Das Gespräch zum Projekt Rossini “L’Italiana in Algeri” an der Staatsoper Sofia und die ersten Gastspiele in der Schweiz 2006
Von Iwan Iwanov
Herr Gianotti, hallo, willkommen in Sofia … und darf ich die erste Frage so stellen wie sie mir direkt auf der Zunge brennt? Warum sind Sie hier? Ist Sofia für Sie so attraktiv?
Bei Mustafà, da haben Sie viel Zeit wenn Sie so anfangen!
… oder Sie fassen sich kurz. Fangen Sie mal an.
Ja danke! … Also: Die Geschichte hat vor drei Jahren angefangen, da kam Léa Cohen Augsburger zu mir (Ardente, Agence culturelle La Chaux-de-Fonds/Sofia, und wie ich dann später erfuhr ehemalige bulgarische Botschafterin in der Schweiz, früher Direktorin der Bulgarischen Philharmonie …)
… könnten Sie es bitte kürzer machen?
Doch so viel muss sein: … und Kämpferin für Austauschprojekte zwischen Bulgarien und der Schweiz. Sie lud mich ein, die Staatsoper kennen zu lernen und evtl. ein Gastspiel nach Winterthur ins Auge zu fassen. Dann folgte mein erster Besuch hier in Sofia, eine sehr ernüchternde Erfahrung nicht nur was die Theaterqualität angeht. Ich fiel aus allen Wolken. Überall Vernachlässigung und rundherum lauter Menschen, die sich daran gewöhnt hatten. Nein, mit dieser Stadt wollte ich nichts zu tun haben. Aus Selbstschutz.
… und doch …
Ja ja, eben – Frau Cohen zeigte sich als hartnäckigere Kulturfrau als ich zuerst dachte und wie es sich noch immer zeigt als wahrer Hannibal-Elefant.
Noch mehr Tierwelt?
Ja … “Pinguin” könnte auch sein, bei 40-50 Grad Kälte, liebevoll, die Eier auf Händen (oder Füssen) tragend ausbrüten!
… hat das Symbolcharakter jetzt, dass Sie sich so daran festbeissen?
Ich lasse es ja gehen, und ein Bild soll ein Bild soll ein Bild sein, sehen Sie es nicht? Lassen Sie mich doch reden! Sie wollten das Gespräch, wollen Sie es nicht mehr? … also: nach ihrem dritten Besuch in Winterthur nahm ich dann die Herausforderung an und wir skizzierten das Koproduktions- und Austauschprojekt Schweiz-Bulgarien. Mit einer Zusatzsubventionierung des bulgarischen Kulturministeriums und der Schweizerischen Botschaft in Sofia sollte die Staatsoper ein Projekt grundsätzlich im eigenen Programm realisieren, über den Export zu Ende finanzieren und zusätzlich einen gewissen Gewinn fürs Haus erzielen. Und wir einigten uns auf dieses Projekt, aus mehreren Gründen, vielleicht sprechen wir auch darüber wenn Sie wollen. Wir skizzierten die erste Gastspielreise, und ich plante es grundsätzlich in meinem Winterthurer Programm für drei Vorstellungen ein und wir fanden einige weitere Abnehmer – jedenfalls genug fürs Erste.
Fehlte Ihnen ein Rossini im Programm?
Sind Sie immer so bissig? Nein, mir fehlte kein Rossini im Programm und ich wusste auch noch gar nicht für welche Spielzeit, das war noch vor mehr als zwei Jahren, und wir hatten ihn in den letzten drei Jahren jährlich im Programm: Barbiere, Cenerentola, Turco … die Stücke sind gut, der Komponist wichtig die Musik kommt bei unserem Publikum gut an – ich entschied mich für das Stück. Für den Italiener, für den Goldoni, für die “commedia dell’arte” – mit ihrer Schnelligkeit, Quirligkeit und Lebenslust – für die Komposition, für den Mozart da drin. Wir entschieden uns (mit Frau Cohen) für diese Buffa mit ihrer Leichtigkeit, um eine dort unterbediente Perspektive vorzuschlagen. Und für den Inhalt zwischen zwei Kulturen: ein “Austauschprojekt” wie man es besser nicht haben könnte – “auf der Suche nach der verlorenen Liebe” …
… ja kommen wir doch zum Inhalt, können Sie etwas dazu sagen, oder … wie sagt Ihr im Theater: “verraten”?
Oh, da muss und kann nichts verraten werden. Das Stück ist mehr als bekannt, im Theater. Man kann den Inhalt in jedem Lexikon nachlesen.
Ich kenne es nicht, fassen Sie es doch bitte kurz zusammen.
Also doch: Es fängt bei Mustafà an, der Bey von Algeri (der Grundinhalt des Stückes ist als Hintergrund sogar historisch gut belegt!). Der langweilt sich mit seinen Frauen, will seine Erste wegschicken und sich eine Italienerin anheuern lassen, zum eigenen Plaisir und als Vorzeigeobjekt. Haly, der Hauptmann der Korsaren wird damit beauftragt, binnen Wochenfrist eine zu finden. Er kann ein italienisches Schiff kapern, den Inhalt und die gefangenen Personen beim Bey abliefern (Isabella die Italienerin, Taddeo, der in sie verliebte, tollpatschig feige Begleiter und einige Matrosen als Sklaven). Die hübsche Italienerin kommt Haly und Mustafà wie gerufen. Sie ist auf der Suche nach Lindoro, ihrem Geliebten, der bereits vor drei Monaten verschollen war. Mustafà ist von Isabella derart fasziniert, dass sie ihn sofort um den Finger wickeln kann und ihm über jede Kontrolle hinauswächst. Als sie hier auch noch ihren Lindoro findet ist die Komödie komplett. Da muss nur noch ein raffinierter Abgangs-Plan her, der sie und andere retten könnte.
Welche andere? … Entwicklungshilfe?
Zum Beispiel Elvira die erste Frau des Bey, die wieder seine Zuneigung erhalten sollte, die italienischen Sklaven, denen dadurch die Flucht nach Italien gelingen könnte, und nicht zuletzt auch Isabella selbst vor Mustafà und vor Taddeo.
Eine doch ziemlich konstruierte Geschichte …
Eine Komödie! Da ist immer alles möglich und man kann da fast alles hineinpacken: Liebe, Sehnsucht, Traum, Kompensation, Reiseerlebnis, Exotik, Symbolwerte, Spekulation, Kriminalistik … und vor allem Liebe und allerhand süsse Bonbons, die bei der Opera Buffa ja perfekt platziert sind.
Opera Buffa, ist das ein Begriff des Theaters?
Ja, neben der Opera Seria gibt es die Buffa, die wie die Komödie neben der Tragödie steht. Die Buffa geht gleiche musikalische Wege wie die Oper, nur wird das Überraschungsmoment anders gesetzt, nicht psychologisch begründet.
Also retten sie sich und fertig flott …
Ja fast so. Nur das “wie” ist das Interessante dabei. Das ist es ja immer und überall, dass das Theater sich über die Form der Umsetzung zeigt, was aus einer Vorlage gemacht wird, und wie.
Ah, Sie machen eine andere Geschichte daraus, Regietheater also, streichen und setzen neuen Text ein …
Wir haben einige Striche gemacht, zur Beschleunigung der Rezitativen, um sie theatralischer gestalten zu können, schneller, flüssiger, kommunikativer. Die Sänger haben die Tendenz auch die Rezitative vom Charakter her zu singen, dem muss Gegensteuer gegeben werden, ich inszeniere schauspielerisch. Sonst haben wir eine einzige Textänderung vorgenommen, in der 5. Szene des 2. Aktes, im Rezitativ (“da questa parte” anstatt “in questa stanza”).
Das ist doch keine Änderung!
Genau, also haben wir sie auch wieder rückgängig gemacht, lassen die Aussage gegen das Bild reiben, und sind bei einer komplett treuen Rossini-Fassung.
Er hat sie aber doch nicht selber geschrieben, das Libretto war schon vorhanden.
Ja war vorhanden und wurde auch vorher bereits in Musik gesetzt von Luigi Mosca, Rossini hat dann für seine Komposition gewisse Korrekturen und Anpassungen vorgenommen, die seinem Librettisten Angelo Anelli recht grosse Mühe bereiteten. Das ist in Briefen dokumentiert.
Ist Ihre Inszenierung eine wissenschaftliche Arbeit am Text also?
Nein sicher nicht, doch lesen muss man schon so genau wie man es irgendwie kann … und plötzlich wird dann doch wieder Verborgenes entdeckt und andere Zusammenhänge schieben sich vor. Inszenieren heisst entdecken, für sich und für das Publikum, zugänglich machen, finden – neu finden, jedes Mal irgendwie auch das Rad neu erfinden.
Da sind wir in Bulgarien doch schon etwas weiter … ist das bei Ihnen Fortschritt?
Sie sind gut im Provozieren! … und ja, bei uns gibt es keinen fertig gelesenen und in der Deutung diktierten Text, das ist wenn schon eine unserer kulturellen Errungenschaften und Qualitäten (die sollten wir exportieren wenn schon etwas), wir versuchen in unserer Kultursensibilität so individuell verantwortlich vorzugehen, dass wir den Text und unseren persönlichen Zugang dazu hinterfragen, analysieren wenn Sie wollen, und ihn so vielleicht, und mit etwas Glück, auch wirklich verstehen – und möglicherweise sogar uns neu darin erfahren. Da kann bereits die minimalste Textveränderung (oder Übersetzungsverschiebung) die Aufmerksamkeit vom Wesentlichen ablenken und uns blind machen für das Naheliegendste, das vom Librettisten und vom Komponisten gewollt war.
Also doch eine gewisse Texttreue? Werktreue? so wie wir das kennen.
Nicht eine gewisse, eine totale! – eben wissenschaftlich wenn Sie das so hören wollen. Ob Sie das aber kennen kann ich nicht wissen.
… so wie sie geschrieben sind eben.
Dann doch eben ganz anders. So wie Sie das hier kennen können, aber ich nehme nicht an, dass Sie oft in die Oper gehen … so wie die Oper hier gemacht wird, gespielt wird, dann ist es doch ein recht grosser Unterschied. Ich möchte fast sagen, dass so wie sie hier gespielt wird, wurde sie bei uns in den 60-er Jahren gespielt und bekämpft, ab Blatt und an der Rampe, Spiel- und Standbein, mit Brust raus und Wohlklang (wo vorhanden) und vor allem laut. Und selbstbestätigend. Und verlogen … Warum staunen Sie? Können Sie etwa nichts anfangen damit?
Doch, aber das ist doch eben das Problem der Oper …
Nein, das ist Ihr Problem in der Rezeption der Oper, wenn Sie das sagen. Für mich ist das eine Haltung der Ehrlichkeit im Umgang mit Literatur und Kunst, mit Aussage und Technik, mit Form und Inhalt. Mit Vergangenheit, mit Konzeption, mit Vision und mit Zukunft. Mit Sensibilität wenn schon, oder mit Offenheit. Mit Verletzbarkeit. Mit Hoffnung, etwas für sich zu finden, und für das Publikum, das auch wieder etwas für sich zu finden hofft. Wenn wir die Schachtel Theater nicht aufmachen beim Theatermachen dann schliessen wir sie, dann machen wir sie zu, so einfach ist das. Und das dürfen wir nicht, das wollen wir nicht dürfen. Theater hat inhaltlich mit Wohlklang nichts zu tun, es kann sich dessen bedienen, muss es aber als Form erklären – Wohlklang als Wohlklang ist in unserer Zeit nur Kitsch und verlogen, und es ist Opium fürs Volk.
Jetzt werden Sie aber engagiert!
Weil ich mal ein Zitat verwende? … nein! weil ich Theater mache engagiere ich mich, genau wie ich mich von Léa Cohen engagieren liess, genau wie ich mich für die kulturelle Sensibilität und Menschlichkeit engagiere. Genau wie ich tag-täglich versuche, am anderen Gesprächs-Ton zu arbeiten im Umgang mit den Mitmenschen und mit der Kommunikation, im Umgang mit uns, mit mir, und mit den globalen Fragen: es ist pervers wenn wir lautschreierisch à la Bush die anderen anklagen und uns dabei herausnehmen. Diese politische Haltung muss überall auf der Welt bekämpft werden, bei uns nicht weniger als bei Ihnen, und auch in meiner innersten duckerischen Hemmung. Vielleicht vor allem dort, denn sonst könnte ich sie ja bei anderen womöglich übersehen.
… verbauen?
Ja verbauen. Wie beim Text, wenn wir denken, dass wir eine Aussage verstanden haben und dabei nur unsere Vorstellung davon in sie hinein übertragen haben.
… also psychologisch.
Ja klar. Zumindest. Und wenn wir Kunsthistoriker wären, wäre das auch eine notwendige Optik, oder Historiker, oder Juristen, oder Astronauten mit der Blickerfahrung auf unseren Globus, oder Kinder mit dem offenen Blick der Neugierde, oder bleiche Frauen mit Blutergüssen vom eingeschlossen sein und vom geschlagen werden, oder Theologen oder Sektenforscher, oder … ganz einfach nur offene Menschen, die noch vieles lernen möchten und vor allem nur sehen, dass sie überhaupt noch nichts sehen – und es sogar sich selber zugeben.
(Nach einer Pause) … Könnten wir wieder zum Stück zurückkommen? Inszenieren Sie es also mit einer gewissen eigenen menschlichen … “Sensibilität” oder Künstlichkeit so doch ziemlich der Geschichte nach.
Jein. Ich stelle mich auf den Standpunkt und habe es so erfahren, dass gute Stücke und Vorlagen alles bereits in sich bergen, und dass wir fähig sein sollten, unsere Optik daraus und damit zu formulieren. Mit einer gewissen optischen und musikalischen Qualität.
Bei einer Inszenierung oder Realisierung muss man aber doch auch einen gewissen und eigenen Zugang wählen …
Ja doch, klar. Wir erzählen die Geschichte so, und das ist eine Deutung, dass Isabella und Taddeo mit dem Schiff zum Beispiel nicht gefangen genommen werden von Haly, sondern, dass sie sogar zu weit in den Hafen hineinfahren, die Quaimauer durchbrechen und sich fangen lassen, die Güter (für Haly “die Beute”) bewusst als Geschenke mitbringen und sie auch bereitwillig-provokativ dort zurücklassen. Sie nehmen mehr mit zuletzt als sie je gebracht haben, neben dem heilen Leben und dem Liebhaber und den Sklaven nehmen sie Erfahrungen mit und Inhalte, die sie als Souvenir wieder gesellschaftlich vorzeigen und bei sich einsetzen können (“se mai torno ai miei paesi, anche questa è da contar” im Terzetto 14 im 2. Akt).
Also sind sie die Sieger auf der ganzen Linie?
Nein. Niemand ist Sieger, höchstens jene, die für sich einen Gewinn aus der Begegnung ziehen können. Ein Gewinn anderer Art, eine Hoffnung, eine Optik, ein Wunsch, ein Lebensimpuls. Nein unsere westliche Welt hat es sich ziemlich vermasselt, als Gewinner hervorgehen zu wollen – nur diese Einsicht könnte vielleicht wieder als Gewinn definiert werden. So haben wir den Italienern, den Westlern (wenn wir die so nennen wollen) ein ganz anderes als ein romantisches Schiff gegeben, wie es so oft oder bisher immer (?) in den Inszenierungen dieser Buffa gemacht wurde: bei uns kommen sie mit einem Riesendampfer und mit der absoluten Sicherheit des Erfolgs, wir nennen das Schiff “Titanica” … in einer gewissen Weise, und aus einem gewissen Abstand heraus betrachtet, ist das eine andere Opera Buffa, dass sie nicht wirklich sehr weit kommen mit ihrer Haltung. Aber das sagen wir nicht, das sehen wir, das kann sich unser Publikum kombinieren. Romantisches ist dabei überhaupt nichts. Die Komik dieser Oper ist eine feinere, so genau war Rossini – wir könnten sie heute als die ernsthafte Komik eines Buster Keaton nennen, oder eines Hundes oder einer Katze dem oder der wir irgend eine unnütze komische Schärpe umgebunden haben: sie gehen nach der ersten Gewöhnung vollkommen ernst und selbstverständlich mit der grössten Komik um, als wäre das das Natürlichste der Welt und sie würden ewig darin leben. Die Komik erzeugen erst wir Betrachter in unserer Fantasie. Ich hasse Komödien, die es sich lustig machen mit der Komik, sie sind so lächerlich. Und dumm. Ich suche die ernsthafte Komik und bin froh wieder einmal ein richtig leichtes, humoristisches, gültiges, hochmusikalisches, ja virtuoses Stück realisieren zu können. Dann inszeniere ich auch die Ouvertüre und rahme die Geschichte mit dem Traum von Mustafà ein, und inszeniere im CD-Tempo von Abbado, d.h. keine Verzögerung für irgendeinen technischen Umbau und wir sind in zwei Stunden null fünf plus Pause durch … das ist nicht gerade nur einfach dem Strang nachgegangen und ab Blatt inszeniert, wenn Sie verstehen was ich meine.
Das hört sich aber ziemlich begeistert an …
Ich bin auch begeistert von dieser Vorlage. Dem jungen, 21-jährigen Rossini ist hiermit ein Coup geglückt, das passiert nicht oft. Und in einer solchen Leichtigkeit. Wenn wir etwas davon erreichen dann bin ich der glücklichste Mensch, dann ist das die schönste Botschaft, die wir haben, für hier und für die Schweiz. Zum Lachen ist das nicht, zum sich Freuen aber sehr.
Sind Sie ein komischer Mensch? Entschuldigung, aber wenn man Sie sieht würde man es nicht sagen.
Ja, ich denke, ich bin ein sehr komisch veranlagter Mensch, und sehr zugänglich für richtigen, liebevollen Spass. Spass soll die Arbeit machen, leicht soll sie von der Hand gehen, Freude soll sie erzeugen und Liebe für den Moment. Man kann süchtig danach werden, und lachend, ja lächelnd mit den höchsten, technischen Schwierigkeiten umgehen, wie ein guter olympischer Spieler. Entschuldigung: Sportler.
En chantand …
Ja genau! Wie der chinesiche Drachenmaler in seinem hohen Alter.
Könnten wir zu den Menschen kommen, Ihre Kollegen oder Mitarbeiter/-innen, Sie machen doch hier eine solche Anstrengung, um die Frauen mitzumeinen …
Ja, das machen wir, manchmal ist es umständlich, aber wir respektieren dadurch vielleicht bewusster andere, spezifisch weibliche Bedürfnisse und Leistungen. Diese Erfahrung macht auch Mustafà, auch wieder komisch – wir sind noch nicht so weit weg nach 200 Jahren.
In einem anderen Gespräch sagten Sie mal, dass dieser Rossini der beste Mozart sei, könnten Sie uns diesen Gedanken, bevor Sie zu den Personen kommen, noch etwas genauer formulieren?
Einfach höchste Qualität. Bewusste Künstlichkeit, virtuos gesetzt. Mit einem langen Atem und mit viel Liebe und Geduld, so dass jeder Zuschauer und jede Zuschauerin (!) mitkommen kann. So offen, dass sich jede/-r darin widerspiegeln kann und die Personen im richtigen Sinn naiv lässt, damit das Publikum viel mehr entdecken kann als es erwartet. Das macht das gute Theater aus, dass man es immer wieder sehen möchte. Rossini kannte ja Mozart sehr wahrscheinlich wie kaum ein anderer damals und ohne ihm begegnet zu sein (er ist vier Monate nach seinem Tod geboren, eine also fast perfekte buddistische Reinkarnation), er hatte seine Werke studiert, insbesondere von “Le nozze di Figaro”, “Die Zauberflöte” (und auch von “Die Schöpfung”) schrieb er als 15-jähriger die Singstimmen ab, komponierte eine mögliche Begleitung dazu und verglich sie dann mit jener Mozarts (und Haydns). Wer hat eine solche Kompositionsschule schon durchgemacht aus eigenen Stücken und weil ihm das Geld und die Zeit für das weitere Studium fehlte? Man nannte ihn bereits als 12-jährigen den “tedeschino”, den kleinen Deutschen, und nicht weil er irgendwelche Brocken der deutschen Sprache kannte, und später kritisierte ihn selbst Angelo Anelli, der Librettist der “Italiana”, für diese “concertoni alla tedesca” wo “nel rumor stà la grand’arte” (wo im Lärm die grosse Kunst und Wirkung liegen soll). Und dann bemühte sich Anelli nach dem Erfolg auch mit klangmalerischen Wortschöpfungen. Das waren wichtige Eingriffe in das Libretto, die Rossini direkt oder womöglich als Gaetano Rossi vornahm. Das war Kauderwelsch! Die literarische Welt war damals von all diesen “patatim-patatum” noch weiter davon entfernt als wir es uns heute auch nur denken können. “Crà crà bumm” ist bei uns weit mehr als Comic-Sprache, und war es bei Rossini genialerweise auch schon, nur sah es noch keiner. Und so viele Noten … und dazu keine einzige zu viel.
Es gibt auch diese Geschichte der Freimaurer, die Mozart nach der Zauberflöte verschwinden liessen und er dann als Komponist aus einer Klosterzelle für Rossini schrieb.
Ja, diese Geschichte hat mehr Symbolwert, Messwert, Erwartungswert … als Realitätswert – sehr wahrscheinlich. Ich will nicht darüber deuten. Für mich zeigt sie nur das Genie da und dort, so und anders. Aus welcher Perspektive wir nach zweihundert Jahren zu Rossini hinauf oder hinüber schauen müssen. Faszinierend ist diese Freimaurergeschichte trotzdem, sie geht ja hier in der “Italiana” weiter, aber was soll’s … wie viele Engel haben Platz auf einer Nadelspitze? Zwei solche schon ganz sicher!
… Mitarbeiter, Erfahrungen hier, was nehmen Sie mit wenn Sie wieder fahren …
Ich will vier Personen nennen: Mit Léa Cohen sind wir bereits bei meinem ersten Besuch auch in die hiesige Philharmonie gegangen und haben dort einen jungen Dirigenten bei einer Probe kennen gelernt, natürlich kannte sie ihn bereits und seit langem: Nayden Todorov. So charmant und liebevoll wie er dirigierte, so genau er (auf Bulgarisch natürlich! ich verstehe jetzt noch kaum ein Wort aus dem schnellen Redefluss) die Musiker-Kolleg/-innen unterbrach und einleuchtende Änderungen bewirkte. Wie er bescheiden und mit einer körperlichen Kraft und gestischen Klarheit dastand und arbeitete, das hat mich fasziniert. Das Gespräch danach war dann sehr einfach. Ihn haben wir durch dick und dünn gegen jede Skepsis seitens der Opernleitung verteidigen können und er definiert und leitet jetzt das Projekt musikalisch. Sein Erfolg ist inzwischen unser Problem, er wurde zum Chefdirigenten der Philharmonie in Sofia und vor zwei Monaten als Intendant nach Russe gewählt und plagt sich jetzt mehr mit der dortigen Verwaltung ab als mit unserem Projekt – hier tankt er auf, sagt er. Nur für uns ist er zu viel abwesend.
Und wir sahen “König Hirsch” im hiesigen Nationaltheater, im Schauspielhaus. Wieder eine Entdeckung: Kein Wort verstanden und alles kapiert. Und ich hätte es auch begriffen wenn ich den Inhalt nicht gekannt hätte. So angeregt komme ich zu selten aus dem Theater. Bestes Schauspieltheater, in der Qualität und Poesie von Nekrosius und vom guten Lepage um nur mal Fremdsprachige zu nennen. Ausstattung Nikola Toromanov, unser Bühnen- und Kostümbildner, auch ihn kannte Léa Cohen bereits seit langem und hatte als Botschafterin in der Schweiz eine Ausstellung seiner Bilder in Genf veranstaltet. Ich wollte das Projekt damals noch mit einem Wiener Bühnenbildner realisieren, jetzt habe ich Nikola.
Dann unsere Vera Petrova, die Assistentin, eine jener wenigen Personen, die alles sind im Theater, vor allem Kraft und guter Geist, und alles wissen was das Haus zusammenhält, und leider auch sprengt. Mit ihren sehr guten familiären, italienischen Kenntnissen macht sie es erst möglich, dass ich diese sehr italienische Produktion überhaupt inszenieren kann. Neuerdings übersetzt sie mir sogar was ich ihr auf Italienisch sage – nur verstehe ich dann wiederum nur “Bulgarisch” …
Und Simeon Georgiev, der technische Leiter mit seiner Equipe, inkl. Swetlana die Leiterin der Kostümabteilung mit ihren Mitarbeiter/-innen. Beide machen sie mehr als nur gutwillig alles möglich, auch die Träume.
… und was nehmen Sie mit?
Das alles, beide Besetzungen und die Träume dazu … und ich hoffe, dass mein Schiff bei der Rückreise nicht zu sehr in kalte Gewässer kommt.
Danke!
Bitte!
Und “Toi Toi Toi”, sagt man das nicht so bei Ihnen?
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Sofia, 13. Februar 2006
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