In 20 Min. von Zürich HB nach Berlin DT

Zur Spielzeit 2002-2003
In 20 Minuten von Zürich HB nach Berlin DT

Das Theater Winterthur ist das grösste Gastspielhaus der Schweiz und eines der grossen im deutschsprachigen Raum – das ermöglicht und verpflichtet. Aufführungen in allen Sparten und in mehreren Sprachen werden nach Winterthur eingeladen. Die Begegnungen mit grossen Formen des Theaters aus aller Welt ist unser Programm. Gäste treffen Gäste, und Sie sind dabei!

 

Als vor 25 Jahren in Winterthur darüber abgestimmt wurde welches Theater die Stadt denn wolle, entschieden sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zwischen den produzierenden Städten St. Gallen und Zürich für einen Gastspielbetrieb. Verschiedene Entscheidungen gaben dem Haus dann seine technische und inhaltliche Dimension. Leichtere Muse folgte auf engagiertere Formen, die Vielfalt blieb eine Qualität – und immer wieder kam Theater ins Haus, was Gefühle und Energien der Kommunikation in Wallung brachte, Vorlieben pflegte und Erwartungen befriedigte … oder manchmal vielleicht auch enttäuschte. Jedenfalls kam Theater zu uns, und wir kamen zum Theater. Begegnungen fanden statt.

Als ein Bild der komplexer werdenden Unterhaltungswelt gestaltete sich auch die Theaterkultur sehr divergent. “Oh … die Hoffnung”, wenigstens in der freiwillig gestalteten Freizeit noch die “glücklichen Tage” zu finden, die “alten Harmonien”, die Träume der intakten Welt, “unsere Klassiker” … oh! wir hören Winnie reden (in Becketts “Glückliche Tage”) und kommen ins Schwärmen, und sind dann irritiert, dass selbst die glücklichsten Tage heute anders ausfallen als sie früher einmal geplant waren … aber: wie real wurden sie wirklich erwartet, damals? Die Frage kann nur individuell gestellt werden. Sie richtet sich nach Innen und spricht jeden ganz individuell an. So wird Theater zu einer Geschmacksache und jeder kann es geniessen wollen und dürfen. Genau das ist die Dimension, die wir im Theater wahrnehmen möchten: Wir möchten uns in unseren Gefühlen wiederfinden, unsere Vergangenheit treffen – aber auch „abschalten“ und den Alltag vergessen, Energien sammeln, um den nächsten Tag anzugehen. Kann man mehr vom Theater wollen?

Und wenn jetzt jemand ruft, er wolle nicht “mehr” sondern “weniger” von diesem hochstehenden Theater? Er wolle Unterhaltung – und dabei an das neu definierte Recht der passiven Massenunterhaltung denkt – dafür bezahle er ja schliesslich, über die Steuern und über die Kasse? Deswegen habe er (oder hätte er) damals so gestimmt … Solche Meinungen hören wir immer wieder, was tun wir damit? Wir nehmen sie ernst.

Diese Erwartung deckt aber nur die eine Seite des Theaterauftrags ab, die andere ist auch noch da, sie ist sehr attraktiv und bei sehr vielen Zuschauern nicht weniger beliebt – die wollen und müssen wir auch ernst nehmen. Irgend etwas hat sich in der Erwartungshaltung gegenüber dem Theater verändert oder verschärft in den letzten 25 Jahren. Was ist anders geworden?

Anders, würde ich sagen, ist die Welt. Die dreht sich, so rund wie sie ist, sie dreht sich mit allen ihren Ecken, und ständig werden wir geschubst und provoziert. Nicht nur von den Katastrophen, Skandalen und Crashs, Kriegen und sonstigen Dummheiten. Soll da die Kultur still sein und Watte verteilen? Darf das Theater Ecken schleifen und uns im Gefühl wiegen, dass wir mit unseren althergebrachten und vorgefassten Meinungen getrost richtig liegen? Die Welt sei für uns da – ? Wir seien die Einzigen, und die Ersten darauf – ? … und weit und breit sei das unbestritten – ? Möchten wir dieses Gefühl vermittelt bekommen? Soll das Theater diese Streicheleinheiten vermitteln müssen? Es braucht nicht viel Ehrlichkeit um einzugestehen, dass es so nicht geht, nicht gehen kann! Unsere erste Welt darf in keiner Form mehr eine Kolonialmacht sein wollen, sie darf vor anderen Staaten und Kulturen keine Vorherrschaft für sich beanspruchen. Wir müssen uns anders einordnen und äussern, auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Eine andere Sprache ist nötig, eine andere Haltung – eine andere Kultur. Oder eine andere Fähigkeit im Umgang mit einer anderen Kultur.

Das Theater hat über die Jahrhunderte immer wieder andere Kommunikationsformen gesucht. In den letzten fünfundzwanzig Jahren hat es sich mit der Welt inhaltlich und ästhetisch derart verändert, dass wir vor der grossen Auswahl an Aussagen und Formen verunsichert dastehen. Schon nur die minimale Namensänderung vom “Theater am Stadtgarten in Winterthur” zum “Theater Winterthur am Stadtgarten” ist ein grösserer Schritt als es die Schreibweise vielleicht ahnen lässt. Und Winterthur hat sich zudem auch noch verändert: eine attraktive Kulturstadt verpflichtet uns alle.

Um vom Theater Winterthur unter meiner künstlerischen Leitung zu sprechen, hat sich die Programmierung auf einigen Ebenen verändert. Das war eine Wahl in der Berücksichtigung der veränderten kulturellen Dimension der Stadt. Wir haben uns vermehrt als das grosse, subventionierte Theaterhaus am Ort positioniert, das internationale Veranstaltungen nach Winterthur holt. Die Konzentration auf das Theater, das subventioniert werden soll, und auf Projekte, die unsere technische Dimensionen, die uns beim Bau als Rahmen gegeben wurden, ausschöpfen und nötig machen, zwang uns im grossen Programm vermehrt auf kleinere Formen des Theaters, auf Kleinkunst, einfache Boulevardkomödie zu verzichten. Andere Häuser und Organisationen haben in den letzten Jahren diese Programmierung übernommen.

Die Konzentration auf die Grösse und Qualität, auf die Projekte, die eine internationale Dimension bieten können, verpflichtet uns und fordert uns heraus. Mit vielen unserer Produktionen fahren wir wieder fort, das Bild des Theaters Winterthur als ständiges, internationales Festivals zu prägen: Hier! Exklusiv! Bestes! im Abonnement!

Auf dem Museums–, Ausstellungs– und Musiksektor profiliert sich die Stadt Winterthur enorm als sechstgrösste Stadt der Schweiz. Die Stadt kann auf engstem Gebiet so viele Reichtümer vorzeigen, dass sie stolz sein darf: eine Reise und ein Aufenthalt in Winterthur lohnt sich auch kulturell in jeder Hinsicht. Das haben uns mehrere profilierte, internationale Truppen und Einzelkünstler, die sich für einige Tage in unserer Stadt aufgehalten haben, immer wieder dankend erwähnt. Uns lässt das hoffen, dass sie gerne wiederkommen.

Mit dem Theater verhält es sich ebenso: unser Einzugsgebiet vergrössert sich ständig. Nicht selten reisen Zuschauer aus dem Süddeutschen Raum und aus der Innerschweiz her … weil sie hier ein besonderes Theater vorfinden, zu dem sie sonst weit entfernter hinreisen müssten …

… und auch mehr und mehr Stadtzürcher haben gemerkt, dass sich hier etwas verändert hat und gehören seit dem zu unseren Gästen und Abonnenten: in zwanzig Minuten können sie (und Sie!), ohne Flug und Übernachtung, bequem zu einer wichtigen Theatervorstellung aus Wien, aus Berlin, Bremen, Paris, Rom oder Madrid fahren.

Ein Umkreis von 30 bis 45 Fahrminuten genügt uns als Einzugsgebiet vollauf – aber dieses potentielle Publikum möchten wir erreichen! Damit füllen wir unser Haus mehrmals und nachhaltig. Und Sie sind dabei.

 

Kommen Sie …
und kommen Sie wieder.

 

Gian Gianotti
Künstlerischer Leiter