend zu machen sei. Es gab unterschiedliche Charaktere, die sich unterschiedlich sicher fühlten, Machtkämpfe provozierten und Seilschaften eingingen – das hatte aber wenig mit mir zu tun. Aber im Allgemeinen haben alle die Qualität gemerkt und geschätzt.
Ja?
Klar! Sogar Borislaw Ivanov der Intendant in Sofia – er hat dann auch die ersten Vorstellungen in der Schweiz begleitet – er hatte seine liebe Mühe mit uns, vor allem weil er Nayden in seinem Haus akzeptieren musste. Das hätte er gerne verhindert, aber am Schluss beim Auseinandergehen nach den ersten drei Vorstellungen in Winterthur sagte er zu mir in einem sehr bewusst vorbereiteten Statement auf deutsch (er hatte ja auch längere Zeit in der DDR gearbeitet) ” … ich habe viel Theater gesehen in meinem Leben und ich weiss was gutes Theater ist, und das ist sehr, sehr gutes” und er bedankte sich bei mir! Das hat mich fast aus den Socken gehauen, aber natürlich auch gefreut. Und das nach all den Schwierigkeiten, die er uns während der Proben gemacht hatte … Dann die Reaktion des Publikums, Sie haben ja gesehen: stehende Ovationen! Und man hatte mir gesagt, ich soll ja nicht zu viel erwarten, die Sofioter seien sehr anspruchsvoll und reserviert. Stehender Applaus! Wir haben das fast per Zufall sogar aufgenommen, wir liessen eine Aufnahme aus der letzten Reihe laufen und plötzlich sieht man nur noch Rücken. Die Meinungen sofort danach waren einhellig: “endlich wieder städtisches Theater in Sofia, grosses und einer europäischen Hauptstadt würdig”.
Und dabei war Bulgarien noch gar nicht in der EU …
Nein, aber der Countdown lief nicht nur auf dem Platz vor dem Parlament.
Und jetzt in Rousse, in Bulgarien in der EU … was ist anders?
Nicht viel, kaum etwas, Rousse ist aber nicht Sofia, und wir sind jetzt 18 Monate später. Es ist kaum etwas wirklich anders auch wenn Nayden sicher sehr viel im Haus verändert hat. Er hat Personalveränderungen vorgenommen, Sponsoren gewonnen, Investitionen getätigt aber es bleibt noch so viel zu tun … Was auffällt ist die Skepsis, dass man überhaupt etwas machen, verändern und vielleicht sogar erreichen kann. Man beobachtet viele Wartehaltungen, ob das jetzt nun wirklich die Wende ist oder die bessere Zukunft … Das ist wie vor einer normalen Premiere, eine gewisse Unsicherheit ist immer vorhanden. Bei der Politik hat eine solche Entwicklung andere Dimensionen und Konsequenzen als im Theater, es dauert auch etwas länger bis man Konkretes sieht.
Vertröstung?
Es ist schon fast wunderbar wie Sie Ihren rotzigen Stil beibehalten haben, sind Sie wirklich so skeptisch?
Sind Sie es nicht, Europa gegenüber?
Doch, und das hat natürlich Parallelen … ein Schritt nach dem anderen … aber sich nur auf die Seite stellen und abwarten, ob etwas wird daraus, ist auch nicht richtig. Auch nur abwarten ob sich ein Beitritt vielleicht “lohnt”, wie es bis jetzt die Mehrheiten in der schweizerischen Politik getan haben, ist nicht besser. Das sind so diese latenten Nörgler und ständige Besserwisser, die eigentlich immer nur warten: auf den Erfolg, um sagen zu können sie seien ja nie dagegen gewesen, auf den Misserfolg, um sagen zu können, dass sie doch nie daran geglaubt hatten. Sie sind die ersten, die im positiven Fall profitieren wollen aber einen Einsatz wollen sie nicht leisten, und sie ziehen Profit auch aus dem schlechtesten Fall. Die Haltungslosigkeit wird hier prämiiert. So kann weder eine Produktion noch eine Zukunft gestaltet werden. Sich aussen bei zu halten und dann bei Erfolg mitfeiern wollen, das ist nicht legitim. Es ist leider sehr menschlich, fair ist es aber nicht.
Ist das der Charakter der Leute hier?
Nein, ganz absolut nicht. Es gibt Leute hier wie dort, die eine ganz andere Haltung haben, sich fragen was sie wollen und dann auch danach handeln und danach streben. Oder sich im Gang der Dinge überzeugen lassen und mitziehen. Das gelobte Land abwarten, und den Karren in der Wüste nicht anschieben ist zu billig. Dieser Charakter ist hier wie in der Schweiz verbreitet, dass er aber ein Charakterzug der Bulgaren oder der Schweizer sein sollte … nein da würde man grob verallgemeinern. Nayden ist zum Beispiel auch Bulgare, ich bin Schweizer und ich kenne andere da und dort. Hier in Rousse habe ich Techniker, Choristen und Leute in der Verwaltung, die Solisten sowieso, die sich sehr, sehr positiv in dieses Projekt eingebracht haben, so wird es auch auf der anderen Ebene sein.
Kunststück, Sie haben ja auch die Ausstattung gemacht neben der Regie, Sie können die Produktion in die Schweiz einladen, so konnten Sie Druck ausüben.
Gar kein Druck, nur tat manchmal eine Einladung gut, doch auch anders zu versuchen als sie es sonst immer machten. Mal abwarten und eine volle leere Bühne erleben … Wenn man seit jeher nur Theater in schweren Kulissen gesehen hat, dann erwartet man keine Leichtigkeit des Spiels als die tragende Optik. Die Tapeziererin zum Beispiel eine wunderbare ältere Frau, die kaum über die Grenzen von Rousse wird hinausgekommen sein: wunderbar seriös und zuverlässig, bereit und offen! Die Maler und die Mitarbeiterin der Requisite beispielhaft auch für unsere Häuser. Es lag eine enorme Tatenlosigkeit im Raum als ich zur ersten Ausstattungssitzung in den Malersaal kam, aber als dann endlich der Teppich aus Plovdiv kam, da gingen sie an die Arbeit wie die Ameisen, schnitten zu, säumten ab, klebten die Schaummatten ein, nähten ihn zusammen, rasterten den Teppich mit Schnüren ein, übernahmen meine Zeichnungen und zum nächsten Termin war der Teppich trocken und einsatzbereit auf der Bühne ausgelegt. Da mussten nur noch die neuen Zugstangen gemalt werden. Das gleiche konnte ich mit der Realisierung der Kostüme erleben, und dann auch mit der Einrichtung der Bühne, der Beleuchtung. Bei konkreten Arbeiten konnten sich viele am Konkreten festhalten und über den Rest schmunzeln, aber bei den Spielformen, die eher visionär sind in einem Anfangsstadium, da war schon eine gewisse Irritation vorhanden. Mit dieser Doppelfunktion konnte ich die Möglichkeiten besser nutzen ohne als Erstes, Fremdes aufzupfropfen. Sähe man diese Arbeitsweise und -kultur nicht von Innen, würde man sehr wahrscheinlich eher aus der eigenen Erfahrung heraus bestimmen und die Leute dadurch demotivieren. Ich denke, dass erst ein solches Arbeiten, Energien und Perspektiven auslösen kann.
War das Ihre Aufgabe?
Das ist immer meine Aufgabe, bei jedem Projekt: Animation, Motivation. Ohne läuft man auf, erlebt Bruchlandungen oder muss diktatorische Strapazen auf sich nehmen, Diktat verlangt auch ständige, frontale Kontrolle usw.. Wir haben uns gefragt, Nayden und ich, was wir hier und jetzt machen sollten und wir entschieden uns für das neue Theater aber in nachvollziehbaren Schritten. Mit der Regie habe ich dann das Tempo und die Schrittlänge angegeben.
Morgen Premiere, ist der Weg für Sie aufgegangen?
Ja, so oder so. Wie die Vorstellung angenommen wird beim Publikum, bei der Kritik und dann von den Skeptikern, es gibt sie nach wie vor, weiss ich natürlich nicht, aber die Arbeit stimmt in sich. Wenn jemand nur etwas Theaterfantasie hat und einige Theaterbilder lesen kann dann sollte das mehr als nur funktionieren. Die Theatersprache ist für Rousse vielleicht neu, so hat man es mir zumindest gesagt, für Bulgarien auch, für Sofia weiss ich nicht. Eine leere Bühne als Spielfläche … Ein Teppich im Licht als einzige Einrichtung ist zugegebenermassen nicht gerade plüschig. Dann die Figuren der Commedia dell’Arte mit ihren Kostümen und Farben und die Masken als Körperhaltung (ohne Gesichtsmasken wegen des Singens) und mit ihrem Spiel … das ist für mich Ausstattung genug und ich denke, dass das nun allmählich auch überzeugen könnte, ohne dass wieder die Frage auftauchen sollte, ob wir hier sehr haben sparen müssen. Das ist immer so mühsam, auch beleidigend.
Sie verlangen sehr viel vom Publikum, von den Beteiligten.
… ich habe noch nie darüber nachgedacht, aber vielleicht verlange ich wirklich viel, indem ich sehr wenig verlange. Es gibt viele, die mit dem Freiraum nichts anfangen können und ihn als Zeichen der Beliebigkeit deuten. Das wird aber hier alles anders sein, da muss das Spiel überzeugen können, eine solche Energie muss hinüberschwappen. Ich freue mich darauf. Das Publikum muss in der Spannung des Abends richtig zappelig werden, das Stück ist so gut, so gut gebaut, es hat so gute und richtig schöne, vielschichtige Musik darin, so quirlig mechanisch und dann wieder so abgrundtief traurig und ehrlich, das muss packen.
Wir lassen uns anstecken … und freuen uns darauf.
Danke.
Das Gespräch war zweiteilig geplant, vor und nach der Premiere in Rousse, Iwan Iwanov hatte vor dem ersten Gespräch noch keine Probe besucht.
So, wiederum guten Tag, wir führen das Gespräch von vorgestern fort … es ist einiges gegangen in diesen Stunden, darf man gratulieren? Sie haben die Leute wirklich aus den Sesseln gerissen. Etwas über 600 Personen haben die Premiere gesehen, ein volles Haus – war es eigentlich ausverkauft?
Nein, es gab noch einige Anstandsplätze, die leer blieben, vielleicht 5, jedenfalls keine 10. Man hätte diese selber aufkaufen müssen, aber daran denkt man immer erst später.
Die ersten Meinungen sind gemacht, das Publikum hat sich geäussert, es gibt bereits drei Chatmeinungen, wie schätzen Sie das ein?
Ein voller Erfolg. Sicher ungewöhnlich für viele im Publikum, aber die haben sich darauf eingelassen und den Abend genossen. Die Gratulationen aus dem Publikum fingen bereits vor der Pause an, so viele nickten mir zu und lächelten (in der Premiere sitze ich gerne im Publikum) und gaben immer wieder Szenenapplaus. So viele offene und fröhliche Gesichter. Und auf der Bühne waren sie voll begeistert von den Reaktionen des Publikums. Der Schlussapplaus wollte nicht aufhören, plötzlich fand ich mich alleine mit Nayden an der Hand an der Rampe vorne, und es applaudierte von überall her, vom Saal und auch hinter uns klatschten die Solisten und die Choristen, die waren hinten geblieben. Das habe ich noch nie so erlebt. Richtig schön. Danke.
Und dann die Premierenfeier …
Ja, die wollte ich unbedingt haben, im oberen Foyer, mit offenen Vorhängen und Fenstern, mit Apéro und Getränken, mit geöffneter Foyerterrasse. Das gab es seit 20 Jahren nicht mehr, hat man mir gesagt. Höchste Zeit also. Das war wirklich schön …
Sie sind ja richtig begeistert …
Ja klar, sind Sie es nicht? wären Sie es nicht?
Klar, ich bin froh, dabei gewesen zu sein. Die Leistung der Solisten, auch des Chores, des Orchesters, das Licht … wirklich sehr schön. Schön wie die Arbeit angekommen ist … sie ist neu, man hat das Neue genossen. Dazu finde ich diese Arbeit über das Schöne und Gute hinaus auch noch nötig. Sie war nötig in dieser Form – sie ist nötig im Opernbetrieb in Bulgarien, nicht nur in Rousse. Dafür verdienen Sie Dank.
“Blagodoria” dafür! … das ist eines der wenigen Wörter, die ich inzwischen gelernt habe. Freut mich. Und das ist genau die Würdigung, die im Chat geäussert wird: neue Form der Oper, des Musiktheaters, wichtig für Bulgarien … dieser Don Pasquale ist noch besser angekommen als damals die Italiana in Sofia. Jetzt kriecht bei mir die Müdigkeit hervor, aber ich bin glücklich hier zu sein, hier gewesen zu sein. Und die Beteiligten sind auch überglücklich. Mehr kann man sich gar nicht wünschen.
Ich möchte die Würdigung so stehen lassen und die Arbeit auch etwas kritischer anschauen, dürfen wir das? Mögen Sie das? … wo fangen wir an … Sie haben mit der Commedia dell’Arte gearbeitet, das hatten Sie gesagt, dazu mit sehr reduzierter Ausstattung, das leuchtet ein, Sie haben aber auch ins Stück eingegriffen, in die Szenenabfolge, wie auch schon in der Italiana … darüber möchte ich gerne reden.
Eine Inszenierung ist jedes Mal auch ein Eingriff in eine Vorlage, ein reines Nacherzählen eines Stückes ist nicht die Aufgabe des lebendigen Theaters, finde ich eigentlich gar nicht nötig. Dieser Don Pasquale sollte unsere Sicht auf dieses Stück zeigen und nicht ein x-beliebiger sein. Inszenieren heisst deuten. Dirigieren übrigens auch, und das hat Nayden sehr wohl in der Hand, er kommt immer mehr auf den Geschmack. Und die Beteiligten haben es auch gemerkt, dass Theater nicht etwas Objektives ist, sein kann. Künstler müssen nach Individualität schreien können, sonst werden sie beliebig – und das wäre das Schlimmste, das man der Kunst vorwerfen könnte.
Sie reden jetzt von Kunst … könnten wir davor noch von Ihren Eingriffen reden, Ihre oder Nayden Todorovs seine?
Ja, die gehören dazu, die sind unabdingbare Bestandteile der Inszenierungsarbeit – und mit Nayden sind sie natürlich besprochen und dann probiert worden bis sie zu unserem Ansatz wurden. Irritiert haben sie uns alle in der Arbeitsphase, da waren wir alle auch skeptisch … das gehört mit dazu. Wir wollten die Buffa realisieren und die Musik hat sehr gut mitgemacht, wir wurden von ihr regelrecht dahin getragen. Diese Oper könnte man ohne Pause spielen, ich finde aber eine Pause in einem Abend keine schlechte Einrichtung, das habe ich mit den Jahren in Winterthur gelernt. Mir warf man anfänglich sogar vor, ich lade nur Stücke ohne Pause ein, um den Umsatz im Restaurant zu vermiesen … mir war sie nie so wichtig, und ich musste einsehen, vielleicht mit dem Alter, dass man sich mit einem guten Unterbruch wieder besser in den Schluss hineinbegeben kann. Dabei müssen die Längen aber einen gewissen Rhythmus und Informationsstand respektieren und bedienen, und nicht nur nach 60 Minuten oder 90 oder 45 Minuten, weil es so sein muss. Es gibt Bögen, die auch zwei Stunden und mehr aushalten (denken wir an Wagner), aber danach muss ein zweiter Bogen bis zum dritten oder bis zum Schluss auch wieder zum Tragen kommen. Ein zweiter Teil von nur 15 Minuten nach einem ersten Bogen von zwei Stunden wäre schon sehr eigenwillig und müsste sich enorm gut begründen, eine Explosion an Kraft und Änderung zum Beispiel und dann fertig. Das habe ich noch nie gesehen, das müsste ich mal probieren, vielleicht gibt es das. Ich habe einmal ein Stück gesehen mit einer Pause nach 3 Minuten, das war ein Gag … aber ein Gag trägt nur bis zur nächsten Ernsthaftigkeit, und dann zeigt es sich, ob er begründet war.
Zu uns jetzt …
Ja. Entschuldigung … die Pause im Don Pasquale wird wenn schon dann nach dem zweiten Akt gemacht, so wurde sie jedenfalls nach den Regeln komponiert, mit der Stretta und so. Die 30 Minuten nach einem ersten Teil von 90 fand ich nicht sehr gut proportioniert, aber wann kann man früher eine derart dominante Unterbrechung wie eine Pause diktieren? Da bin ich auf die Idee gekommen, dass wir eine erste Explosion organisieren könnten vor der allgemein bekannten nach der Heirat, wo Norina zum Biest mutiert (aber auch hier weiss ich nicht was mehr Biest ist, sie im falschen Spiel oder sie im Spielcharakter, “mi piace scherzare”). Man erzähl im Leben immer wieder von den “schönen Dingen”, die einem so passiert sind, Jugend, erste Verliebung, Heirat … die Heirat ist dabei ein sehr beliebtes Thema, Fotos von vorne und von hinten, ganze Industriezweige haben sich daran gehängt, das Schöne und Wichtige nochmals erleben zu lassen. Und alle müssen immer wieder herhalten und gute Mine zeigen als sei der Witz noch nie erzählt worden. So ist die Idee entstanden, die Notarszene in die Schleife zu nehmen, sie ab absurdum zu führen und die Brillanz der Solisten (als Witz) ins Zentrum zu rücken – durch die Wiederholung zerfleddert sich die Szene aber das Spiel bleibt total kontrolliert, die Musik bleibt “extemporiert” (das Wort hier jetzt endlich einmal in der zeitlichen Dimension verwendet!) aber trotzdem exakt. Vielleicht nicht nach jedem musikalischen Gusto und so wiederholen wir nach der Pause nochmals die Szene von einem möglichen Anfang damit man in den Genuss der richtigen Musik kommen kann, ohne Witz. Die nächste Explosion kommt dann unmittelbar. Und dann geht es Schlag auf Schlag bis zur Serenata, zum Liebesduett und zum Schluss. Die Stretta am Schluss des zweiten Aktes dient somit der Beschleunigung für die Dienerszene und nicht für eine spannungssteigernde Hinausbeförderung des Publikums in die Pause, wie es die Tradition eventuell haben möchte. Und so fängt es nicht nach einer Pause mit einem Recitativo accompagnato an, um dann in die Dienerszene zu gelangen. Die Dynamik ist so besser verteilt finde ich, und ich denke, dass mir Donizetti Recht gibt. Jedenfalls gab es nach der ersten Dienerszene, nach dem “I damanti presto presto” einen schönen Szenenapplaus, eine richtige Überraschungsexplosion. Das hat mich gefreut, und uns in der Richtigkeit bestätigt.
Überhaupt die Tradition …
Ja die Tradition … genau, darüber gibt es natürlich auch zu reden. Auch Donizetti hatte mit der Tradition seine Erfahrungen und er wollte bei dieser Oper, die leider seine letzte bleiben sollte, mit den Gewohnheiten und Starallüren der “Künstler/innen”, Primadonnen und so, ganz schön brechen. Und mit jenen des Publikum gerade auch noch. Das hat sich bei ihm als Bumerang gezeigt und er musste Kompromisse und Bücklinge machen, die wir hier nicht machen mussten. Das Publikum wollte Vergangenheit sehen, er musste sie ihm geben, es wollte Kostüme und Perücken, dasselbe, es wollte Belcanto, und auch das musste er nochmals in der Form der Tradition geben. Ich bin überzeugt, Donizetti hätte seine schöne Freude daran, vielleicht ist das die eigentliche Uraufführung dieser Oper. Jetzt nehme ich das Maul etwas zu voll, aber ich habe einige Inszenierungen von mehreren Häusern und Regisseur/innen gesehen und vielleicht hat es jemand schon anders probiert … das Stück war in meinen Augen und Ohren aber noch nie wirklich interessant, nötig – die Spielvorlage, das Thema ja, die waren mir immer interessanter als die Realisierung, meistens waren die Vorstellungen langweilig und affektiert, im besten Fall war es gefühlskitschig. Da trafen uns Nayden und ich wieder ganz gut, er fand Donizetti ziemlich unspannend als Komponist und setzte dieses Stück in einer früheren Inszenierung hier in Rousse ab. Jetzt hat er seine schöne Freude daran, schauen Sie ihn an.
Was ist anders?
Anders ist, dass wir Donizetti ernst genommen haben, beim Wort, bei jeder Note ernst. Und dass wir die Gewohnheiten hinterfragt haben, ich würde gerne “sämtliche Gewohnheiten” sagen, aber sehr wahrscheinlich hat es noch all zu viele solche, noch gar nicht erahnte Fallen drin, ich fürchte und denke, dass man noch viel weiter gehen könnte. Wir hatten es als Grundwunsch so formuliert, dass wir diese Oper schlank nehmen wollen, keine gestützten Noten, getragenen und eingeschleiften Affektiertheiten, übermässigen Fermaten, ebenso die traditionellen Striche. Nein, alles das weg. Er hat es dann bei den musikalischen Vorbereitungsproben versucht und als ich kam war es sehr durchmischt. Wo es richtig war hörte man neue Musik und so musste ich die Messlatte nochmals höher setzen: alle weg, und nur dort wo der Kitsch gesucht und inszeniert werden konnte da sollten sie auch ganz breit zum Tragen kommen. Das wurde zum Prinzip erklärt und unsere Solisten haben sich da ereifert. Denen ist das nicht mehr auszutreiben: Donizetti pur, als wäre er Mozart. Wir sind glücklich, und schon auch stolz.
Neu für uns ist auch die leere Bühne, Sie kommen da ganz ohne Ausstattung aus. Macht man das in der Schweiz und in Deutschland immer wieder so? Mir gefällt es und dem Publikum hat es, wie es scheint, auch gefallen, aber vielleicht könnte es auch irritieren.
Ja “ohne Ausstattung” … wir haben eine Bühne voll Spiel, das ist doch die beste Ausstattung, finden Sie nicht? Oder warum reden wir von Ausstattung? Es geht doch um Theater, und um die dafür nötige Umgebung, nicht um Ausstattung und das darin mögliche Spiel.
Ja das leuchtet ein, was ist zuerst …
Ja, was ist im Dienste wovon. Als Ausstatter möchte ich kein Innendekorateur sein sondern ein befreiender Landschaftsgärtner … mal alles wegräumen und damit die freie Sicht auf das Stück und auf die Aussage zulassen. Das konnte vielleicht auch nur so radikal (ist es derart radikal?) sein, weil sich hier kein Ausstatter profilieren musste. Einem anderen hätte ich ja immer auch seinen Freiraum “einräumen” müssen. Das fiel hier weg, ich finde es fiel zugunsten des Spiels weg, der Klarheit … und natürlich ist es schön dass hier das Publikum so offen war.
Wird es in der Schweiz weniger offen sein?
Ich hoffe nicht … aber eine radikalere Ästhetik spaltet das Publikum immer, es gibt immer auch jene, die lieber Kulissen und Plüsch um sich haben. Reduzierte Kunst, kompakte minimal Art hat es nicht nur leicht. Für mich muss Kunst kompakt sein, stringent sonst erübrigt sie sich, Kunst kommt von kompakt.
Und leicht bleiben, das finde ich das Erstaunliche hier.
Ja, ja, eben, da bewundere ich meine Solisten hier, und auch die Choristen, was sie machen, wie sie es machen und mit welcher scheinbaren Leichtigkeit. Sie lassen sich auch tragen von dieser Vorlage, anstatt sich dagegen zu stemmen. Das gibt Kraft.
Wie haben Sie geprobt, bei der Italiana hatten Sie die Übersetzungskünste Ihrer Assistentin gelobt, hatten Sie hier wieder so eine gute Begleitung?
Nein leider nicht, das war schwierig dieses Mal, meine Kommunikationsqualität war hier jetzt sehr reduziert und arm. Wir mussten uns retten über Spontanübersetzungen, alle haben immer mitgequasselt, ein richtiges Geschwätz, jeder wollte es noch besser und noch schneller verstanden haben … einige können einige Brocken Deutsch, wieder andere einige Wörter Italienisch, und Englisch … ich mag Englisch nicht, ich kann die Sprache auch nicht, aber sie wurde nach und nach zum grössten gemeinsamen Nenner. Sehr arm alles, keine Feinheit, immer nur Schwarz-Weiss, bis man’s eingemittet hatte auf Grau hat es immer gedauert. Ich musste zur Darstellung greifen, was ich sonst immer vermeide beim Inszenieren. Ich will nicht dominieren mit meinen Bildern, ich versuche die Bilder der Schauspieler, in diesem Fall der Sänger/innen zu mobilisieren und nicht meine zur Nachahmung vorzuschlagen. Aus Zeitgründen habe ich dazu gegriffen, greifen müssen, wir hatten ja nur zwei Wochen Zeit für diese Inszenierung, und dann noch eine Woche Endproben auf der Bühne mit allem.
So kamen Sie zum Vormachen …
Ja und ich merkte, dass mich alle sehr schnell verstanden und den Situationswitz begriffen. Anfänglich sah ich dann Nachahmungen, danach mutierten diese wiederum zu Originalen, manchmal flachten sie ab, ich muss jetzt mit den nächsten Vorstellungen sehen wie sie sich entwickeln. Der Körper tendiert zur Bequemlichkeit, Theater ist und bleibt aber Ausstellung von Inhalten, da muss man aufpassen, dass sie nicht abflachen. Möglicherweise wären meine überdeutlichen Vorzeigebewegungen aber auch unerträglich wenn sie so eins zu eins auf die Bühne kämen. Es ist schon gut, dass sie übersetzt wurden. Mir hat die verbale Sprache gefehlt, dafür kann ich jetzt einige Brocken Bulgarisch.
Und das geht jetzt in die Schweiz, was erwarten Sie davon?
Wir haben diese Oper realisiert auch weil ich sie dort anbieten konnte, wir spielen sie in Schaffhausen zweimal und zweimal in Winterthur, in einer Woche und dann wird es vorbei sein. Vielleicht kann zu einem späteren Zeitpunkt eine zweite Reise organisiert werden, das wird vom Erfolg jetzt abhängen. Mal sehen.
Was ist für Sie neu an dieser Arbeit, was war neu?
Ich bin noch nie derart an die Grenzen der Machbarkeit gegangen, ich staune, dass sie alle noch so singen können bei dieser Beweglichkeit, die sie auf die Bühne bringen. In der Theorie hatte ich es immer gewollt, oder auch gewusst, aber in der Praxis ist man dann doch allzu oft duldsam und akzeptiert, dass sich gewisse Schwierigkeiten mit gewissen Tempi nicht vereinbaren lassen. Ich dachte schon immer, dass es von der Körperlichkeit einer Aussage abhängt ob etwas auch mit der Stimme gemacht werden kann, jetzt sehe ich, dass es auch in der Praxis so ist. Wir mussten die Akzente ganz genau definieren, damit der Rhythmus der Musik und auch der Sprache richtig aufgeht, aber dann waren sie so klar, dass sie anders gar nicht mehr möglich wären. Der Chor zum Beispiel, hat man schon eine solche Beweglichkeit gesehen beim Singen? Ich jedenfalls nicht und ich hätte es mir auch gar nicht denken können. Das war eine reine Folge meines Vormachens: ich machte natürlich pointiert, extrem auch in den Tempi vor, Angelina war dabei, sie ist Tänzerin, und sie sieht extrem schnell, dynamisch, und sie hat sich darauf kapriziert, das Gesehene auch umzusetzen. Sie hat mit ihnen trainiert auch in meiner Abwesenheit, und als ich dann wieder zurückkam nach einer Woche, da waren sie auf einer anderen Orbit, und es stimmte auch noch musikalisch. Ich weiss nicht wie sie das gemacht haben. Wir haben es zum Sport weitergetrieben, fast zum Jux. Hätten die Proben zwei Monate gedauert hätte man sich sehr wahrscheinlich aufgerieben, jetzt ist es gut so. Es gibt auch Unzulänglichkeiten, die ich in dieser Kürze so akzeptieren musste …
… der Umbau zum Schluss finde ich ein Stilbruch, Ernesto bewegt sich anders und ist geschminkt … als junger Mann gegen die Regel der Commedia dell’Arte so fast doch maskiert …
… ja Sachen, die man eigentlich schon noch genauer anschauen müsste. Der Umbau – vielleicht müssten die Lappen nicht auch von oben kommen, von unter hochgezogen finde ich gut im Prinzip, das liegt im Charakter des Teppichs, von oben aber ist etwas Neues. Vielleicht müsste man auf diese Bewegung verzichten, und die Choristen anders auftreten lassen zur Serenata, ich wollte diese Statik und die absolute Konzentration auf die Musik, eigentlich sollte diese Szene komplett schwarz sein, schwarz in schwarz und dann die grelle Überraschung beim Ertappen und beim Schlussbild. Insbesondere beim Liebesduett stelle ich mir den optimalen Gleichklang vor, mit den jeweiligen Dynamiken aber alles im Einklang an parallel geführten Energien. So wie Paolo und Francesca bei Dante in der Hölle herumfliegen, eng umschlungen oder frei, ich weiss es nicht mehr, jedenfalls optimal aufeinander eingestellt wie zwei total monogame Vögel, oder Menschen, die den anderen als Teil der eigenen Existenz verinnerlicht haben.
Aber so weit sind doch Norina und Ernesto nicht nach dieser kurzen Eskapade.
Nein sie zwei nicht aber die extrem Liebenden, die diese absolute Musik verkörpern, die stelle ich mir so vor. Norina und Ernesto die passen hier nun mal wirklich nicht zusammen, dieses romantisierende Standart-Bild der Harmonie und Glorifizierung der Zueinanderpassenden habe ich nicht gesucht, mich interessierte viel mehr was von Don Pasquale ist in Ernesto, wie weit ist der Apfel denn nun wirklich vom Stamm weggerollt. Wir haben dieses Bild dann bedient und Norina haben wir in die andere Spielform gehen lassen. Spiel und Spielfreude ist das Zentrale: “mi piace scherzare, ho core eccellente, ho testa bizzarra, son pronta vivace, mi piace scherzare, mi piace brillar …” das singt sie alles in der ersten Arie, aber wer hat das schon mal verstanden in der Oper? Und die Kraft, die daraus entstehen kann. Es gibt so viele “teste poco bizzarre” und Leute, die sich nie auf die Äste der Fantasie hinauswagen können. Schrecklich wenn diese dann damit konfrontiert werden, die müssen alle komplett verunsichert sein. Und wenn sie dann noch derart unklug wären, in ihre eigenen Erwartungen von Geborgenheit und Bekanntem und Sicherheit flüchten zu müssen … sie müssten sich regelrecht einkapseln, “einschnecken” in sich und müssten hysterisch draufgehen weil alles andere eine existentielle Gefahr bedeuten könnte. Man müsste sich womöglich in Frage stellen … und das kann doch nicht sein. Wo kämen wir denn da hin, wenn man sich nach einer Buffa-Vorstellung in Frage stellen müsste? Aber das alles ist gar kein Thema jetzt, das Publikum ist freudvoll darauf eingegangen, warum sollte es in der Schweiz nicht auch so sein. Es war ein wunderbarer Abend!
Ich wünsche Ihnen solche auch in der Schweiz. Und kommen Sie wieder?
Nayden hat mich gefragt was ich als Nächstes machen möchte, die Solisten fragen mich, Ani … wir werden sehen, Lust hätte ich schon, ob ich es mir zeitlich und energetisch leisten kann weiss ich jetzt noch nicht. Ich muss es noch mit meiner Frau und mit meinen engsten Arbeitskollegen besprechen …
Also auf Wiedersehen!
“Da, da”, mal sehen.