Martin Derungs ist am 31. Mai 2023 in der Woche der Abdankung von Matthias Weilenmann gestorben.
Beide waren für mich prägende Musiker-Persönlichkeiten.
Mit Martin Derungs hatte ich über Jahre eine ernsthafte und freundliche Respekt- und Achtungsbeziehung. In seiner Kompetenz hat er mich immer wieder überzeugt: seine Musik war für mich eine grosse Bereicherung gerade in ihrer Reduktion. Nach mehreren Projekten als Komponist, als beteiligter Musiker oder als interessierter Beobachter trat er zuletzt noch in der Wiederaufnahme von TemPest als Cembalist auf. Für ein, dann nicht zustande gekommenes Projekt hätte er noch einige Lieder komponieren wollen, darunter eines für einen Kinder-Engel-Chor – bereits bei der Auftragsbesprechung fürchtete ich schon seine höchsten und reinsten, harmonisch-disharmonischen Halbtöne, mit denen er die Fähigkeiten und Energien der dann ausführenden Kinder und Jugendlichen als ‘voci bianche’ provoziert hätte – wir sahen darin eine enorme Herausforderung aber entschieden uns trotzdem dafür, um in einem Bündnertal etwas mehr Himmel zu wagen … Mit der möglichen Verzögerung der Realisierung des Projektes und zuletzt mit dessen Absage 2013 haben wir uns zunehmend auseinandergelebt – das empfand ich als eine ‘vorweggenommene’ Verabschiedung, der Tod kam nur noch als Bestätigung hinzu. Womöglich hätte ich leicht etwas mehr dagegen unternehmen können – schade um eine eventuelle aber verpasste Chance, wenn es dann die ‘doch noch gegeben’ hätte …
Eine erste vereinbarte Begegnung im Opernhaus Zürich um sich ‘kennenzulernen’ mit dem Gespräch nach einer Vorstellung von SALOME 1985 (?) mit Montserrat Caballé, rund um die Lösung mit der Doppelbesetzung für den Tanz, dann im Luzerner Stasdttheater bei einer Aufführung vom Grossen Welttheater 1988, wo er mich prominent mit Räto Tschupp in den ersten Definitionsgesprächen für Davos besuchte … seine spitze Bemerkung zu den ‘dichten elektronischen Klangmuster von Hanspeter Dommann’ “warum eine eingespielte Musik nehmen wenn ein Cello dasselbe besser erreicht hätte” bereitete seine vielen Fragestellungen vor, die dann über Jahre ihre Notwendigkeit für unsere gemeinsamen Projekte bewiesen …
Das erste Projekt war das Grösste gemeinsame: >>> BÜNDNER WIRREN 1989, in der Davoser Eishalle mit Räto Tschupp als Dirigent war für alle Hauptbeteiligten eine enorme Herausforderung: Die Qualität und der Einsatz aller über 500 Personen haben daraus ein wirklich dreisprachiges, kantonales Projekt mit mehreren Sparten gemacht …
Sehr eindrücklich in der Reduktion seine Komposition für Cello solo für das >>> KASSANDRA-Projekt 1995, Teil 1 ‘deutschsprachige Fassung’ mit angedachten Fortsetzungen in einer französischen (Teil 2 mit Saxophon) und einer italienischen Fassung (Teil 3 mit Handorgel), die sich zuletzt in einer dreisprachigen, europäischen Fassung mit allen drei Schauspielerinnen und Musiker/innen im Teil 4 für eine europäische Fassung hätten finden müssen …
Dann >>> Robert Walser ASCHENBRÖDEL 1997, … mit Matthias Weilenmann als musikalischer Leiter … und >>> Barbara Sutter als Aschenbrödel im grossen Solistenensemble mit Orchester, Sänger und Sängerinnen, Schauspieler und Violine solo …
Für >>> LA SVOUTA 2000, adaptierte er mehrere Lieder sowie Klang-Stimmungen und komponierte ein neues, für alle Beteiligten sehr herausforderndes …
Und wichtig seine Kompositionen für >>> EIN HORT, DAHIN ICH IMMER FLIEHEN MÖGE 2001, wiederum mit Matthias Weilenmann in Schaffhausen, Uster, Zürich und Winterthur sowie für >>> TemPest 2010, im Theater Winterthur und mit einer >>> Wiederaufnahme in neuer Besetzung 2013 im Karl der Grosse in Zürich …
Diese mehrfache Zusammenarbeit mit ihm war für mich eine gedankliche und formelle Entscheidung für die Definition und Erprobung der Formen des Musik-Theaters.
Die Begegnungen haben mich geprägt und ich möchte sie fürs Leben nicht missen.